Das große Tauziehen fällt aus

Dem Kreishaushalt scheint breite Zustimmung sicher zu sein. In ihren Stellungnahmen zum Etat haben sich die Fraktionen mit abweichenden Positionen und Anträgen sehr zurückgehalten. Geschuldet ist dies den besonderen Rahmenbedingungen durch die Coronapandemie.

Das große Tauziehen fällt aus

Der Entwurf für den Kreishaushalt 2021 ist der erste, der nicht mehr als Buch, sondern ausschließlich in digitaler Form vorliegt. Foto: Landratsamt

Von Bernhard Romanowski und Armin Fechter

WINTERBACH. Die Botschaft war ziemlich eindeutig, und sie zog sich durch mehrere Reden: „Die aktuelle Pandemielage“, so beispielsweise Armin Mößner, der Vorsitzende der größten Fraktion im Kreistag, der CDU, „billigt kein großes Tauziehen um die Kreisumlage.“ Die Kreisumlage ist das Geld, das die Städte und Gemeinden an den Landkreis abliefern müssen, damit der Haushalt letztendlich passt – und zu anderen Zeiten bot dieses Finanzgefüge schon Anlass zu höchst dramatischem Gefeilsche.

Freilich: Mößner knüpfte an seine Aussage eine Bedingung. Die Fraktion werde dem Planwerk und damit dem vorgesehenen Kreisumlage-Hebesatz von 31,1 Prozent – immerhin der niedrigste seit 25 Jahren – „vorbehaltlich weiterer Ergebnisverbesserungen“ zustimmen. Die Einschränkung bezieht sich auf die bereits absehbare Verbesserung der Finanzlage im laufenden Haushaltsjahr von über 18 Millionen Euro.

Überschüsse bei den Kreisfinanzen bieten immer wieder Stoff für Zoff.

Es entstehe der Eindruck, begründete der Murrhardter Bürgermeister auch mit Blick auf zurückliegende Rechnungsergebnisse, dass „mit Schrankwänden im Haushalt vorgebaut“ wurde. Sprich: Die Verwaltung kalkuliert so viele Sicherheiten in ihren Etatentwurf ein, dass am Ende schier nichts anderes als ein zweistelliges Plus herauskommen kann. Der Landkreis ist also in der Lage, nicht nur seine Abschreibungen voll zu erwirtschaften, sondern auch noch einen Überschuss zu erzielen, was die meisten Kommunen nicht schaffen. Und das bietet immer wieder Stoff für Zoff. Mößner knapp, aber deutlich: „Wir wünschen einen besseren Ausgleich.“ Sorge bereite aber die Entwicklung beim Schuldenstand: Ein Anstieg von derzeit 30 auf bis zu 150 Millionen Euro steht im Raum.

Inwiefern die Auswirkungen der Pandemie die Kreisfinanzen noch langfristig belasten, ist nicht absehbar, merkte Maximilian Friedrich (Freie Wähler) an: „Wir sollten unseren Haushalt deshalb bewusst auf Sicht fahren.“ Zugleich zeigte er sich überzeugt, „dass es gerade in Zeiten von Corona nicht darum gehen sollte, aufgrund zweier bevorstehender Wahlen hier und heute politische Schlachten zu schlagen, sondern stattdessen im guten Miteinander die jeweils besten Lösungen für uns vor Ort zu finden“.

Auch Anne Kowatsch (Grüne) vertrat das Motto: „Auf Sicht fahren.“ Vorsorge, Weitsicht und nachhaltiges Wirtschaften seien gefordert. Ausdrücklich lobte Kowatsch, dass lediglich sechseinhalb neue Stellen eingeplant seien, die im Gesundheitsamt dringend gebraucht würden.

„Weniger Kreisumlage geht nur mit Verzicht auf Aufgabenerfüllung – oder falls neue Zuwendungen fließen“, erklärte Klaus Riedel (SPD). Man wolle solidarisch mit der Verwaltung und den Kommunen versuchen, den Etat zu gestalten – dies vor dem Hintergrund der Lage.

Mahnend gab derweil Julia Goll (FDP-FW) zu bedenken, dass die aktuell gute finanzielle Situation teuer erkauft sei, nämlich durch die Entlastungspakete von Bund und Land. Zudem wies sie auf die entgegen dem Landestrend sinkende Steuerkraft der Kommunen in der Region Stuttgart hin.

Namens der AfD attackierte Frank Kral die „Geldgeschenke“ von Bund und Land in der Pandemie, die man „fast als obszön bezeichnen“ könne. Er sprach sich für eine Kürzung der Kreisumlage aus, und zwar um die 4,9 Millionen Euro, die für die Baumaßnahmen am Landratsamt in Waiblingen vorgesehen sind.

Positiv beurteilt wird von den Fraktionen die Entwicklung bei den Kliniken. Der kranke Mann des Kreiskonzern habe sich erholt, sagte Mößner. Von rund 35 Millionen Euro im Jahr ist das Defizit binnen sechs Jahren auf 12,6 Millionen Euro laut Planung für 2021 gesunken – und das bei vielfältigen medizinischen Verbesserungen. Ziel sei ein Genesungsprozess auf die Marke von fünf bis zehn Millionen Euro. Ähnlich äußerten sich die anderen Fraktionen. So sprach Julia Goll von einer Erfolgsgeschichte für das einstige Sorgenkind des Landkreises.

Viel Anerkennung, Lob und Dank zollten die Kreisräte für die Arbeit in den Kliniken sowie das Krisenmanagement im Zusammenwirken zwischen Gesundheitsamt und lokalen Ordnungsämtern. „Die Coronapandemie verlangt bis heute von der gesamten Mannschaft alle Kräfte ab“, sagte etwa Kowatsch. Goll zeigte zudem Verständnis dafür, dass angesichts der außergewöhnlichen Anstrengungen die eine oder andere Aufgabe liegen bleibt. Zustimmung erntete Landrat Richard Sigel für Maßnahmen wie die Einrichtung einer Infektionsstation.

Wiederholt war auch die Rede vom „Rems-Murr-Spirit“. Diesen gelte es zu forcieren, fand Mößner – gerade im Hinblick auf das 50-jährige Bestehen des Rems-Murr-Kreises im Jahr 2023.

15 Minuten Redezeit

Die Salierhalle in Winterbach war Schauplatz der Kreistagssitzung. In der Sitzung sprachen die Fraktionen in der Reihenfolge, die sich aus einer Turnusregelung ergeben hatte: AfD, CDU, Freie Wähler, Grüne, SPD und FDP-FW. Die Redezeit betrug jeweils 15 Minuten. Im Anschluss konnten sich die kleineren Gruppierungen äußern – jeweils siebeneinhalb Minuten lang.

Gudrun Senta Wilhelm erklärte namens der zweiköpfigen Gruppe Wilhelm/Klinghoffer, die Kreisumlage „mit Freude“ mitzutragen. Sie forderte für den öffentlichen Nahverkehr den Einstieg in „On-Demand-Verkehre“, also abrufbare Fahrzeuge, oder fahrerlose Verkehrsmittel – „autonom fahrende Busse“. Ihr Beispiel: Monheim am Rhein, wo fünf kleine E-Shuttles fahren. Zugleich beklagte Wilhelm, dass es kein Ruftaxi zur Anbindung der S4 gibt. Weiter regte sie einen Fahrradübungsplatz für Erwachsene mit E-Bikes an. Wilhelm rief – in einer persönlichen Anmerkung – dazu auf, als Zeichen der Solidarität und der Ökumene abends um 19.30 Uhr, wenn die Kirchenglocken zum Coronagebet läuten, für fünf Minuten vor die Türe zu treten.

Philip Köngeter und Rudolf Wrobel teilten sich die Redezeit für die vierköpfige Zählgemeinschaft Die Linke/ÖDP. Köngeter schlug zum Wohnungsmangel vor, eine Wohnraum- und Leerstandstelle zu schaffen. Ferner soll der Landkreis ein Kultur- und Sportstättenprogramm auflegen, um ehrenamtliches Engagement zu unterstützen. Wrobel forderte die Einführung eines obligatorischen Klimachecks bei Vorhaben des Kreises und ein 1000-Dächer-Programm zur Förderung des Ausbaus der Fotovoltaik sowie eine Abwrackprämie zum Ausstieg aus der Individualmobilität mit Verbrennungsmotor und Stärkung des ÖPNV.