Das Obst kommt in Kisten zu den Kindern

Seit zehn Jahren gibt es in Baden-Württemberg das Schulprogramm, das Kinder an gesunde Ernährung heranführt. Fast von Anfang an ist das Backnanger Hofgut Hagenbach als Lieferant dabei. Über 100 Einrichtungen beliefert es mittlerweile mit Obst und Milch.

Das Obst kommt in Kisten zu den Kindern

Zum Zugreifen: Den Schulen und Kitas kommt es entgegen, wenn Obst und Gemüse stückweise geliefert wird und nicht erst geschnitten werden muss. Äpfel, Karotten, Birnen oder Mandarinen sind daher besonders geeignet. Foto: Hofgut Hagenbach

Von Nicola Scharpf

BACKNANG. Als Demonstrationsobjekt steht auf dem Tisch eine schmucklose schwarze Pfandkunststoffkiste mit Clementinen gefüllt: Sieben Kilogramm Früchte, das reicht für 70 Kinder, deren Schule oder Kindertageseinrichtung beim EU-Schulprogramm mitmachen. Mehrmals pro Woche gehen solche mit Obst und Gemüse gefüllten Kisten vom Hofgut Hagenbach aus im VW-Bus auf den Weg zu den Kindern. Aufgeteilt auf sieben Touren beliefert das Hofgut Hagenbach seit 2012 Kinderbetreuungs- und -bildungseinrichtungen sowohl im Rems-Murr-Kreis als auch über die Kreisgrenzen hinaus. Mit einem Testlauf, den die Stadt Backnang zusammen mit der Mörikeschule und der Grundschule in der Plaisir angestoßen hat, hat die Belieferung damals für das Hofgut Hagenbach begonnen. Christina Rohde, die das Programm von organisatorischer Seite her betreut, nennt Zahlen zum Vergleich: Im Schuljahr 2013/2014 hat das Hofgut 1630 Schüler beliefert, im aktuellen Schuljahr sind es über 9500 im Schulfruchtprogramm und nochmals knapp 4000 im Schulmilchprogramm. Über 100 Einrichtungen sind inzwischen auf den Geschmack gekommen. „Das Programm wird immer bekannter“, freut sich Rohde. So hat es sich in den zurückliegenden Jahren zu einem festen Standbein des Hofguts entwickelt.

Immer montags, dienstags und mittwochs wird ausgeliefert. In den frühen Morgenstunden packen die Fahrer im Lager des Hofguts, wo das bei den Lieferanten oder dem Großhändler bestellte Obst und Gemüse sowie die benötigte Menge an Milchprodukten warten, ihre Transportautos. Spätestens um 6.30 Uhr geht es los, damit alle Schulen und Kindergärten am Vormittag ihre Lieferung bekommen. „Je besser das Personal eingespielt ist, desto besser klappt es“, sagt Lars Schürer, der für das Hofgut als Koch tätig ist und auch die Qualitätskontrolle von Clementinen und Co. für das Schulprogramm übernimmt. Seine Kollegin Christina Rohde ist in Ausnahmefällen auch schon mal bei der Auslieferung eingesprungen und weiß, wie schwer man sich tut, wenn man die Örtlichkeiten nicht kennt. „Man muss erst mal wissen, wo der Eingang zur Schule ist und die Klingel, wo die vollen Kisten abgestellt werden und das Leergut mitgenommen werden kann.“ Auch haben manche Einrichtungen so ihre Besonderheiten. Bei einer Schule muss der Fahrer zum Beispiel die Vorsitzende vom Förderverein zehn Minuten vor Ankunft anrufen und sie nimmt dann die Lieferung entgegen. „Die Logistik dahinter ist mit das Wichtigste“, sagt Schürer. Wenn es gut läuft und es keine Sonderwünsche zu erfüllen gibt, sind die Ausfahrer um 13 Uhr wieder zurück am Hofgut. „Kleine Sonderwünsche nehmen wir an“, sagt Christina Rohde. „Aber wir brauchen Strukturen.“ Den Einrichtungen ist wichtig, dass sie Obst und Gemüse stückweise ausgeben können – wie Bananen, Äpfel, Birnen oder Karotten. „Einmal haben wir Radieschen geliefert“, erinnert sich Christina Rohde und lacht: „Es hat einen Aufschrei gegeben.“ Radieschen gibts seither nicht mehr, Tomaten auch nicht, Melone im Sommer nur auf ausdrücklichen Wunsch. Die Molkereiprodukte werden in Portionsbechern beim Joghurt und bei der Milch aus Gewichtsgründen im Tetrapack abgegeben.

Christina Rohde weiß, was bei den Schulen gut ankommt: „Wir haben einen netten Austausch mit den Einrichtungen.“ Dankesbriefe von Klassen oder Fotos, wie in der Aula ein Marktstand mit den Produkten aus dem Schulprogramm aufgebaut ist, zeugen davon. Manche Schulen würden viel Zeit und Engagement für das Schulprogramm aufbringen, bei anderen laufe es eher nebenher, so Rohde. Den Lehrern sei bewusst, dass sie keine konventionell hergestellten Lebensmittel an die Kinder ausgeben, sondern Bioprodukte. „Die gelieferten Kiwis und Möhren braucht man nicht zu schälen“, verdeutlicht Rohde.

Aus dem Schulprogramm ergeben sich für das Hofgut auch Synergieeffekte: Manche der beteiligten Einrichtungen würden sich über das Schulprogramm hinaus mit Produkten aus dem Hofgutladen versorgen. Und die Fahrer nehmen auf ihre Touren außerdem Essenslieferungen mit, die Kunden des Ladens bestellt haben – zum Beispiel das von Schürer gekochte Mittagessen zum Zu-Hause-Aufwärmen. Während des ersten coronabedingten Lockdowns im Frühjahr habe man beim angebotenen Lieferservice enorm davon profitiert, dass die Kapazitäten, das Personal und die Tourenplanung bereits vorhanden waren, um einen Lieferdienst strukturiert anbieten zu können.

Im Land gibt es 300 Lieferanten

Das EU-Schulobst- und -gemüseprogramm ging in Baden-Württemberg im Frühjahr 2010 an den Start. Zum Beginn des Schuljahrs 2017/18 hat das EU-Schulprogramm die beiden Vorgängerprogramme, das EU-Schulobst- und -gemüseprogramm und die EU-Schulmilchförderung, abgelöst.

Landesweit gibt es 300 Schulprogramm-Lieferanten. Mehr als die Hälfte der baden-württembergischen Grundschul- und Kita-Kinder profitiert vom Schulprogramm.

Das Regierungspräsidium Tübingen ist die zuständige Vor-Ort-Behörde. Es ist der zentrale Ansprechpartner sowohl für die Lieferanten als auch für die Schulen und Kitas, wenn es um die Zulassung und die Programmumsetzung mit den Lieferanten geht. Das Landeszentrum für Ernährung ist der landesweite Ansprechpartner für eine nachhaltige, genussvolle und gesundheitsförderliche Ernährung im Allgemeinen und für die pädagogische Begleitung des EU-Schulprogramms.

Um mitmachen zu können, benötigen Einrichtungen eine Zulassung des Regierungspräsidiums Tübingen für die Teilnahme im jeweiligen Schuljahr, einen zugelassenen Schulprogramm-Lieferanten sowie einen Sponsor, der den Betrag übernimmt, der nicht durch die EU-Förderung abgedeckt ist. Zu den Sponsoren zählen oft örtliche Unternehmen, Vereine oder Einrichtungsträger. Der Zeitraum zur Antragsstellung ist jedes Jahr zwischen Ostern und Pfingsten.