Das Land als Nutznießerder Wohnungsnot

Der Südwesten will Ballungsräume bei der Grundsteuer besonders belasten – das ist brandgefährlich

Von Klaus Köster

Stuttgart Was ist bloß los am Wohnungsmarkt? Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat seine Diagnose bereits vor Monaten gestellt: Die „unsichtbare Hand des Marktes“ vertreibe Menschen mit kleineren Einkommen aus Städten und Ballungsräumen, sagte er im vergangenen Jahr. Sind die exorbitant steigenden Wohnkosten also das Werk finsterer Mächte, die den Menschen heimlich das Geld abknöpfen?

Wer der dramatischen Situation am Wohnungsmarkt auf den Grund gehen will, sollte außer den Kräften des Marktes auch die des Staates im Auge behalten. Denn dem hohen Wohnraumbedarf in den Ballungsgebieten begegnet die Politik bisher mit vielen Worten und zu wenigen Taten. Kommunen lassen Baugrund brachliegen, um Wähler bei Laune zu halten, die auch weiter auf eine grüne Wiese blicken wollen. Hinzu kommt, dass die von der Notenbank teilweise unter null gedrückten Zinsen zu einer gigantischen Geldflut geführt haben, die sich massiv in den Wohnungsmarkt ergießt. Geld zum Bauen ist somit im Überfluss vorhanden, doch mangels Baulands treibt es weniger die Zahl der Wohnungen als vielmehr derenPreisin die Höhe. Nicht nur Märkte können versagen, sondern auch der Staat.

Wie wenig manche Sonntagsreden mit dem tatsächlichen Verhalten von Amtsträgern zu tun haben, zeigt sich in Baden­Württemberg besonders deutlich. Einerseits stellt das Land Hunderte Millionen Euro für neuen Wohnraum bereit, andererseits hat der Südwesten heute mit die höchste Belastung bei der Grunderwerbsteuer, durch die es den Bauwilligen ein Vielfaches dessen abknöpft, was es ihnen danach an Fördergeldern wieder herausrückt.

Aus dieser doppelbödigen Wohnungspolitik hat das Land kaum etwas gelernt, was sich nun in erschreckender Weise bei der Reform der Grundsteuer zeigt. Einerseits bezeichnen führende Repräsentanten die Mieter in den Ballungsräumen als Opfer des Marktes, andererseits lassen sie nichts unversucht, diese noch mehr zu schröpfen. Das vom Südwesten mitgetragene Reformmodell von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sorgt dafür, dass diese Steuer die Wohnkosten wie ein Treibsatz weiter in die Höhe jagt. Je höher die Mieten, desto höher die Steuer.

Diese von der Politik forcierte Entwicklung hat das Zeug, das Land nachhaltig auseinanderzudividieren. Der durchschnittliche Ersterwerber einer Wohnung ist heute 49 Jahre alt und damit zehn Jahre älter als noch vor zehn Jahren. Hohe Mieten saugen das Eigenkapital der jungen Generation auf, die sich das teure Bauen kaum noch leisten kann. Eine mietenabhängige Grundsteuer trägt auch dazu bei, angestammte Bewohner nach und nach aus aufstrebenden Wohngebieten zu verdrängen, so dass die gesellschaftlichen Schichten einschließlich der Kinder in ihren jeweiligen Vierteln und Schulen zunehmend unter sich bleiben. Bis in die nächste Generation hinein geht so das wechselseitige Wissen voneinander verloren. Der auch von Kretschmann beschworene gesellschaftliche Zusammenhalt kann daran nur Schaden nehmen.

Es ist daher absolut unverständlich, dass Baden-Württemberg nicht – wie Bayern – darauf dringt, die Fläche anstelle der durch Zinsspekulationen angeheizten Mieten zum Maßstab der Grundsteuer zu machen. Das Mindeste wäre, dass das Land – so wie es derKoalitionspartner CDU einfordert– auf ein Recht der Länder dringt, ein eigenes Grundsteuergesetz zu beschließen. Wer dagegen aus der existenziellen Not besonders belasteter Mieter Profit für den Fiskus schlagen will, sollte nun endgültig darauf verzichten, noch irgendwelche Krokodilstränen über deren schweres Los zu vergießen.

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