Die Freiheit ist ein Kilometer - Corona-Maßnahmen in Europa

Von Von Julia Naue und Jan-Uwe Ronneburger, dpa

dpa Paris/Madrid. Zu Beginn der Corona-Krise wirkte manch strenge Vorgaben womöglich wie ein Scherz. Spazier-Radius oder gleich gar nicht vor die Tür - unfassbar. Mittlerweile hat man sich in vielen Ländern daran gewöhnt - und Deutschlands 15 Kilometer wirken fast großzügig.

Die Freiheit ist ein Kilometer - Corona-Maßnahmen in Europa

Ein französischer Polizeibeamter überprüft in Paris die Genehmigung eines Passanten, sich weiter als einen Kilometer vom Wohnort zu entfernen. Foto: Francois Mori/AP/dpa

Die beiden Polizisten versperren demonstrativ den Weg. Sie sind nicht unfreundlich, aber sie fragen die Joggerin dennoch bestimmt, was sie hier tut. Turnschuhe, Sportsachen und eben das Joggen an sich hätten ein Hinweis sein können.

Was die beiden Pariser Ordnungshüter aber eigentlich sehen wollen, ist eine selbst ausgefüllte Bescheinigung. Denn weiter als einen Kilometer darf sich die Joggerin nicht von ihrer Wohnung entfernen.

Name, Adresse und Geburtsdatum stehen auf dem Formular. Auch die Uhrzeit, wann das Haus verlassen wurde, und schließlich der Grund für dieses Verhalten. In diesem Fall hat die Joggerin angekreuzt: „Kurze Ausflüge, innerhalb einer Stunde täglich und in einem maximalen Radius von einem Kilometer um die Wohnung, die mit körperlicher Aktivität zusammenhängen ...“

Was in Deutschland nun für Aufregung sorgt, ist in anderen Ländern in Europa teils schon seit Frühjahr eine Waffe im Kampf gegen Corona: Bewegungseinschränkungen. In Hotspots sollen sich die Menschen hierzulande nun ohne triftigen Grund nicht mehr als 15 Kilometer von ihrem Wohnort entfernen dürfen. In anderen Ländern waren diese Einschränkungen oft sogar noch viel strenger.

So galt bereits im Frühjahr in Frankreich: Wer spazieren gehen oder Sport machen will, darf dies eben nur eine Stunde pro Tag im Radius eines Kilometers. Parks oder Strände waren damals jedoch geschlossen. Jogger auf engen Pariser Fußwegen wurden schnell zu Hassobjekten. Besonders schwierig war die Situation aber für Menschen mit Kindern oder die Bewohner der grauen Vorstädte mit ihren Betonburgen.

Jeder Gang vor die Tür musste in Frankreich einen triftigen Grund haben - nachgewiesen durch ein ausgefülltes Formular. Wer sich nicht daran hielt, musste eine Geldstrafe zahlen. Ganz zu Beginn war „spazieren gehen“ übrigens nichts als Grund gelistet - wehe dem, der in seinen Sportsachen zu langsam unterwegs war.

Schnell stapelte sich das Papier - später gab es dann zur Erleichterung vieler auch eine Handyversion. In Frankreich änderten sich die Regeln seitdem Frühjahr immer wieder. Im Herbst kam der ungeliebte Kilometer noch einmal zurück, zwischendurch galten auch Mal Beschränkungen auf 100 oder 20 Kilometer.

Was anfangs noch besonders streng kontrolliert wurde, wurde später nur noch sporadisch überprüft. Aktuell gilt eine abendliche Ausgangssperre. Was die Bewegungseinschränkungen gebracht haben, lässt sich im Nachhinein schwer sagen. Fakt ist, dass die Corona-Lage sich gebessert hat. Gleichzeitig waren aber auch Läden und im Frühjahr Schulen geschlossen.

Auch in Spanien sind Millionen Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Reisen zwischen den autonomen Gemeinschaften, die in etwa Bundesländern in Deutschland entsprechen, sind nur aus triftigem Grund erlaubt, wie etwa um zur Arbeit oder zum Arzt zu kommen. Touristische Ausflüge gehören definitiv nicht dazu. In Katalonien mit der Touristenmetropole Barcelona dürfen die Menschen bis zum 17. Januar nicht einmal ihre Heimatgemeinde mehr verlassen, es sei denn aus wichtigem Grund.

Ein Besuch der zehnjährigen Sophie, die in der Nähe von Barcelona lebt, bei ihrer Freundin im Nachbarort ist deshalb nicht mehr erlaubt. Bleibt nur ein Videochat, aber der ist lange nicht so lustig, wie zusammen das elterliche Haus auf den Kopf zu stellen. „Langweilig, da kann man nur reden“, ärgert sich das Mädchen. Auch so banale Dinge wie die Abholung einer über das Internet gekauften gebrauchten Waschmaschine im übernächsten Ort fällt ins Wasser.

Großer Unmut in der Bevölkerung über die Einschränkungen ist dennoch nicht zu spüren. Die Menschen in Spanien haben während der ersten Corona-Welle im Frühjahr schon viel Schlimmeres durchgemacht. Wochenlang durfte man nur zu Einkäufen, zum Arzt oder zur Arbeit aus dem Haus, die Schulen waren geschlossen, Kindern war der Aufenthalt im Freien ganz verboten. Auch in Frankreich hielt sich der Ärger über die Einschränkungen in Grenzen. Das Land war von Anfang an hart von der Pandemie getroffen und zählt weit mehr als 65.000 Tote.

Die Griechen kann ein 15-Kilometer-Radius ebenfalls nicht schocken - schon längst gelten härtere Maßnahmen als in Deutschland. Dort ist es den Menschen während des Lockdowns verboten, ohne triftigen Grund die Region zu verlassen, in der sie wohnen. Wer zur Arbeit, zum Arzt, einkaufen oder joggen will, muss zudem eine entsprechende Nachricht an den Zivilschutz schicken, die oft auch von der Polizei kontrolliert wird.

Bewegungseinschränkungen gelten auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern wie Slowenien, Kroatien, Litauen oder Italien. Oftmals kann das Verwirrung stiften, Regeln ändern sich immer wieder - manchmal wirken die Kilometervorgaben willkürlich. Immer wieder gibt es auch Tricks, mit denen die Menschen die Verbote umgehen wollen. So wird sich in Litauen etwa in sozialen Netzwerken über die Kontrollposten der Polizei ausgetauscht. Und in Frankreich gab es den Tipp, doch einfach mehrere Formulare dabei zu haben - mit unterschiedlichen Adressen drauf.

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