Corona spaltet Modewelt: Online boomt

Von Von Erich Reimann, dpa

dpa Köln. Die Textilhändler in den Innenstädten fürchten durch den verlängerten Lockdown auf einer halben Milliarde unverkaufter Artikel sitzenzubleiben. Die Online-Händler können sich dagegen vor Aufträgen nicht retten.

Corona spaltet Modewelt: Online boomt

Eine Verkäuferin mit Mund- und Nasenschutz arbeitet in einem Modegeschäft. Der Textilhandel in den deutschen Innenstädten schlägt Alarm. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Der Textilhandel in den deutschen Innenstädten schlägt Alarm. Die Verlängerung des Lockdowns werde zahlreiche Textilhändler, Schuhläden und Kaufhäuser in den Ruin treiben, warnten die Handelsverbände Textil (BTE), Schuhe (BDSE) und Lederwaren (BLE).

Bis mindestens Ende Januar werde sich in den Modegeschäften „eine riesige Lawine von einer halben Milliarde unverkaufter Modeartikel auftürmen“, warnten die Organisationen.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig meldete der Onlinehandel neue Umsatzrekorde im wichtigen Weihnachtsgeschäft. Nach einer Verbraucherstudie des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (bevh) Deutschland lagen die Online-Umsätze im vierten Quartal um fast 24 Prozent über dem Vorjahresniveau.

Damit hat sich die Wachstumsrate im E-Commerce im Vergleich zum Weihnachtsquartal 2019 mehr als verdoppelt. Die Online-Umsätze mit Lebensmitteln lagen zwischen Oktober und Dezember laut bevh um mehr als 83 Prozent über dem Vorjahresniveau. Im Drogeriebereich lag das Plus bei 46,7 Prozent. Doch auch der Online-Handel mit Bekleidung wuchs im vierten Quartal um rund 26 Prozent. Kein Zweifel: Corona spaltet den Handel.

Zu den Gewinnern gehört Deutschlands zweitgrößter Online-Shop Otto.de, der bereits zu Wochenanfang über ein Rekord-Weihnachtsgeschäft berichtet hatte. Im Vergleich zum Weihnachtsgeschäft 2019 sei die Anzahl der Bestellungen um fast 60 Prozent gestiegen, meldete das Unternehmen.

Zu den Verlierern gehört vor allem der stationäre Modehandel. „Für das Gesamtjahr 2020 gehen wir von einem historischen Umsatzeinbruch von rund 30 Prozent aus“, berichtete am Mittwoch BTE-Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels. Da die Kosten und vor allem der Wareneinkauf durch die langen Vorlaufzeiten in der internationalen Lieferkette kaum angepasst werden könnten, stünden viele Geschäfte nunmehr vor dem endgültigen Aus.

Das Problem: Der Modehandel in den Innenstädten sitzt auf riesigen Warenbergen, die mit jedem Schließungstag weiter an Wert verlieren. Denn die Winterware wird im Februar - wenn überhaupt - nur noch mit großen Rabatten loszuschlagen sein. „Ware wird unter Einkaufspreis verkauft werden müssen“, prognostizierte BTE-Präsident Steffen Jost im Gespräch mit dem Branchenfachblatt „Textilwirtschaft“. Dabei brauche der Modehandel dringend Geld, um neue Ware für die Frühjahrs- und Sommersaison zu bezahlen.

Von der Politik fühlen sich die Händler in den Innenstädten weitgehend alleingelassen. Von den vollmundig versprochenen Hilfen komme kaum etwas an. „Wenn die Politik nicht schnellstens umsteuert, gehen tausende Geschäfte und damit Zehntausende Arbeitsplätze allein im stationären Fashionhandel verloren!“, warnte der Branchensprecher Pangels.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte endlich einen klaren Fahrplan zur Wiedereröffnung der Geschäfte. „Die geschlossenen Handelsunternehmen brauchen jetzt klare Aussagen, unter welchen Bedingungen sie wann ihren Betrieb wieder aufnehmen können“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands HDE, Stefan Genth. Den Lockdown einfach nur zu verlängern und keinerlei Perspektiven oder Pläne für eine Wiedereröffnung der Geschäfte zu präsentieren, sei zu wenig. Schließlich müssten die Händler entscheiden, ob sie neue Ware bestellen.

Die Stimmung im Modehandel sei mittlerweile explosiv, warnte BTE-Präsident Jost im Interview mit der „Textilwirtschaft“. Bisher sei der Handel in der Vertretung seiner Interessen „sehr vornehm“ gewesen. Doch dass könne sich rasch ändern. „Die Wut wächst Tag für Tag.“

Wenn die Politik nicht stärkeres Interesse am Handel zeige, werde es sicher schon bald Aktionen in Berlin geben, warnte Jost und signalisierte gleichzeitig, wie die Proteste in Corona-Zeiten aussehen könnten: „Denken Sie nur an die Bauern, die ihre Milch und Butter vor irgendwelchen Werkstoren oder Regierungsgebäuden abladen.“

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