Bürgermeister verweigerte die Unterschrift

50 Jahre Gemeindereform: Backnang gehörte zu den Gewinnern der Gebietsreform. Die Stadt gewann vier neue Stadtteile hinzu und vergrößerte ihre Gemarkungsfläche um 50 Prozent. Allerdings waren die Eingemeindungen in den Nachbarorten umstritten.

Bürgermeister verweigerte die Unterschrift

Oberbürgermeister Martin Dietrich (Zweiter von rechts) begutachtet die Kanalarbeiten in Strümpfelbach. Der Anschluss an die Kläranlage war eines der Versprechen, mit denen Backnang die Nachbargemeinde von einer Fusion überzeugt hatte. Foto: BKZ-Archiv

Von Kornelius Fritz

Backnang. Anders als viele kleine Gemeinden musste Backnang in den 1970er-Jahren nicht um seine Selbstständigkeit fürchten. Oberbürgermeister Martin Dietrich erkannte aber schnell die Chancen, die die Gemeindereform bot. Backnang hatte zu diesem Zeitpunkt nämlich ein Problem: „Wir hatten keinen Quadratmeter Erweiterungsfläche“, erinnert sich Klaus Erlekamm, der ab 1966 das Hauptamt der Stadt leitete. Sowohl für den Wohnungsbau als auch für neue Gewerbegebiete fehlte der Platz. Das war umso bedenklicher, weil es mit der Textil- und Lederindustrie bergab ging und die Gewerbesteuereinnahmen sanken.

Auf der Suche nach möglichen Kandidaten für eine Eingemeindung streckte OB Dietrich seine Fühler deshalb nach allen Richtungen aus. Unterstützt wurde er dabei vom Ersten Bürgermeister Karl Euerle, der, bevor er zur Stadt kam, als Verwaltungsaktuar beim Landkreis 18 kleine Umlandgemeinden betreut hatte und dadurch beste Kontakte in die Rathäuser besaß.

Mit fünf Nachbargemeinden wurden die Fusionsgespräche konkret: Maubach, Waldrems, Heiningen, Strümpfelbach und Erbstetten. In jeder dieser Kommunen standen allerdings auch noch andere Optionen zur Diskussion. So waren Maubach, Waldrems und Heiningen zwar noch selbstständige Gemeinden, bildeten aber seit 1966 eine sogenannte Bürgermeisterei. Der gemeinsame Bürgermeister Ulrich Schäfer verfolgte nun das Ziel, aus dieser Verwaltungseinheit eine neue Gemeinde zu machen. Strümpfelbach wurde derweil von Oppenweiler umworben und Erbstetten verhandelte parallel mit Burgstall über einen Zusammenschluss.

Um sie von sich zu überzeugen, musste Backnang den kleinen Gemeinden also etwas bieten. Und das tat die Stadt: Sie versprach, die Mehrzuweisungen vom Land, die durch den Zusammenschluss in die Stadtkasse fließen, vollständig in den neuen Stadtteilen zu investieren. Die „Brautgeschenke“ reichten vom neuen Löschfahrzeug für die Feuerwehr über ein Lehrschwimmbecken bis zum Bau einer Leichenhalle auf dem Friedhof. Außerdem sollten die bislang selbstständigen Gemeinden jeweils einen Ortsvorsteher und eine garantierte Zahl an Sitzen im Backnanger Gemeinderat bekommen.

Bürgermeister Schäfer hielt dennoch an seinem Plan fest, Maubach, Waldrems und Heiningen zu einer neuen Gemeinde zu fusionieren. „Er hat Stimmung gegen Backnang gemacht“, erinnert sich Klaus Erlekamm. Die Gemeinderäte von Waldrems und Heiningen hatte er dabei auf seiner Seite, den von Maubach allerdings nicht. Dieser befürwortete mehrheitlich einen Anschluss an Backnang, was am 13. Juni 1971 zu einer kuriosen Situation führte. Während die Bevölkerung von Waldrems und Heiningen über das von Schäfer vorgeschlagene Dreierbündnis abstimmte – und jeweils mit deutlicher Mehrheit dafür votierte –, entschieden die Maubacher am selben Tag über einen Anschluss nach Backnang. Hier fiel das Ergebnis wesentlich knapper aus, mit 179:162 Stimmen fand sich aber eine Mehrheit für die Eingemeindung. Daraufhin ging alles ganz schnell: Am 22. Juni wurde die Eingliederung besiegelt, ab 1. Juli 1971 war Maubach ein Backnanger Stadtteil.

Zuvor war es allerdings noch zu einem Eklat gekommen: Den Eingliederungsvertrag musste nämlich der stellvertretende Bürgermeister Hans-Georg Rohr unterschreiben, weil Bürgermeister Schäfer der Feierstunde demonstrativ ferngeblieben war. Rohr bezeichnete Schäfer daraufhin öffentlich als „sehr schlechten Verlierer“, der mit seinem Verhalten der Gemeinde und der Demokratie keinen guten Dienst erwiesen habe.

Nachdem Maubach als möglicher Partner weggefallen war, machten sich Waldrems und Heiningen auf die Suche nach anderen Kandidaten für eine Fusion. Im Gespräch war ein Zusammenschluss mit Allmersbach im Tal, Heutensbach und Nellmersbach, doch auch diese Pläne scheiterten. Daraufhin beschlossen auch die Gemeinderäte von Waldrems und Heiningen, über einen Anschluss nach Backnang zu verhandeln, wie ihn das Land von Anfang an vorgeschlagen hatte. Am 1. Januar 1972 wurden die beiden Gemeinden Stadtteile von Backnang. Der Bürgermeister Ulrich Schäfer machte später übrigens noch anderswo Karriere: Von 1976 bis 1990 war er Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart.

Als letzter Stadtteil kam am 20. März 1972 schließlich noch Strümpfelbach hinzu. Mit 204 Ja- und nur 35 Neinstimmen fiel das Votum für Backnang dort sehr deutlich aus, obwohl sich auch Oppenweiler intensiv um den Nachbarort bemüht hatte. Dass daraus nichts wurde, habe nicht zuletzt topografische Gründe gehabt, erinnert sich Klaus Erlekamm. Strümpfelbach war zu dieser Zeit noch nicht an das Kanalnetz angeschlossen. Backnang, das tiefer liegt als Oppenweiler, versprach, den Ort innerhalb von 16 Monaten an die Kanalisation und die Kläranlage anzuschließen. Diese Aussicht überzeugte offenbar viele Bewohner: „Mir ganget da na, wo’s Wasser na lauft“, zitiert Klaus Erlekamm einen alteingesessenen Strümpfelbacher aus dieser Zeit.

Viermal waren die Backnanger Expansionspläne also von Erfolg gekrönt, in einem Fall holte sich die Stadt jedoch eine blutige Nase. In Erbstetten entschieden sich Gemeinderat und Bevölkerung am Ende für eine Fusion mit der Nachbargemeinde Burgstall. Dabei schien der Anschluss an Backnang bereits beschlossene Sache zu sein. Bei einer Bürgerversammlung im Dezember 1970 war die Stimmung eindeutig: Eine inoffizielle Abstimmung endete mit 85:18 pro Backnang. Wenn es schon eine Fusion geben müsse, wolle man „lieber zum Schmied als zum Schmiedle“, formulierte ein Bürger die Stimmungslage.

Im Backnanger Rathaus hörte man es mit Freude und setzte schon mal den Eingliederungsvertrag auf. „Man war sich seiner Sache zu sicher“, sagt Klaus Erlekamm rückblickend. Doch die Backnanger hatten die Rechnung ohne Erich Schneider gemacht. Der Burgstaller Bürgermeister und CDU-Landtagsabgeordnete ließ nämlich nichts unversucht, um die Erbstettener doch noch von einem Zweierbündnis mit der Nachbargemeinde zu überzeugen. Mit Erfolg: Die Sorge vor höheren Gebühren und weniger Einfluss veranlasste den Gemeinderat schließlich zu einer „Kehrtwende von bemerkenswerter Perfektion“, wie es damals in der Zeitung hieß. Und auch die Bürgerschaft votierte bei der offiziellen Abstimmung nun für eine Fusion mit Burgstall – wenn auch nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von zehn Stimmen.

Für den Backnanger OB Martin Dietrich bedeutete die Abfuhr aus Erbstetten eine Niederlage, allerdings eine, die er habe verschmerzen können, meint Klaus Erlekamm. „Das war kein Beinbruch, die südlichen Stadtteile hatten Priorität“, sagt der 83-Jährige, der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2003 im Dienst der Stadt stand. Das Ziel, Backnang neue Wachstumsmöglichkeiten zu eröffnen, hatte der OB dennoch erreicht. Durch die vier neuen Stadtteile gewann Backnang zwar nur rund 3000 Einwohner hinzu, die Gemarkungsfläche wuchs aber um die Hälfte. Dadurch wurden etwa das Gewerbegebiet Backnang-Süd auf Heininger Gemarkung oder die großen Neubaugebiete in Maubach erst möglich.

Bürgermeister verweigerte die Unterschrift

Klaus Erlekamm besitzt die Eingliederungsverträge mit den vier neuen Stadtteilen noch heute. Als junger Amtsleiter hatte er im Backnanger Rathaus die Verhandlungen mit den Nachbargemeinden begleitet. Foto: A. Becher