Das Kunst-Flaggschiff nimmt wieder Fahrt auf

Die Staatsgalerie Stuttgart will heraus aus der Baustellenfalle – nicht nur mit Kunststar Banksy

Von Nikolai B. Forstbauer

Die Zahlen sind hart: 199 827 Besucherinnen und Besucher hatte die Staatsgalerie Stuttgart im Jahr 2018, ein Jahr zuvor waren es noch 243 585. Ein Museum, das fast zwei Jahre von allen Seiten von Baustellen umzingelt ist, gerät zwanghaft ins Abseits. „Das Flaggschiff funkt SOS“, titelte unsere Zeitung schon im Dezember 2016.

Nun aber nimmt die Staatsgalerie wieder Fahrt auf. Hausinterne Neustrukturierungen und zentrale Sanierungsarbeiten – zuvorderst die energetische Dachsanierung im Altbau – sind abgeschlossen. In der Staatsgalerie kann man sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren – die Vermittlung von Kunst. Diese beginnt auf der digitalen Klaviatur, führt über die Qualität des Empfangs und der Wegeführung hin zur Begegnung mit den Kunstwerken. Und sie endet mit der Idee des Museums als von weiterführenden Serviceangeboten geprägter Ort lebenslangen Lernens.

Beflügelt durch Programme des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, wurden die digitalen Angebote vervielfacht. Die Willkommenskultur? Ist ausbaufähig – insbesondere in der Wegeführung zu den Kunstschätzen des Hauses aus neun Jahrhunderten. Umso wichtiger ist deren Präsentation. Das Publikum will staunen, überrascht werden und teilhaben. Banksy – Pseudonym für einen Unbekannten – ist Spezialist für Überraschungen. Sprühbilder auf Hauswänden und Mauern machten ihn zum Star. Und nun? Kommt Banksy ins Museum. Von diesem Donnerstag an zeigt die Staatsgalerie ­ Banksys „Love is in the Bin“ („Liebe ist im Eimer“) als Dauerleihgabe.

Ein Coup? Wird erst daraus, wenn Direktorin Christiane Lange Ernst macht damit, Banksy durch die Sammlungsräume wandern zu lassen. Als Unruhestifter, als Impuls für Fragen an die Kunst. Als Bestätigung des Antritts der Staatsgalerie. Und der ist bemerkenswert: Der Wilhelm-Lehmbruck-Schatz ist gesichert, die Freunde der Staatsgalerie holten Julian Rosefelds international gefeierte Videoinstallation „Manifesto“ nach Stuttgart. Oskar Schlemmers Wandbild „Die Familie“ ist ebenso ein neuer Sammlungsleuchtturm wie Odile Redons Gemälde „Kämpfender Engel“. Völlig zu Recht ist zudem die noch bis diesen Sonntag zu sehende Sonderschau zum Werk des Kunst-revolutionärs Marcel Duchamp als „Ausstellung des Jahres“ nominiert. Und es bleibt spannend 2019: Mit frühen Bildern von Georg Baselitz, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Anselm Kiefer geht es vom 12. April an um die Umbrüche der 1960er Jahre, und der große Italiener Tiepolo wird als Maler vorgestellt, der im Barock das Tor in die Neuzeit weit aufstößt. Offenheit wird zum Prinzip, wenn schließlich für „Weissenhof-City“ Künstlerinnen und Künstler ­Projekte auch im Stadtraum realisieren.

„Weissenhof -City“ und Banksys in die Sammlung lockendes „Love is in the Bin“ sind zwei Seiten der Staatsgalerie-Medaille. Dabei dürfte es diesen Banksy gar nicht geben. Als „Girl with Balloon“ („Mädchen mit Ballon“) zählte die Szenerie zu den seltenen gerahmten Banksy-Bildern. Im Herbst 2018 kommt es zur Auktion, doch Banksy setzt mit dem Zuschlag für 1,2 Millionen Euro per Fernbedienung die Selbstzerstörung in Gang. Der im Rahmen versteckte Mechanismus aber stockt. Die entsetzte Käuferin? Erkennt, dass ihr Banksy nun erst recht ­etwas Besonderes ist. Und Banksy? Macht aus „Girl with Balloon“ offiziell ein neues Werk – „Love is in the Bin“. Die Erinnerung an ein anderes Bild zur Verlorenheit der Liebe liegt nahe: Georg Baselitz’ „Große Nacht im Eimer“ von 1962. Von 12. April an ist es in der Staatsgalerie zu sehen. Banksy dürfte Spaß daran haben.

nikolai.forstbauer@stuttgarter-nachrichten.de