Das Spaghetti-Problem ist noch ungelöst

Stefan Krämer vom Unverpackt-Laden in Backnang lernt auch vier Wochen nach der Eröffnung noch jeden Tag dazu. Die Kunden schätzen das neue Angebot und natürlich das kleine Schwätzchen am Rande.

Das Spaghetti-Problem ist noch ungelöst

Das Angebot im Unverpackt-Laden in der Uhlandstraße ist groß. Es gibt alles, was trocken ist und sich schütten lässt. Aber auch Essig und Öl.

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Katharina Geyer und Vinzent Weinbeer sind Unverpackt-Einkaufsprofis, das sieht man gleich. Obwohl sie heute zum ersten Mal im Krämerladen Unverpackt einkaufen, denn den gibt’s in der Backnanger Uhlandstraße erst seit vier Wochen, sind sie bestens vorbereitet: Bestimmt ein Dutzend Schraubdeckelgläser und -flaschen kramen sie aus den Rucksäcken, um sie müllfrei zu befüllen, mit Linsen, Mehl, Nüssen, Salz, Nudeln, Gummibärchen und Getreideflocken – alles was trocken ist und sich schütten lässt, gibt es hier unverpackt zu kaufen, aber auch Essig und Öl verschiedener Sorten, Shampookugeln, Zahnputzpillen, Putz- und Waschmittel aller Art.

Schwieriger wird’s mit Dingen, die weder schüttbar sind noch fließen. Spaghetti zum Beispiel sind ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem – die Spaghettizange funktioniert nämlich nur bei gekochten Spaghetti. Davon lassen sich die beiden aber nicht die Laune verderben – vergnügt erkunden sie den Laden und das Angebot und lassen sich beraten über Brat- und Salatöl und was es sonst noch über die Produkte zu wissen gibt – der kleine Schwatz am Rande gehört hier zum Programm.

Judith Maier, die zwei Mal in der Woche als Aushilfe hier arbeitet, weiß und genießt das. „Die Atmosphäre hier ist ganz anders als in anderen Läden – ich habe viel mehr Kundenkontakt, das gefällt mir.“ Vor Corona hat sie in der Gastronomie gejobbt, aber als sie dann hörte, dass ein Unverpackt-Laden nach Backnang kommt, hat sie sich gleich beworben. „Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind mir wichtig“, sagt die junge Frau und schwärmt noch ein bisschen von den Nussecken, „davon werden Sie süchtig“, und von den netten Leuten, die hier einkaufen, bevor sie sich an den Wiege-Marathon des Geyer/Weinbeer‘schen Einkaufs macht: Das Eigengewicht des mitgebrachten Gefäßes muss abgezogen werden, damit die Kundschaft tatsächlich nur die „nackige“ Ware bezahlt.

Produkte, die es noch nicht gibt, können aufgeschrieben werden.

In der Mitte des Ladens, gleich neben dem Olivenbäumchen, steht die Waage, auf der die Kunden ihre Behältnisse abwiegen können, bevor sie befüllt werden. Und weil nicht jeder so gut vorbereitet ist, wie unsere beiden Vorzeige-Einkaufsprofis, gibt es auch Deckelgläser zu kaufen. Neben der Waage liegt eine Wunschliste: Hier kann man Produkte aufschreiben, die man gerne unverpackt kaufen würde, die es aber im Moment noch nicht gibt.

Stefan Krämer – ja, genau, der „Krämer“ des Krämerladens heißt Krämer – lernt täglich, stündlich und minütlich dazu. „Ich komme ja aus einer ganz, ganz anderen Branche“, erzählt er und man sieht ihm an: Da hat einer sein Ding gefunden. „Ich hatte eine Dokumentation gesehen über Mikroplastik im Meer, und dass es im Pazifik eine riesige schwimmende Insel aus Plastikmüll gibt. Ich war beeindruckt und habe versucht, weniger Müll zu erzeugen. Aber ich habe festgestellt, dass das gar nicht so richtig möglich ist: Essen, putzen, Haare waschen – alles in Plastik.“ In den großen Städten gab’s die ersten Unverpackt-Läden, in Backnang gab’s nichts und er beschloss, das zu ändern. Mit Bahn und Fahrrad klapperte er die Unverpackt-Läden ab, erkundigte sich nach Erfahrungen, paukte Lebensmittelrecht und Hygiene, entwickelte ein Konzept und schrieb einen Businessplan für die ersten 36 Monate. „Vier Wochen ist der Laden jetzt offen und es fühlt sich schon ein bisschen an wie Alltag“, erzählt er und man merkt ihm an, wie sehr ihm dieser Alltag gefällt. „Da in der Ecke will ich noch zwei Tischchen stellen, dann kann man hier Kaffee trinken und was Süßes essen“, und dann fängt er auch mit den Nussecken an und die Berichterstatterin merkt, dass sie fürchterlich Hunger hat, „und hier drüben gibt’s ab nächster Woche Brot von der Seemühle in Unterweissach.“

Bei Geyer und Weinbeer geht’s inzwischen ans Bezahlen und es stellt sich heraus, dass sie einen Gutschein haben. Sie haben beim Crowdfunding mitgemacht, das heißt, sie haben zum Startkapital der jungen Firma beigetragen, jetzt dürfen sie sich ihre „Rendite“ in Naturalien abholen. Und dann gibt’s auch gleich noch zehn Prozent extra, weil sie so bereitwillig, gut gelaunt und spontan mit der Zeitung ihre Einkaufserfahrung geteilt haben. Sorgfältig packen sie ihre Kaskade von Gläsern in die Rucksäcke und ziehen weiter – für sie geht’s jetzt noch über den Markt, wo es Obst und Gemüse seit jeher unverpackt gibt, wenn man das will. Wie sie denn da seien, will die Berichterstatterin zum Schluss noch wissen. Mit dem Fahrrad natürlich – tatatataaa – diese beiden haben wirklich den großen Preis fürs nachhaltige Einkaufen verdient. Die Berichterstatterin ist leider nicht ganz so vorbildlich, will aber jetzt (nur zu Recherchezwecken) unbedingt noch ein paar Nussecken mitnehmen und das ganz ohne Tupperschüssel in der Hosentasche, ob das denn möglich sei? Da lacht Judith Maier und nimmt die Nusseckengreifzange zur Hand: Für Unverpackt-Anfängerinnen in lebensbedrohlichem Hungerzustand gibt’s ausnahmsweise eine Papiertüte – Glück gehabt!

Das Spaghetti-Problem ist noch ungelöst

Katharina Geyer erkundet das Angebot des neuen Geschäfts und lässt sich beraten. Fotos: A. Becher