Das dritte Parlament im Visier

Sie saß schon im Stuttgarter Landtag und im EU-Parlament in Brüssel, jetzt will Inge Gräßle in den Bundestag. Gleich nach der Nominierung durch die CDU hat die 59-Jährige eine erste Tour durch den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd gestartet.

Das dritte Parlament im Visier

Das „alte Schlachtross“ hat noch Lust auf Politik: Zwei Jahre nach dem unfreiwilligen Abschied aus dem EU-Parlament startet Inge Gräßle einen neuen Anlauf in der Bundespolitik.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Wer den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd künftig im Deutschen Bundestag vertreten wird, entscheiden die Wähler zwar erst in neun Monaten, doch die größte Hürde auf dem Weg nach Berlin hat Inge Gräßle schon übersprungen. Im CDU-internen Rennen setzte sie sich im Oktober gegen zwei männliche Konkurrenten durch (wir berichteten). Damit hat die 59-Jährige beste Chancen, im September 2021 ihren Parteifreund Norbert Barthle zu beerben, denn seit der Gründung des Wahlkreises ging das Direktmandat immer an den CDU-Kandidaten. Zwar gibt sich Gräßle alle Mühe, nicht zu siegessicher zu wirken und erinnert daran, dass in ihrer Heimatstadt Heidenheim, die ebenfalls als tiefschwarz galt, vor fünf Jahren ein Grüner bei der Landtagswahl triumphierte. Doch wenn sie bei ihrem Besuch in Backnang von ihren Plänen und Ideen erzählt, dann merkt man, dass sie gedanklich schon in Berlin angekommen ist.

Es wäre bereits ihr drittes Parlament nach acht Jahren im Landtag und 15 Jahren als Europaabgeordnete (siehe Infobox). Augenzwinkernd bezeichnet Gräßle sich selbst als „altes Schlachtross“. Und obwohl sie noch gar nicht gewählt ist, hat sie ihre politische Arbeit schon aufgenommen und damit begonnen, die Bürgermeister der 34 Städte und Gemeinden in ihrem Wahlkreis zu besuchen. Dank großzügiger Pensionsansprüche aus ihrem Job in Brüssel kann sie es sich leisten, sich schon jetzt in Vollzeit auf das angestrebte Mandat vorzubereiten. „Ich bin motiviert bis in die Haarspitzen“, erklärt die 59-Jährige. Was sie antreibe, sei nicht der gut dotierte Posten in Berlin, sondern der Wunsch, etwas zu bewegen und die Region in einer schwierigen Situation voranzubringen.

Als Parteichef nimmt sie jeden, der kommt.

Von ihrer Tour durch die Rathäuser hat sie auch schon erste Arbeitsaufträge mitgenommen. So hat sie zum Beispiel erfahren, dass beim Breitbandausbau vom Förderantrag bis zum Baggerbiss oft mehrere Jahre vergehen. Das müsse schneller gehen, fordert Gräßle und will der Sache im Falle ihrer Wahl auf den Grund gehen. Immerhin gehörte die Frage, wie Verwaltung besser und effizienter werden kann, schon in Brüssel zu ihren Kernthemen. Außerdem beschäftigt sie die Zukunft der Autoindustrie, die für die Region eine herausragende Bedeutung habe. Wenn Politiker ein schnelles Verbot aller Verbrennungsmotoren fordern, wird Gräßle angst und bange: „Die Auswirkungen wären furchtbar. Wir sollten lieber versuchen, den Verbrenner weiterzuentwickeln und parallel neue Antriebsformen wie Wasserstoff- und Elektrofahrzeuge voranzubringen.“

In welcher Koalition und unter welchem Bundeskanzler die Weichen gestellt werden, ist noch offen. Zunächst einmal braucht die CDU einen neuen Vorsitzenden. Von Inge Gräßle ist bekannt, dass sie nicht dem Fanclub von Friedrich Merz angehört. Vor zwei Jahren hatte sie sich deutlich für Annegret Kramp-Karrenbauer als Vorsitzende ausgesprochen. Diesmal verzichtet sie allerdings auf eine öffentliche Positionierung: „Ich nehme jeden, der kommt, und arbeite konstruktiv mit ihm zusammen“, sagt die ehemalige Landesvorsitzende der Frauenunion. Wichtiger als die Frage, wer das Rennen macht, sei jetzt, dass sich die CDU geschlossen hinter dem Sieger versammelt. Denn von parteiinternen Streitereien würde am Ende nur der politische Gegner profitieren.

Ziel ihrer Partei müsse es sein, dass eine Regierungsbildung ohne die CDU nach der Wahl im September nicht möglich ist. Eine Koalition mit den Grünen hält Gräßle für schwierig, aber nicht für unmöglich: „Wir müssen aber vorher klären, wo unsere Schmerzgrenzen sind.“ Ein striktes Straßenbaumoratorium komme für sie zum Beispiel nicht infrage. Die persönliche Mobilität der Menschen müsse dauerhaft gesichert werden, „gerade im ländlichen Raum“.

Druck machen für eine Ortsumfahrung Oppenweiler.

Als etablierte Berufspolitikerin mit guten Kontakten in Berlin glaubt Inge Gräßle, dass sie für ihren Wahlkreis genauso viel erreichen kann wie ihr Vorgänger: „Die Erfolge beim Ausbau der B14 und der B29 wären ohne einen engagierten Abgeordneten vor Ort nicht möglich gewesen“, sagt Gräßle und lobt die „Riesenleistung von Norbert Barthle“. Mit demselben Nachdruck will sich die 59-Jährige nun etwa für den Bau einer Ortsumfahrung in Oppenweiler einsetzen. Und sie will für den Erhalt des Wahlkreises Backnang/Schwäbisch Gmünd kämpfen, der im Zuge der geplanten Wahlrechtsreform auf der Kippe steht, weil er Gemeinden aus zwei Landkreisen umfasst, die sonst kaum etwas miteinander zu tun haben. Inge Gräßle sieht trotzdem viele Gemeinsamkeiten: Die große Abhängigkeit von der Automobilindustrie sei ebenso vergleichbar wie der starke ländliche Raum.

Zur Person

Ingeborg Gräßle wurde am 2. März 1961 in Großkuchen bei Heidenheim geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie zunächst ein Volontariat bei der Augsburger Allgemeinen Zeitung und arbeitete dort zwei Jahre als Redakteurin.

Ab 1984 studierte sie Romanistik und Politikwissenschaft in Stuttgart und Paris, anschließend promovierte sie an der Freien Universität Berlin.

Ab 1995 war Gräßle Sprecherin der Stadt Rüsselsheim, ein Jahr später wurde sie im Wahlkreis Heidenheim für die CDU in den Landtag gewählt. 2001 verteidigte sie das Direktmandat.

2004 zog Inge Gräßle in das Europaparlament ein, dem sie insgesamt 15 Jahre angehörte. Unter anderem war sie in Brüssel Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Gruppe und Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses. Bei der Europawahl 2015 verpasste sie auf Listenplatz5 jedoch den erneuten Einzug.