Bunte Erzählstunde im Gerichtssaal

Die beiden Angeklagten im Aspacher Entführungsfall äußern sich vor dem Stuttgarter Landgericht ausführlich zum Tatgeschehen

Bunte Erzählstunde im Gerichtssaal

Symbolfoto: M. Führer

Von Hans-Christoph Werner

ASPACH/STUTTGART. Am dritten Verhandlungstag in der Entführungssache einer Pflegekraft nehmen die Ausführungen der Angeklagten und die Beantwortung vieler Fragen fast acht Stunden in Anspruch. Doch je mehr Antworten, desto größer am Ende des Tages die Ungereimtheiten.

Der 52-jährige Maciej I. macht den Anfang. Im Mai 2019 war die 47-jährige Lebensgefährtin des Kfz-Mechanikers nochmals in Polen. Er überreicht ihr einen Verlobungsring. Sie kontert sein Ansinnen, dass man nach 26 Jahren des Zusammenlebens nicht mehr heiraten müsse. Durch den Einsatz eines Spionagekugelschreibers (wir berichteten) erhält der Automechaniker Kenntnis von dem neuen Freund bseiner Lebensgefährtin und ihrer Schwangerschaft. Weil die Beziehung keinen Sinn macht, bricht Maciej I. zusammen mit Krzystof T. nach England auf. Letzterer war offensichtlich zu dieser Zeit von seinem Dienstherrn in der Weise abhängig, dass er bei ihm nach Streit mit seine Eltern untergekommen war. Noch während der Fahrt Richtung England gibt es weitere Kontakte mit der Lebensgefährtin. Angeblich will sie mit dem deutschen Freund Schluss machen. Sie bittet ihn um Verzeihung und schreibt „Komm zurück.“ Als die beiden in Breslau wieder eintreffen, ist die Lebensgefährtin abgereist. Hartnäckig fragen einzelne Prozessbeteiligte an diesem Punkt nach. Denn mal soll die Lebensgefährtin noch da gewesen sein, ein anderes Mal nicht. Und Krzystof T. leugnet gänzlich die begonnene Fahrt nach England.

Wie bekannt fuhren die Angeklagten mit zwei Autos nach Deutschland, beide ohne Führerschein. Warum mit zwei Wagen? Es lässt sich nicht abschließend klären. Warum sie überhaupt diese Fahrt unternommen hätten, will der Richter wissen. Maciej I. wollte seine Lebensgefährtin auf frischer Tat mit ihrem Liebhaber erwischen. Und Krzystof T. sollte den Zeugen dafür spielen. Dann will Maciej I. noch die Absicht gehabt haben, ein weiteres Auto zu erwerben. Wie hätte dann die Rückfahrt vonstattengehen sollen?

Auch um Geld sei es bei den Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Automechaniker und seiner Lebensgefährtin gegangen. Mal hat sie ihm Geld für seine Autowerkstatt gegeben. Dann benötigte sie aber selbst Geld für eine Zahnbehandlung. Aber dann will wieder er ihr etwas zurückgezahlt haben. Es bleibt rätselhaft.

Noch kurioser nimmt sich der fluchtartige Aufbruch mit der in die Falle gelockten Pflegekraft aus. Der Plan war, um Aspach herum zu fahren. Aber Krzystof T. biegt mal rechts, mal links ab. Das Navigationssystem auf dem Handy wurde nicht verändert. Da blieb als Zielort Aspach. Aber man fuhr und fuhr. Nach Berechnungen der Polizei zweieinhalb Stunden. Als das Auto im Wald bei Hagenau festsitzt, sind die Entführer der Überzeugung, dass man in einer Stunde Fußmarsch wieder in Aspach ist. Dass man bei der Fahrt einen großen Fluss, den Rhein, überquert habe, gar ein Schild „Frankreich“ gesehen habe, ist den beiden Angeklagten gänzlich entgangen. Auch dort in Frankreich sei erst der Topf mit dem heißen Wasser vom Herd gerutscht und hatte die Füße der Entführten verbrüht. Der Staatsanwalt stellt fest, dass die Kartoffeln also die ganz Fahrt über still vor sich hin gekocht haben. Ein Grinsen geht über die Gesichter der Prozesszuhörer.

Als das Trio wegen des Wohnmobils in Frankreich festsitzt, offenbart sich eine große Hilflosigkeit und fehlende Entschlusskraft. Man wandert in nahe Dörfer oder Vorstädte, kauft auch ein, fragt aber nicht nach Hilfe. Das eine Mal aus Verständigungsschwierigkeiten, das andere Mal aus Angst vor der Polizei. Immer, wenn die Fragen der Richter oder des Staatsanwalts drängend und die Widersprüche zu den Vernehmungen der französischen Polizei angesprochen werden, sind dies angeblich Übersetzungsfehler.

Krzystof T. will von der Fesslung der 47-jährigen Pflegekraft nach deren Eintritt in das Wohnmobil nichts mitbekommen haben. Sein Kompagnon hatte das zugegeben. Warum man denn überhaupt Kabelbinder und Klebeband auf die fahrt nach Deutschland mitgenommen habe, will der Richter wissen. Maciej I. erklärt das so. Solche Utensilien habe man ständig dabei. Schließlich könne man damit auch Autos reparieren.

Zur eigentlich geplanten Befragung des Opfers reichte gestern die Zeit nicht mehr.