„Das Fahrrad ist meine pure Leidenschaft“

Sommerreportage: Mit seiner mobilen Radwerkstatt hat Carlos Weinbeer aus Burgstall eine Marktlücke entdeckt. Professionell ausgestattet fährt er zu Kunden im ganzen Kreis und darüber hinaus. Vor Ort führt der 35-jährige Kfz-Meister Inspektionen durch und repariert auch Schäden.

„Das Fahrrad ist meine pure Leidenschaft“

Carlos Weinbeer ist zufrieden mit sich und seiner Arbeit. „Ich lebe meinen Traum und habe es geschafft, mein Hobby zum Beruf zu machen“, sagt der 35-Jährige. Fotos: A. Becher

Von Florian Muhl

rems-murr. Die Kette springt, die Gangschaltung spinnt, die Bremse zieht nicht mehr oder ist’s nur ein Plattfuß, der die Fahrt mit dem Drahtesel zur Reparatur beim Fahrradladen äußerst schwierig gestalten lässt, wenn nicht gar unmöglich macht? Was tun? Carlos Weinbeer aus Burgstall hat solche Sorgen und Nöte der Fahrradbesitzer nicht nur erkannt, sondern auch eine Lösung gefunden. Mit seiner mobilen Radwerkstatt kommt der 35-Jährige dort hin, wo immer Kunden seine professionelle Hilfe benötigen.

Kundentermin vor Ort in Unterweissach. Es ist 13 Uhr. Sechs Räder, drei davon E-Bikes, warten auf Weinbeer. Er klemmt die Sattelstange des ersten Fahrrads in eine Arbeitshalterung in seinem Werkstattbus. Aufrecht stehend hat er so das Zweirad in Augenhöhe vor sich. Was ein Zweiradmechaniker jetzt bei einer Inspektion oder Durchsicht zu tun hat, gibt der Arbeitsumfang vor, den die „Kommission für Arbeitswerte“ des Bundesinnungsverbands für das Deutsche Zweiradmechaniker-Handwerk (BIV) erarbeitet hat.

Weinbeer hat diese Checkliste verinnerlicht. „Ich fange in der Regel am Lenker und dem Vorbau an und arbeite mich von vorne nach hinten durch“, sagt er. Bei Rahmen und Gabel schaut er beispielsweise, ob er äußerlich sichtbare Verformungen oder gar Risse und Korrosion entdeckt. Weiter geht’s mit Sattel und Sattelstütze sowie Tretlager, Schaltung und Kette. Zum Schluss beziehungsweise zwischendurch sind die Räder und Bremsen sowie die Lichtanlage und Federung dran. Der Mechaniker hat ein großes Sortiment an Ersatzteilen an Bord seines Busses. Sollte eine Reparatur mal nicht möglich sein, weil es beispielsweise lange Wartezeiten bei bestimmten Ersatzteilen gibt, bietet er auch einen Hol- und Bringservice an. Zum Materialpreis und der benötigten Arbeitszeit berechnet er noch den Anfahrtsweg. Weinbeer richtet sich nach der AW-Tabelle der Fachverbände.

Zum Pressetermin um 16 Uhr ist Weinbeer wider Erwarten bereits fertig. Die Durchsicht aller sechs Räder hat er beendet, hat auch schon Ketten und Reifen getauscht. „Da steckst du manchmal nicht drin“, sagt der 35-Jährige. „Beim ersten Termin hier vor vier Wochen habe ich Stunden mit nur einem Fahrrad zugebracht. Da kam eins zum anderen. Heute dagegen ist’s nur so geflutscht.“

Ursprünglich hatte der gebürtige Cannstatter aus beruflicher Sicht einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Nach dem Besuch der Max-Eyth-Realschule und des technischen Gymnasiums in Backnang mit Abschluss Fachhochschulreife begann er eine Ausbildung zum Fachinformatiker. „Doch das war nicht mein Ding“, sagt er heute. Nach einem Jahr Zivildienst absolvierte er eine Kfz-Mechatronikerlehre bei Daimler Benz, arbeitete anschließend zwei Jahre in einem Mercedes-Autohaus und ist seit 2011 bei der Daimler AG im Bereich Lkw-Motorenentwicklung beschäftigt. Parallel dazu hat er sich abends zum Kraftfahrzeugtechnikermeister weitergebildet.

Doch seine jetzige Tätigkeit befriedigt Weinbeer nicht. „Ich sehe in dem Job keine Zukunft. Und das ist auch nicht meine Leidenschaft. Meine pure Leidenschaft ist, seit ich denken kann, das Fahrrad“, schwärmt er mit einem Leuchten in den Augen. Im vergangenen Jahr hat sich die Situation zugespitzt, als sein Arbeitgeber die Arbeitszeiten reduzierte. Bei Weinbeer, der mit seiner Frau Tina zwei vier- und fünfjährige Mädchen hat und 2016 ins neu gebaute Eigenheim in Burgstall zog, kommt es auf jeden Euro an. So machte er seine Leidenschaft zu einem zweiten Standbein. „Irgendwann im Frühjahr letzten Jahres hatte ich einen Geistesblitz: Warum nicht mit der Werkstatt zum Kunden fahren?“ Die Idee nahm immer konkretere Formen an. Eine Recherche ergab, dass es so ein Angebot im Rems-Murr-Kreis noch nicht gab. Es folgten zahlreiche Gespräche mit der Handwerkskammer und den Banken. Im September vergangenen Jahres stand die Firmengründung an. Allerdings brauchte Weinbeer noch einen Werkstattbus. Nach langer Suche war endlich ein geeignetes Basisfahrzeug gefunden. Keine Frage, den Ausbau erledigte der Handwerker selbst.

Vor fünf Monaten ging’s richtig los. Der Bus war fertig, der Internetauftritt erstellt, Flyer waren gedruckt und ausgeteilt. Dann der erste Kunde, ein Daimler-Kollege. „Ein tolles Gefühl“, gesteht Weinbeer. Den Zehner von der ersten Rechnung hat er sich eingerahmt und im Bus aufgehängt, „wie Dagobert seinen Glückszehner“, lacht der Jungunternehmer. Seit März arbeitet Weinbeer jetzt vormittags bei Daimler und widmet sich nachmittags seinen Zweiradkunden, „bis die mobile Radwerkstatt tragbar wird“, sagt er, dann kann er seinen Traum den ganzen Tag leben. „Ich dreh am Rad und hab Spaß dabei. Und mein Anspruch ist, hochprofessionelle Arbeit abzuliefern, so, wie ich’s beim Daimler gelernt hab.“ Weil die Leidenschaft so groß ist, hat der 35-Jährige in diesem Jahr noch eine Ausbildung zum MTB-Tourenguide IHK absolviert.

Letztlich durch Mund-zu-Mund-Propaganda freut sich Weinbeer über immer mehr Kunden, nicht nur aus dem Raum Backnang, sondern auch aus Lorch, Oberstenfeld und Freiberg am Neckar. Einer von den ersten war Zahnarzt Are Hilliges. Der Kontakt? Ein purer Zufall. Weinbeers Frau Tina ging zu Hilliges in die Praxis. Während der Arzt sich um ihre Zähne kümmerte, erzählte die 32-Jährige nebenbei, dass ihr Mann eine mobile Radwerkstatt hat. Hilliges wurde hellhörig und beauftragte Weinbeer. Jetzt kümmert sich der Mechaniker um die Zähne der Fahrräder des Zahnarztes und seiner Familie.

„Ich könnte die Arbeiten an den Rädern zwar selbst erledigen, das Werkzeug dazu habe ich in der Garage hängen“, sagt Hilliges, „aber ich habe einfach keine Lust, zwei, drei Stunden meiner Freizeit zu opfern, und er macht in der Hälfte der Zeit das doppelte Geschäft.“ Der Service, dass die Arbeiten bei ihm zu Hause in Unterweissach erledigt werden, sei sehr bequem. „Zudem ist er ein sehr netter Kerl, hat gut beraten und gutes Material. Wir haben uns sofort gut verstanden“, sagt Hilliges. – Weinbeer bricht mit seinem Bus auf, der nächste Kunde wartet.