„Das Amt geht immer vor“

Zwei Bürgermeisterinnen und der Backnanger OB kommentieren den Rücktritt von Anne Spiegel als Familienministerin.

„Das Amt geht immer vor“

Symbolfoto: privat

Von Bernhard Romanowski

Rems-Murr. Der Rücktritt von Anne Spiegel als Familienministerin hat für einen starken medialen Nachhall gesorgt. Hintergrund dieser Entscheidung war die Kritik daran, dass sie seinerzeit als rheinland-pfälzische Umweltministerin zehn Tage nach der Flutkatastrophe im Ahrtal einen vierwöchigen Urlaub mit ihrer Familien in Frankreich angetreten hatte. Was muss eine Person in einem öffentlichen Amt und besonders in Krisenzeiten leisten? Welche privaten Angelegenheiten rechtfertigen eine Ausnahme von der Diensterfüllung? Welche Auszeiten darf sie sich gönnen und wird hier bei Männern und Frauen ein anderer Maßstab in der Bewertung angelegt? Zu Fragen wie diesen haben wir uns bei regionalen Amtsträgern umgehört.

Irmtraud Wiedersatz atmet erst einmal tief durch , bevor sie antwortet. Als mittlerweile dienstälteste Bürgermeisterin in Baden-Württemberg hält sich die Rathauschefin der Gemeinde Burgstetten mit vorschnellen Schlüssen zurück. „Ob der Rücktritt zu Recht erfolgt ist, kann ich so nicht beurteilen“, sagt sie mit Blick auf die Krankheit des Mannes der Ex-Ministerin und deren vier noch kleinen Kindern. Ihr eigenes Amtsverständnis betreffend muss sie aber nicht lange nachdenken: „Das Amt geht vor. So habe ich es immer gehalten.“

Sie habe allerdings den Vorteil gehabt, dass ihr Mann vor ihrem Amtsantritt vor rund 27 Jahren seinen Job aufgegeben hat. Und dennoch: „Ich wäre auch gern daheim geblieben und nicht zur Ratssitzung gegangen, wenn eins der Kinder zu Hause krank war und spuckte. Aber der Job ging immer vor“, sagt Wiedersatz aus eigener Erfahrung und gibt zu bedenken: „Ich gehe davon aus, dass Frau Spiegel jemanden zur Betreuung der Kinder engagiert hatte.“ Es wäre im Übrigen besser gewesen, es so einzuräumen, wie es war, meint die Burgstettener Verwaltungschefin: „Dann muss man nachher nicht zurückrudern.“

Der Rücktritt von Anne Spiegel als Bundesministerin sei tragisch, aber gleichzeitig konsequent, so die Meinung des Backnanger Oberbürgermeisters Maximilian Friedrich: „Gescheitert ist sie meines Erachtens aber nicht alleine daran, dass sie in den Urlaub gefahren ist, sondern auch an der lückenhaften Kommunikation.“ Er ist ganz klar der Auffassung: „Öffentliche Ämter erfordern, dass die gewählten Vertreterinnen und Vertreter authentisch sind und glaubwürdig handeln.“ Beides sei in diesem Fall nicht gegeben, so der OB.

Ein vierwöchiger Urlaub im Katastrophenfall übersteige das vertretbare Maß, und zwar „eklatant“, wie Friedrich es ausdrückt: „Frau Spiegel hätte den Urlaub zumindest unterbrechen oder unabhängig vom Rest der Familie später antreten können.“ Eine weitere Lehre aus diesem Ereignis sollte laut OB Friedrich aber sein, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu fördern. Vor allem Frauen in Führungspositionen sollten sich nicht zwischen dem einen oder dem anderen entscheiden müssen, so die Meinung des Backnanger Verwaltungschefs.

„Insbesondere in Krisen- und Katastrophensituationen sollte ein Oberbürgermeister zwingend vor Ort sein. Hierzu gehört auch, gegebenenfalls bereits angetretene Urlaube zu unterbrechen oder – sofern erforderlich – abzubrechen“, so Friedrich zu seiner Dienstauffassung. Die Bandbreite solcher Katastrophen sei dabei nicht abschließend, sondern hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. „Extremes Hochwasser, eine große Notlage mit drohender Versorgungskrise oder ein Störfall des AKWs Neckarwestheim wären sicherlich solche Beispiele“, zählt Friedrich auf. In Backnang tage je nach Lage der Krisen- und Katastrophenstab und berate über die Situation, erklärt er weiter. Die Gefahren- und Einsatzlage werde dort analysiert, koordiniert und das weitere Vorgehen festgelegt. „Darunter fällt auch, ob meine Anwesenheit zwingend erforderlich ist“, so Friedrich.

„Bei einer solchen Katastrophe wie der Hochwasserflut im Westen Deutschlands sollten Amtsträger da sein“, sagt Patrizia Rall, die Bürgermeisterin der Gemeinde Allmersbach im Tal. Das wäre bei einem Hochwasser oder einem großen Brand in Allmersbach nicht anders. Mit der Frage, ob eine Frau oder ein Mann das Amt innehat, habe das erst einmal nichts zu tun, auch wenn Frauen sicherlich mehr unter kritischer Beobachtung stünden als Männer und eben nicht selten auch mehr leisten müssten, um ihre Position zu rechtfertigen.

„Führung wird Frauen oft nicht zugetraut“, hat Rall beobachtet. Grundsätzlich sei ein solches Amt zudem immer ein Spagat in der Abwägung zwischen privaten Anliegen und beruflichen Obliegenheiten, so Rall: „Aber das weiß man im Voraus, wenn man das Amt antritt. Freilich sei bei der Frage, wann der Job auch einmal zurückstehen kann, auch wichtig zu sehen, ob es sich gerade um Dinge des Alltagsgeschäfts oder eben solche Katastrophen wie im Fall Spiegel handle. Ob Letztere zurecht ihren Hut als Ministerin genommen hat, will Rall nicht bewerten. Dafür wisse sie zu wenig über die Hintergründe. Aus fachlicher Hinsicht sagt Rall: „Fehler können passieren. Aber man muss offen damit umgehen.“ Es sei immer schwierig, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, und ohne ehrliche Aufarbeitung sei das kaum möglich.