Ob ein Flüchtling bleiben darf oder ob er abgeschoben wird, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Bundesland sein Asylverfahren geführt wird. Das ist das Ergebnis einer Konstanzer Studie.
Konstanz In Schleswig-Holstein sind in den Jahren 2010 bis 2017 nur 47 Prozent der Klagen gegen einen negativen Asylbescheid erfolgreich gewesen. Im benachbarten Hamburg lag die Erfolgsquote hingegen bei 81 Prozent. „Im aktuellen Entscheidungsverfahren hängt zu viel vom Zufall ab, in welchem Bundesland über einen Asylantrag entschieden wird“, kritisiert der Konstanzer Politologe Gerald Schneider. In einer Studie hat er zusammen mit seinen Studentinnen Nadine Segadlo und Miriam Leue das deutsche Asylsystem untersucht und ist auf erstaunliche föderale Unterschiede gestoßen. So variierte auch bei den Abschiebungen ausreisepflichtiger Asylbewerber die Quote zwischen 66 Prozent im Saarland und sechs Prozent in Bremen. Diese Unterschiede seien so groß, „dass man sie nicht als zufällige Schwankungen wegerklären kann“, sagt Schneider.
Die Wissenschaftler sprechen von einem gleich „dreifachen Asylroulette“. In einer vorangegangenen Studie hatte Schneider nachgewiesen, dass schon die Anerkennungsquoten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) je nach Bundesland stark auseinander drifteten. Die Außenstellen der zentralen Bundesbehörde würden offenbar durch die Stimmung am Dienstort beeinflusst, so die Vermutung.
Insgesamt verfolgten über alle drei Instanzen (Bamf, Verwaltungsgerichte, Innenbehörde) die ostdeutschen Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt den härtesten Kurs. Schneider macht dafür auch ökonomische Faktoren verantwortlich. So hofften wohlhabende Bundesländer, die Asylbewerber für den Arbeitsmarkt zu gewinnen.
Noch höher sei aber der Einfluss der Parteipolitik. „Wir können sagen, dass sich SPD-geführte Länder gegenüber Asylbewerbungen positiver verhalten als CDU-geführte Länder.“ So wirke sich die aktuelle Besetzung der Regierungsbank direkt auf die Zahl der Abschiebungen aus. Hier entfalteten SPD-regierte Länder wie Bremen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen mit Quoten unter 20 Prozent die geringsten Aktivitäten. Auch bei den Gerichten ließen sich parteipolitische Präferenzen erkennen, erklärte Schneider. Hier spiele es eine Rolle, welche politische Kraft ein Bundesland über längere Zeit dominiere.
Das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg belegt einen Platz im Mittelfeld. Mit einer Quote von 45 Prozent haben Asylbewerber im Südwesten vom Bamf im Beobachtungszeitraum besonders häufig Ablehnungsbescheide erhalten. Nur in Berlin waren es mehr. Bei den Verwaltungsgerichten lag die Ablehnungsquote mit 44 Prozent aber nur leicht über dem Bundesschnitt mit 38 Prozent. Unter dem Durchschnitt entwickelte sich mit 21 Prozent (bundesweit 24 Prozent) die Zahl der Abschiebungen, obwohl dafür seit 2015 ein christdemokratischer Innenminister verantwortlich ist.
„Abschiebungen sind ein hartes Geschäft“, sagte Innenminister Thomas Strobl. Er verwies darauf, dass die Zahlen seit seinem Amtsantritt deutlich gesteigert worden seien. Im Jahr 2017 habe man auf einem bundesweiten Spitzenplatz, auch vor Bayern, gelegen. „Diese Konsequenz würde ich mir auch von anderen Ländern wünschen.“ Allerdings gebe es oft Hürden, erklärte ein Sprecher. So würden Baden-Württemberg besonders viele Menschen aus Gambia zugeteilt. Mit dem westafrikanischen Land sei es besonders schwierig, Rücküberführungen zu vereinbaren.
Der Sprecher des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofs, Matthias Hettich, verwies darauf, dass es durchaus nicht ungewöhnlich sei, wenn Gerichte in ähnlichen Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen kämen. Der Instanzenweg sichere am Ende eine Vereinheitlichung der Entscheidungen. Liege ein höchstrichterliches Urteil vor, strahle dies auf alle Gerichte aus. „In Asylverfahren hat der Gesetzgeber das Rechtsmittelsystem aber stark eingeschränkt“, sagte Hettich. Teilweise gebe es nicht einmal mehr eine Berufungsinstanz. Für Schneider ist das eine Gefahr. Die Auswirkungen möchte er als Nächstes untersuchen. „Ich nehme an, dass sich Verwaltungsgerichte auch innerhalb eines Bundeslands unterschiedlich verhalten.“ So könne es eine Rolle spielen, ob über eine Asylklage in Sigmaringen oder in Stuttgart entschieden werde.