Das Haus der Gemeinde erstrahlt in neuem Glanz

Zur feierlichen Einweihung der neuen alten Backnanger Stiftskirche am Sonntag waren alle Plätze im Gotteshaus restlos besetzt. Landesbischof Frank Otfried July erinnert in seiner Festtagsrede an die Pfingsterzählung und findet Parallelen in der Gegenwart.

Das Haus der Gemeinde erstrahlt in neuem Glanz

„Jauchzet Gott in allen Landen“, gesungen von Angelika Lenter beim Eröffnungsgottesdienst. Fotos: J. Fiedler

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Es begann alles mit einem Gottesdienst – natürlich tat es das – es war ja schließlich die altehrwürdige Stiftskirche, die da wiedereingeweiht wurde nach ihrer gefühlt endlosen Generalsanierung. Die eigentliche Bauzeit mit geschlossener Kirche hat „nur“ gute zwei Jahre gedauert, vom 1. März 2019 bis zum Pfingstfest 2021 – und doch: Die Welt um die Stiftskirche herum ist eine ganz andere geworden.

Wie gut tat da dieser Festakt: An Mundschutz und Abstand und den Verzicht aufs gemeinsame Singen hat man sich ja gewöhnt inzwischen, das fühlte sich ganz normal an. Obwohl es nach wie vor eine echte Hemmschwelle ist, sich zu einem Gottesdienst anmelden zu müssen, war die Kirche bis auf den (derzeit erlaubten) letzten Platz besetzt und wer keinen Platz in der Kirche ergattert hatte, konnte per Liveübertragung auf dem Stiftshof am Gottesdienst teilnehmen: Evangelisch, katholisch, aus Backnang oder den Umlandgemeinden, prominent oder nicht und etliche, die sich zu diesem Anlass zum ersten Mal nach über einem Jahr wieder in die Öffentlichkeit wagten – es war ein Fest der „Bürgergemeinschaft“, wie der württembergische Landesbischof Frank Otfried July es in seiner Predigt nannte, ein Fest der Musik, ein Brückenschlag zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und ein Fest des Glaubens, dass es etwas Größeres gibt als uns und unsere derzeitigen Sorgen und Nöte. „Noch nie war Pfingsten so nötig wie heute“ sagte der Landesbischof und weil die Pfingsterzählung so alt und für viele blass geworden sei, erinnerte er daran, worum es da (eben auch) ging: Um die Verständigung von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachräumen, ums Einanderzuhören und Einanderverstehen. „Unser Leben ist mehr als das, was wir selbst produzieren können.“ Dafür ist die Stiftskirche das ganz passende Symbol: Ein Geschenk unserer Ururgroßväter und -mütter und eine Leihgabe unserer Urenkel – jede Generation trägt ihr Teil dazu bei.

Statt eines Schlüssels wurde ein Rilke-Band übergeben.

Man kann das überall sehen in der neuen alten Kirche: In neuem Glanz das uralte Deckengewölbe des gotischen Chors und davor das schwarze Metall der neuen, quadratischen Kanzel. Man kann es riechen im Sandstein der Krypta aus dem 12. Jahrhundert und auf der nagelneuen Holztreppe zur Empore. Man kann es hören, in der veränderten Akustik, die dem Orgelklang so viel Raum gibt – und nicht zuletzt spürt man es sogar am Hinterteil: Zum ersten Mal sitzt man bequem in der Stiftskirche – vor allem diejenigen, die das (akustische) Pech hatten, der Musik im Rücken im Chorraum verteilt zu sitzen – zum Ausgleich durften sie die neuen Stühle einweihen. Apropos Musik: Der Verzicht aufs Selbersingen fiel leicht beim wunderbaren „Jauchzet Gott in allen Landen“, gesungen von Angelika Lenter, begleitet von Hans-Joachim Renz und einem kleinen, feinen Streichensemble, das mit ansteckender Freude musizierte und der genialisch jubilierenden historischen Barocktrompete, gespielt von Marc Lentz.

Die Welt ist eine andere geworden – und so war denn auch die „Schlüsselübergabe“ durch den Architekten, Prof. Henning Baurmann, gar keine Schlüsselübergabe. „Denn“, so erklärte er launig, „offenbar sind Sie ohnehin schon im Besitz des selbigen (Schlüssels), schließlich säßen wir sonst nicht, wo wir gerade sitzen.“ Wohl wahr. Trotzdem war er nicht mit leeren Händen gekommen. Er überreichte Pfarrerin Sabine Goller-Braun und Dekan Wilfried Braun eine „reichlich zerlesene und auch schon etwas aus dem Leim gegangene“ Erstausgabe von Rainer Maria Rilkes ‚Geschichten vom lieben Gott‘ mit warmem Dank für diese fast zehnjährige bemerkenswerte Bauherrschaft. „Als Architekt nehme ich heute Abschied von diesem Haus voller Geschichten, das für knappe zehn Jahre „mein“ Haus war. Nun soll es wieder Ihr Haus sein, das Haus der Backnanger Bürger, das Haus der evangelischen Gemeinde dieser Stadt.“

Da war ein Lächeln hinter allen Mund-Nase-Bedeckungen, nicht zu sehen, aber ganz deutlich spürbar. Große Erschöpfung durchaus, vor allem natürlich beim Pfarrerehepaar, Dekan Wilfried Braun und Sabine Goller-Braun, nach dieser schier unendlichen Kraftanstrengung, aber auch bei allen anderen nach 15-monatigem Dauerausnahmezustand – aber auch unkaputtbar die Zuversicht, dass das Leben mehr ist, als wir selbst machen können und müssen. Auch dafür steht die Stiftskirche seit unvordenklichen Zeiten und hoffentlich lange, lange noch. So soll es sein.

Das Haus der Gemeinde erstrahlt in neuem Glanz

Aufgrund der Coronapandemie konnten längst nicht alle Plätze im Innenraum der Kirche belegt werden. Wer keinen Sitz mehr ergattern konnte, konnte die Übertragung des Gottesdiensts im Stiftshof verfolgen – mit Blasmusik zur Begrüßung.