Bunter zu wohnen bleibt ein Wunsch

Sozial verträgliche Gestaltung von Vierteln ohne roten Faden – Runder Tisch von Kirche und Politik

Bunter zu wohnen bleibt ein Wunsch

Auch barrierefreies Wohnen wurde beim Runden Tisch angesprochen. Foto: stock.adobe/R. Patuca

Von Dennis Dreher

WAIBLINGEN. Es war eine Gesprächsrunde, die mehr Fragen offenließ als beantwortete. Die Kirchen im Rems-Murr-Kreis hatten zum Runden Tisch geladen, in den Gemeindesaal der katholischen Kirchengemeinde St. Antonius in Waiblingen. Das Thema: Quartiersentwicklung. Oder in einfacher Sprache: Wie organisiere ich das Zusammenleben besser? Eine Aufgabe, bei der nicht ganz klar ist, in wessen Verantwortungsbereich sie fällt. Staat, Bürger und gesellschaftliche Vereinigungen fühlen sich gleichermaßen verantwortlich – oder auch nicht.

In Großstädten steht das Thema schon seit Jahrzehnten auf der politischen Agenda. Es geht darum, Mehrfamilienhäuser oder auch ganze Viertel sozial verträglich zu gestalten. Ziel ist eine möglichst „bunte“ Durchmischung der Bewohner. Die Kellnerin soll neben dem Investmentbanker wohnen, der Facharbeiter neben der Anwältin. Junge neben Alten. Deutsche neben Ausländern. Im besten Fall organisieren sich die Nachbarn so, dass für jeden gesorgt ist. Die jüngeren Bewohner helfen den älteren beim Einkauf, der Finanzbeamte der Krankenschwester bei der Steuererklärung, der Fliesenleger dem Verkäufer beim Umbau. So weit der Grundgedanke.

Die Waiblinger Runde konnte sich durchaus sehen lassen. Vertreter beider Landeskirchen waren gekommen, mehrere Mitglieder des Kreistages ebenso. Der CDU-Landtagsabgeordnete Siegfried Lorek gesellte sich dazu, mit Joachim Pfeiffer (CDU) und Jürgen Braun von der AfD sogar zwei Vertreter des Bundestages. Trotzdem blieb der Runde Tisch über weite Strecken wenig konkret.

Den Auftakt machte Gerhard Rall, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbandes, mit einem Bibelzitat: „Suchet der Stadt Bestes“, heiße es in der Heiligen Schrift. Wie also könne man es in der heutigen Zeit ermöglichen, gut und inklusiv zusammenzuleben? Mit dieser Fragestellung für die anschließende Debatte im Hinterkopf begann Landrat Richard Sigel seinen nach eigener Aussage „abstrakten“ Vortrag.

Sigel ging nur am Rande auf die Rolle der staatlichen Kreisbaugruppe ein, deren Aufsichtsratsvorsitzender er ist. Immerhin: Diese wächst und gibt dem Kreis ein wertvolles Instrument in die Hand, um auf dem Wohnungsmarkt einzugreifen. Stattdessen gab es einen Imagefilm des Kreises zu sehen. Schöne Aufnahmen, gut gemacht, aber inhaltlich weit vom Thema weg. Für den Oktober sei wieder ein Wohnbaugipfel vorgesehen, gab Sigel zu Protokoll. Das gesellschaftliche Klima habe sich verschlechtert, im Zehnjahresvergleich gebe es 82 Prozent mehr Konflikte unter Nachbarn.

Probleme werden erkannt, aber kreative Lösungsansätze fehlen

Als Nächstes sprach Monika Amann, verantwortlich für die Fachberatung Demenz im Kreis. Sie warb nachdrücklich für Inklusion in Form barrierefreier Wohnungen. Ein wichtiger Punkt, zweifellos. Dass es die Barrierefreiheit jedoch, wie behauptet, zum Nulltarif gibt, darf bezweifelt werden. Im Übrigen seien die Gelder doch da, sagte Amann. Sie müssten nur beantragt werden.

Nach einem weiteren Imagefilm, dieses Mal vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg, tauschten sich die Teilnehmer in der Diskussion aus. Einige gaben Anekdoten zum Besten. Es mangele an gegenseitiger Toleranz, war zu hören. Der Egoismus nehme zu. Soziale und immaterielle Werte seien immens wichtig. Vermutlich ist nichts davon falsch, doch was genau sind jetzt die Ideen, die Gemeinschaft und das Miteinander in den Vordergrund stellen?

Von den Kirchenvertretern war immerhin zu hören, dass sie es begrüßen würden, wären neben den Kommunen weitere Institutionen bei Projekten zum Quartiersmanagement antragsberechtigt. Zudem gebe es nicht genutzte Räume der Kirche, die der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden könnten. Die Idee, dass die Kirche mit eigenen Bauten in den Wohnungsmarkt eingreift, mag verlockend klingen. Ob das in Zeiten dramatisch sinkender Mitgliederzahlen eine Option darstellt, ist unwahrscheinlich.

Christine Besa, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, machte eine zu geringe Kooperation zwischen Kirchen und „bürgerlicher Gesellschaft“ aus: „Alle machen ihr Ding. Viele, die nichts mit der Kirche zu tun haben, trauen sich dann auch nicht dorthin. Es gibt Berührungsängste.“ Matthias Eisenhardt, Vorsitzender der Bezirkssynode Schorndorf, wollte das so nicht stehen lassen: „Die Caritas ist bereits super aktiv. Wir von den Kirchen verkaufen uns nur zu schlecht.“ Weiterhin betonte er, dass bürokratische Hürden der Organisation mit Ehrenamtlichen oft einen Strich durch die Rechnung machten.

CDU-Mitglied Lorek fragte nach Gemeinschaftsräumen, die doch die Rolle einnehmen könnten, welche früher Gaststätten hatten. Man kann den Teilnehmern nicht vorwerfen, dass sie viele der aktuellen Probleme nicht richtig erkannt hätten. Doch kaum etwas davon ist nicht schon dutzendfach besprochen worden. Gerade eine solch lockere Runde hätte Raum für Kreativität gelassen. Stattdessen stand für die anwesenden Politiker die Kontaktpflege untereinander und mit den Kirchen im Vordergrund.