Symbolfoto: BilderBox/ E. Wodicka
Von Uwe Speiser
WAIBLINGEN. Ein Mann, 43, liegt mit seiner elfjährigen Stieftochter im Ehebett. Das ist in der Familie offenbar schon seit Jahren so üblich. Das Mädchen, das noch zwei ältere Geschwister hat, möchte nicht alleine in seinem Zimmer schlafen, kommt Nacht für Nacht, von sich aus, ins Schlafzimmer der Eltern. Auch wenn die Mutter, die schichtet, abends arbeitet. Jahrelang geht das gut. An diesem Abend aber, die Mutter ist schaffen, das Mädchen gerade eingeschlafen, wacht sie plötzlich auf, spürt, dass der Mann eine Hand von ihr zu sich herangeführt hat.
Erschrocken zieht sie ihre Hand zurück, steht auf, verlässt fluchtartig Bett und Zimmer – und erzählt auch lange Zeit danach niemandem von dem Vorfall.
Der kommt erst sehr viel später auf ziemlich verschlungenen Wegen raus, da hat sich die Mutter mit ihren drei Kindern längst vom Stiefvater getrennt. Das Mädchen offenbart sich, immer noch unter dem Vorfall leidend, der Schulsozialarbeiterin. Die Mutter bekommt das, aber nur zufällig, über eine WhatsApp-Nachricht, die gar nicht an sie gerichtet war, heraus – und fällt aus allen Wolken.
Zwei Jahre nach dem verhängnisvollen Abend befasst sich das Amtsgericht Waiblingen mit dem Geschehen. Der Vorwurf der Anklage lautet „sexueller Missbrauch eines Kindes“. Der Richter schlägt dem Mann eingangs ein Geständnis vor, er könne damit der mittlerweile 13-Jährigen eine Zeugenaussage vor Gericht ersparen. Der Mann hält dagegen, bleibt auch in der Verhandlung dabei: „Es war aber nicht so!“ Seine Verteidigungsstrategie: Das Ganze sei allenfalls „unbewusst“ geschehen, im Schlaf. – Es kann sein, dass er glaubt, ohnehin nicht damit durchzukommen, wenn er schlicht und strikt alles abstreitet. Es liegt die Vermutung nahe, dass, so seltsam es klingen mag, das Band zwischen ihm und seiner ehemaligen Familie – und vor allem dem Mädchen – noch nicht völlig zerschnitten ist, er und auch das Mädchen die emotionale Verbundenheit, die es wohl zwischen ihnen noch gibt, nicht endgültig kappen wollen. Aber er will auch nicht, das betont er ausdrücklich, als Kinderschänder dastehen.
Dem Mädchen bleibt also die Aussage vor Gericht nicht erspart – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In seiner Urteilsbegründung sagt der Richter später, das Mädchen habe nicht den Eindruck gemacht, dass es etwas erfinde. Es habe nichts aufgebauscht, nichts dramatisiert. Das Auftreten von ihm spreche dafür, dass es so war, wie es in der Anklage stehe. So wie der Angeklagte dagegen den Vorfall schildere – verschiedene Abläufe hintereinander im Schlaf mit einem „solchen Ergebnis“ –, müssten „ein bisschen arg viele Zufälle zusammengekommen sein“, damit es stimmen könne. Zu viele, befindet der Richter. Der auch nichts davon hält, wie vom Verteidiger angeregt, einen Sachverständigen dazu anzuhören, ob es „grundsätzlich“ möglich sei, dass es so war, wie es der Angeklagte schildert. Das enthebe das Gericht doch nicht der Aufgabe, selbst den vorliegenden Einzelfall zu beurteilen, entgegnet der Richter. Gleichwohl handle es sich, das sehe er gleich wie die Anklage, um einen minderschweren Fall, ganz am unteren Rand der Strafbarkeit, so der Richter.
Der Gesetzgeber sehe mittlerweile bei diesem Delikt aber keinen minderschweren Fall mehr vor und damit auch nicht die Möglichkeit nur einer Geldstrafe, sondern eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten. Zu dieser wurde der Mann schließlich verurteilt, allerdings wurde die Haft vom Richter ohne jeden Zweifel daran auf Bewährung ausgesetzt. Minderschwerer Fall aber hin oder her: „So etwas macht man nicht, das darf einfach nicht passieren“, mahnt der Richter den Angeklagten zum Abschluss.