Das Menschenrecht auf Teilhabe

Aktionswoche Armut: Sozialarbeiter aus Backnang und Umgebung wollen auf Armut aufmerksam machen

Armut gibt es auch in Deutschland. Der Verein Kinder- und Jugendhilfe Backnang, der Kreisdiakonieverband, die Caritas und die Erlacher Höhe wollen darauf während der Aktionswoche Armut aufmerksam machen: „Bildung, Wohnung und Arbeit sind Menschenrechte.“

Das Menschenrecht auf Teilhabe

Wer wenig zur Verfügung hat, muss besser haushalten – auch, was den Einkaufszettel angeht. Foto: Fotolia

Von Sarah Schwellinger

BACKNANG. Frau F. ist alleinerziehend und lebt mit ihrer zwölfjährigen Tochter in einer Mietwohnung. Frau F. erhält aufstockende ALG-II-Leistungen. In der Beratung wurden anhand eines Haushaltsplans die Ausgaben überprüft und verschiedene Einsparmöglichkeiten diskutiert. So wurden beispielsweise Versicherungen angepasst und Bescheide geprüft. Dann gingen gleichzeitig mehrere große Elektrogeräte kaputt. Die Tochter hatte den Wunsch, im Verein Fußball zu spielen, was die finanziellen Möglichkeiten der Mutter zu dem Zeitpunkt nicht hergaben. Über das Bildungs- und Teilhabe-Paket konnte der Vereinsbeitrag beantragt werden. Zusätzlich konnte der Kreisdiakonieverband einen Zuschuss für Sportkleidung und Fußballschuhe geben, sodass die Tochter am Vereinsleben teilhaben konnte.

Das ist nur eines der Schicksale, wie sie täglich im Alltag von Sozialarbeitern auftauchen. Unter dem Motto „Teilhaben/Teilsein“ soll in der kommenden Woche darauf aufmerksam gemacht werden, dass Bildung, Arbeit, Wohnen ebenfalls Menschenrechte sind. Örtliche und landesweite Veranstaltungen in Baden-Württemberg greifen diese Grund- und Menschenrechte auf. Bei einem Pressegespräch informierten Simone Wieland vom Verein Kinder- und Jugendhilfe Backnang, Andreas Schwarzkopf vom Kreisdiakonieverband, Sven Salwiczek, Geschäftsführer der Caritas Ludwigsburg/Waiblingen/Enz, Christina Demertzi, Sozialarbeiterin im Haus Karla, und Anton Heiser, Geschäftsführer der Erlacher Höhe, über das, was Teilsein einer Gesellschaft tatsächlich bedeutet und wie schnell es geht, nicht mehr Teil der Gesellschaft zu sein.

„Was heißt es, nicht teilnehmen zu können, und was können wir tun, dass Menschen wieder teilhaben können?“, stellt Anton Heiser die zentrale Frage in den Raum. „Armut bedeutet nicht, nichts zu essen zu haben“, erklärt Sozialarbeiter Andreas Schwarzkopf, „sondern vom Leben abgeschnitten zu sein.“ Und das geht wie im genannten Beispiel von Frau F. schnell, wenn beispielsweise das Geld für Gesundheitsvorsorge fehlt oder der Zugang zu Sportvereinen erschwert ist, weil weder die Vereinsbeiträge gezahlt noch die richtige Ausstattung angeschafft werden kann. „Teilhabe ist ein verbrieftes Menschenrecht, das man nicht einklagen kann“, so Sven Salwiczek. Deshalb wollen die Institutionen nicht punktuell, sondern nachhaltig helfen und unterstützen. Heute gilt jedes fünfte Kind in Baden-Württemberg als armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gelten Personen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verdienen.

Nachhaltig helfen, genau das sei auch die Krux des Ganzen, findet Schwarzkopf. Denn beispielsweise zu teure Versicherungen lassen sich nicht von heute auf morgen verändern, viele Ausgaben lassen sich nur nach und nach senken. „Deshalb versuchen wir, präventiv zu arbeiten und zu verhindern, dass Leute auf der Straße leben müssen“, erklärt Heiser.

Und genau die drei Stichworte Bildung, Arbeit und Wohnung sind da Schlüssel, die helfen, dass Menschen teilhaben können. „Ich der Jugend fallen wichtige Entscheidungen“, sagt Salwiczek. Eltern geben Bildung an ihre Kinder weiter: Während 47,1 Prozent der Schüler, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben, selbst die Hauptschule besuchen, haben die Eltern von 65,1 Prozent aller Gymnasiasten selbst das Abitur. An diesem Bildungsweg eines Kindes, so die Caritas in einem Schreiben zur Aktionswoche, ist die Schere zwischen bildungsnahen und -fernen Haushalten bereits weit geöffnet, dass lediglich 7,7 Prozent der Schüler am Gymnasium Eltern mit einem Hauptschulabschluss haben. Deshalb sei es hier so wichtig, die Jugendlichen auf ihrem Bildungsweg zu unterstützen. „Manche Eltern haben vielleicht keine Zeit, mit ihren Kindern nachmittags die Hausaufgaben zu machen, oder haben vielleicht andere Sorgen“, so Salwiczek.

„Der bezahlbare Wohnraum ist hart umkämpft“, weiß Heiser. Das Pestel-Institut errechnete einen bundesweiten Bedarf von rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen, Tendenz steigend. Derzeit sind allerdings lediglich 1,6 Millionen auf dem Wohnungsmarkt verfügbar. Besonders in Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten fehlen Wohnungen. So auch im Rems-Murr-Kreis, der zum Speckgürtel des Landes Baden-Württemberg zählt. Viele wohnen auf zu kleinem, unzureichendem Wohnraum. „Vor allem ist die Zahl der Angebote speziell für Frauen zu gering“, findet Christina Demertzi. Als Frau in eine Unterkunft nur mit Männern zu kommen, sei sicher nicht angenehm: „Und manch eine Frau kann das aufgrund ihrer psychischen Situation nicht.“

Wichtig ist beim Thema Armut aber vor allem, fasst Salwiczek zusammen: „Sie gab es früher und sie gibt es heute noch.“ Wie jeder Einzelne helfen kann? „Miteinander sprechen, über den Tellerrand blicken“, wirft Schwarzkopf ein, und Demertzi ergänzt: „Nicht wegschauen!“