Das Klimaziel ist rechnerisch schon erreicht

Eine CO2- und Energiebilanz der Hochschule Esslingen weist für den Rems-Murr-Kreis erfreuliche Zahlen auf. Besonders die Investitionen in die Anlagen zur Energieerzeugung der kreiseigenen Abfallwirtschaft schlagen hierbei positiv zu Buche. Die Erhebung für die kreiseigenen Schulen und Kliniken steht noch aus.

Das Klimaziel ist rechnerisch schon erreicht

Der Blick auf die Gebäude des Rems-Murr-Kreises, hier die Außenstelle des Landratsamts in Backnang, offenbart einigen Sanierungsbedarf zum Klimaschutz. Foto: A. Becher

Von Bernhard Romanowski

WAIBLINGEN. „Klimaschutz ist machbar“, sagt Landrat Richard Sigel. Und wenn man selbst mit gutem Beispiel vorangeht, kann man viel erreichen, so sein Credo. Das gilt auch beim Klimaschutz. In Abstimmung mit den Kreispolitikern wurde 2019 das Ziel gesetzt, die kreiseigenen Liegenschaften bis 2030 klimaneutral zu betreiben. Das wäre 20 Jahre früher, als die Bundesregierung es in ihrem Klimaschutzplan avisiert hat. Und der sportliche Ehrgeiz des Landrats scheint sich bereits in positiven Zahlen niederzuschlagen. So zumindest liest sich die jüngst vorgestellte CO2- und Energiebilanz des Landkreises.

Deren Ergebnis ist erfreulich: Der Kreiskonzern ist bereits jetzt schon in weiten Teilen klimaneutral. „Es ist das erklärte Ziel der Landkreisverwaltung, nicht nur ehrgeiziger und ambitionierter beim Klimaschutz zu werden, sondern auch messbarer“, so Kreischef Sigel. Deshalb wurde bereits 2019 beschlossen, eine Klimabilanz zu erstellen. Deren Fokus sollte zunächst auf dem Kreiskonzern selbst, das heißt auf den Liegenschaften der Landkreisverwaltung, der Kreisbaugruppe und der Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM), liegen.

„Die Erhebung belegt, dass unsere Anstrengungen Wirkung zeigen.“

Um die Erreichung des Ziels greifbar und messbar zu machen, hat die Landkreisverwaltung das Institut für Nachhaltige Energietechnik und Mobilität der Hochschule Esslingen mit ins Boot geholt. Im Rahmen eines Studienprojekts unter der Leitung des Institutsdirektors Ralf Wörner wurde dann die CO2- und Energiebilanz erstellt.

„Die Erhebung der Hochschule belegt, dass unsere Anstrengungen in Sachen Klimaschutz Wirkung zeigen“, kommentiert Landrat Sigel das Zahlenwerk. „Besonders die Investitionen und Projekte zur regenerativen Energieerzeugung bei der Abfallwirtschaft Rems-Murr in Millionenhöhe zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zahlen sich aus“, so Sigel mit Blick auf die Fotovoltaikanlagen, die Biovergärung und die Deponiegasverwertung der AWRM. Die Klimabilanz zeigt: Für die Verwaltungsgebäude des Landkreises wurde bei einem Energieverbrauch (Strom und Wärme) von rund 3,7 Millionen Kilowattstunden pro Jahr ein CO2-Ausstoß von rund 406 Tonnen pro Jahr ermittelt. Hinzu kommen rund 330 Tonnen CO2 pro Jahr für die dienstliche Mobilität. Durch den Betrieb der Schulen wurden im Jahr 2018 noch weitere 2190 Tonnen CO2 emittiert. In Summe ergibt sich daraus ein CO2-Ausstoß von 2926 Tonnen pro Jahr. Diesem Ausstoß stehen CO2-Einsparungen aus den Energieerzeugungsanlagen der AWRM in Höhe von rund 6415 Tonnen CO2 pro Jahr gegenüber, die aus der Energiegewinnung der Biovergärungsanlage und den Fotovoltaikfreiflächenanlagen resultieren. „Es können durch die Anrechnung dieser Einsparungen der regenerativen Energiegewinnung der AWRM die CO2-Emissionen der Verwaltungsgebäude, der dienstlichen Mobilität und sogar der kreiseigenen Schulen des Kreiskonzerns bilanziell kompensiert werden“, erläutert Ralf Wörner, der die Bilanz mit seinen Studenten erstellt hat. „Dies bedeutet, dass der Rems-Murr-Kreis unter konsolidierter Betrachtung das Ziel der Klimaneutralität auch für die kreiseigenen Schulen und somit bereits jetzt über die Verwaltungsliegenschaften hinaus erfüllt“, erläutert der Leiter des Instituts für nachhaltige Energietechnik und Mobilität der Hochschule Esslingen.

Die Hände in den Schoß zu legen, weil das Klimaziel 2030 bilanziell erreicht ist, sei aber nicht angezeigt. Es sei vielmehr wichtig, alle Liegenschaften einzeln zu betrachten und deren Klimaneutralität anzustreben, so Wörner. Um das zu schaffen, wurden bei einer objektspezifischen Betrachtung der Gebäude zusätzliche CO2- und Energieeinsparpotenziale identifiziert: Diese sind hauptsächlich durch energetische Sanierung und Installation von Fotovoltaikanlagen zu erreichen. Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen soll auch in den kreiseigenen Liegenschaften ein klimaneutraler Betrieb bis 2030 erreicht werden. Ein wichtiger Baustein dabei ist die Umsetzung der Gesamtimmobilienkonzeption: der Verwaltungsneubau in der Rötestraße sowie der Erweiterungsbau und die Kernsanierung am Alten Postplatz in Waiblingen, die nun umgesetzt werden sollen (wir berichteten). Die CO2- und Energiebilanz fokussiert sich auf den Betrieb der Verwaltungsgebäude des Landkreises und der Kreisbaugruppe, die Verwaltungs- und Betriebsgebäude sowie Anlagen zur regenerativen Energiegewinnung der Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM). Die kreiseigenen Schulen sowie die dienstliche Mobilität der Kreisverwaltung wurden ergänzend betrachtet.

In einem weiteren Schritt sollen in den kommenden Monaten die Rems-Murr-Kliniken sowie die kreiseigenen Schulen betrachtet und objektspezifische CO2- und Energieeinsparpotenziale identifiziert werden. Außerdem soll die AWRM als Gesamtkomplex betrachtet werden. Diese wurden für die vorliegende Bilanz noch nicht gesondert betrachtet. Der Rems-Murr-Kreis ist bereits seit vielen Jahren im Klimaschutz aktiv. „Mit zahlreichen Aktivitäten dazu hat der Landkreis seine Verantwortung längst angenommen und versteht sich als Vorbild und zentraler Impulsgeber für die Entwicklung und Umsetzung von konkreten Klimaschutzmaßnahmen“, so Sigel.

Bereits 2012 wurde das erste Klimaschutzhandlungsprogramm aufgelegt. 2022 soll es in der vierten Ausgabe fortgeschrieben werden. Für sein Engagement im Klimaschutz wurde der RemsMurr-Kreis 2020 beim bundesweiten Wettbewerb „Klimaaktive Kommune“ mit einem Bundespreis ausgezeichnet. Schon 2019 konnte das Landratsamt einen Bundespreis für Klimaschutzhandlung in Berlin entgegennehmen.

Das Klimaziel ist rechnerisch schon erreicht

Ralf Wörner von der Hochschule Esslingen. Foto: privat

Lange Zahlenkolonnen

Die CO2-und Energiebilanz erfolgte in zwei Schritten. Als Basisjahr der Betrachtung war das Jahr 2018 festgelegt worden. In einem ersten Schritt fand die Zustandsermittlung durch Ortsbegehungen, Aktenstudium und entsprechende Berechnungen statt. „So hatten wir erst einmal unendlich lange Kolonnen an Zahlen“, wie es Ralf Wörner schildert, der das Projekt leitete. Dann wurden die CO2-Äquivalente der vorliegenden Daten errechnet, aus denen die Bilanzierung mit maßvollen Handlungsempfehlungen zur Senkung der Emissionen und des Energieverbrauchs folgte. „Für die Zustandsermittlung der energetischen Verbrauchsdaten für Wärme, Kälte und Strom sowie die Erhebung der Datengrundlage für mögliche Sanierungsmaßnahmen wurden Energiebedarfswerte der Eigentumsobjekte in Anlehnung an die DIN V 18599 berechnet“, geht Wörner ins Detail. Darüber hinaus wurden für alle betrachteten Gebäude (Eigentums- sowie Mietobjekte) reale Verbrauchsdaten zugrunde gelegt.

Wasserstofftechnologie im Blick

Bei der Umsetzung des Klimaschutzhandlungsprogramms des Rems-Murr-Kreises wurden seit 2018 an den kreiseigenen Schulen bereits einige Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen umgesetzt. So wurden beispielsweise am beruflichen Schulzentrum in Schorndorf durch die Fassadensanierung sowie den Bau einer Fotovoltaikanlage rund 283 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart. Auch am beruflichen Schulzentrum in Waiblingen konnten durch die Fassadensanierung und den Bau einer Fotovoltaikanlage rund 130 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.

Die Landkreisverwaltung will das -Angebot des Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) weiter verbessern, um mehr Fahrgäste dafür zu gewinnen. „Insbesondere im Rahmen der wettbewerblichen Vergaben konnten erhebliche Verbesserungen mit bis zu 60 Prozent Mehrverkehr erreicht werden“, heißt es dazu aus dem Waiblinger Kreishaus. Aufgrund der Nutzung des ÖPNV-Angebots lassen sich im Jahr rund 12350 Tonnen CO2 vermeiden. Im Rahmen der Fortschreibung des Nahverkehrsplans soll der ÖPNV-Ausbau weiter vorangetrieben werden und der Anteil sauberer Fahrzeuge in den kommenden Jahren steigen. Den Auftakt machten die ersten Elektrobusse in Waiblingen. Auch gibt es eine kleine, aber stetig zunehmende Zahl an Hybridbussen.

Im Juli 2020 beschloss der Kreistag den Einstieg in die Wasserstofftechnologie. Es wurde eine Wasserstoffstrategie konzipiert, die erhebliche Investitionen in den Umwelt- und Klimaschutz vorsieht. Der Rems-Murr-Kreis wird sich finanziell am Aufbau einer Produktionsanlage und einer Wasserstofftankstelle in Waiblingen beteiligen. „Durch den Einsatz von ,grünem Wasserstoff‘ lassen sich im Vergleich zur Dieselnutzung rund zwei Drittel der Emissionen vermeiden“, rechnet Landrat Sigel vor. Diese Infrastruktur wird die Basis für zunächst neun Wasserstoffbusse bilden, die im Kreis zum Einsatz kommen und der praktischen Erprobung der Wasserstofftechnologie dienen sollen. Bei der zweiten Vergaberunde im Busverkehr, die nun ansteht, gibt es die Möglichkeit, einen bestimmten Anteil sauberer Fahrzeuge verbindlich vorzuschreiben. Auch auf der Wieslauftalbahn sollen die in die Jahre gekommenen Dieselfahrzeuge durch saubere Fahrzeuge ersetzt werden. Eine Machbarkeitsstudie untersucht zurzeit den Einsatz alternativer Antriebsarten, insbesondere von Wasserstoff- und batterieelektrischen Fahrzeugen.

Mit seinem dritten Klimaschutz-Handlungsprogramm lädt der Rems-Murr-Kreis Bürger, Vereine, Schulen und Unternehmen dazu ein, beim Klimaschutz mitzumachen. „Gemeinsam mit der Energieagentur Rems-Murr gGmbH wird durch Energieberatungen und Effizienzchecks bei zahlreichen Privathaushalten und Unternehmen der CO2-Ausstoß im Strom- und Wärmesektor gemindert“, so das Landratsamt. Projekte wie Bike&Work und Stadtradeln erreichten demnach mehrere Tausend Personen und tragen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes im Verkehr bei.

Mit Förderprogrammen wie „Agenda 2030 – Projekte für eine nachhaltige Entwicklung mit Bezug zum Klimaschutz“ soll den Bürgern Gelegenheit geboten werden, selbst klimaschützerisch tätig zu werden. Als beispielhaft sieht man bei der Kreisverwaltung auch Bildungsprojekte wie „Schulen aktiv im Klimaschutz“, die mehrere Tausend Personen erreichen. „Diese Maßnahmen lassen sich nicht so exakt bemessen wie beispielsweise kreiseigene Investitionsprojekte. Gleichwohl tragen sie zur Bewusstseinsbildung insgesamt und damit mittelbar zur CO2-Reduktion und zum Klimaschutz bei“, so Landrat Sigel.