Das Straßenfest als Kulturgut

Die Backnanger und ihr Straßenfest, das ist eine ganz besondere Liebesbeziehung. Zum 50. Jubiläum widmet der Heimat- und Kunstverein dem Fest sogar eine eigene Ausstellung im Helferhaus. Sie dokumentiert eine lange Tradition, aber auch den gesellschaftlichen Wandel.

Das Straßenfest als Kulturgut

In der Vitrine liegen Hammer und Zapfhahn für den Fassanstich bereit, die Plakate werden noch aufgehängt. Brigitte Jacob, Uli Olpp und Martin Schick (von links) haben im Helferhaus Straßenfest-Schätze aus fünf Jahrzehnten zusammengetragen. Fotos: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Wer die Frau mit der wilden Mähne ist, bleibt ein Rätsel. Fest steht nur: Sie ist von Anfang an dabei. Schon auf dem allerersten Straßenfestplakat von 1971 ist sie zu sehen, damals noch einfarbig in leuchtendem Orange. In den folgenden Jahrzehnten hat sie ihr Aussehen mehrfach verändert: In die rötlichen Haare mischten sich lila Strähnen, ihre Lippen waren mal voller und mal schmaler, die Augenbrauen mal mehr und mal weniger geschwungen. Die Historie des Straßenfestes zeigt so auch den Wandel in der grafischen Gestaltung, der sich anhand der Plakate aus fünf Jahrzehnten nachvollziehen lässt.

Die Idee, das 50. Backnanger Straßenfest mit einer Ausstellung zu begleiten, gab es beim Heimat- und Kunstverein schon vor drei Jahren. „Wir wollen das Kulturleben in Backnang abbilden“, sagt der Vereinsvorsitzende Uli Olpp, und da gehört das Straßenfest für ihn zweifellos dazu. Wegen der zweimaligen Absage des Straßenfestes wurde dann auch die Ausstellung verschoben, doch nun kann sie endlich stattfinden. Sie steht unter dem Motto „Koi Zeit“ – seit einigen Jahren das geflügelte Wort bei allen, die sich an den vier Festtagen ganz aufs Feiern konzentrieren wollen.

Bei der Suche nach Exponaten bekam der Heimat- und Kunstverein Unterstützung vom städtischen Kulturamt und Galerieleiter Martin Schick. Auch der Gründervater des Straßenfestes, Klaus Erlekamm, steuerte Ausstellungsstücke aus seinem privaten Fundus bei. Herausgekommen ist so eine spannende Zeitreise in Bildern, Dokumenten und Videos.

Großformatige Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Stadtarchiv dokumentieren die Anfänge des Festes: Oberbürgermeister Martin Dietrich beim Fassanstich ist ebenso darauf zu sehen wie die Backnanger Ikonen Thomas Freitag und Wolle Kriwanek. Letzterer gewann den ersten Nachwuchswettbewerb, der damals noch Schlagerwettbewerb hieß. Aber auch viele normale Straßenfestbesucher sind auf den Aufnahmen zu sehen. „Vielleicht erkennt sich der eine oder andere sogar wieder“, sagt Brigitte Jacob, Zweite Vorsitzende des Heimat- und Kunstvereins.

BKZ-Fotograf Alexander Becher hat einige beeindruckende Fotos aus der jüngeren Vergangenheit beigesteuert, etwa von einem Gewitter über dem Rummelplatz oder den Blick vom Stadtturm auf den voll besetzten Marktplatz beim Zapfenstreich. An einer Wand haben die Macher der Ausstellung zwischen bunte Fotos vom Nachwuchswettbewerb historische Stiche aus der Sammlung des Heimat- und Kunstvereins gehängt. „Die Motive haben alle einen Bezug zum Thema Feiern“, verrät Uli Olpp.

Pfannkuchenwettessen und

öffentliche Oberweitenvermessung

Auch bewegte Bilder sind zu sehen: Aus mehreren Stunden Material auf Super-8-Filmen hat Markus Majev ein halbstündiges Video zusammengeschnitten. Gezeigt werden darin auch Aktionen, die aus heutiger Sicht skurril erscheinen. So gab es beim Straßenfest 1975 nicht nur ein Pfannkuchenwettessen, sondern offenbar auch eine Art Busenwettbewerb, bei dem die Oberweite der Besucherinnen mit einem Maßband vermessen wurde. „Daran sieht man, dass damals noch Dinge möglich waren, die heute undenkbar wären“, staunt Martin Schick.

Das Straßenfest hat auch verschiedene Künstler inspiriert, etwa den Backnanger Maler Oskar Kreibich. „Er hatte sein Atelier im Schweizerbau“, erzählt Martin Schick. Den Blick von dort über den Rummel auf der Bleichwiese hat er in zwei Gemälden eingefangen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Eines davon hängt normalerweise im Büro des Oberbürgermeisters. Weitere Künstler, die das Straßenfest in ihren Werken verewigt haben, sind Werner Lehmann, der auch das erste Plakat gestaltet hat, und Ernst Hövelborn, langjähriger Vorsitzender des Heimat- und Kunstvereins.

Kunstwerke sind schließlich auch die Bierkrüge von Helmut G. Bomm: Schon seit 1973 gestaltet der Backnanger Grafiker zu jedem Straßenfest ein neues Motiv. Das macht die Krüge zu begehrten Sammlerstücken. Deshalb war es auch kein Problem, den im städtischen Fundus fehlenden Krug von 2016 zu organisieren. „Wir haben eine Mail an unsere Mitglieder rausgeschickt und bekamen daraufhin etwa 50 Angebote“, erzählt Uli Olpp und lacht. In der Ausstellung sind neben den 47 bisher produzierten Steinkrügen aber auch einige zu sehen, die noch keiner kennt, weil sie nie in Serie gegangen sind. Bomm entwirft oft mehrere Motive, aus denen der Straßenfestausschuss dann einen Favoriten auswählt.

Die Ausstellung im Helferhaus beginnt bereits drei Wochen vor dem Fassanstich des 50. Straßenfestes: „So können sich die Leute schon früher auf das Fest einstimmen“, sagt Martin Schick. Wer möchte, kann aber auch an den vier Festtagen im Helferhaus eine nostalgische Auszeit vom Feiern nehmen. Und nach dem Zapfenstreich ist die Ausstellung noch eine weitere Woche geöffnet. „Koi Zeit“ ist diesmal also keine Entschuldigung.

Das Straßenfest als Kulturgut

Beginn einer großen Musikerkarriere: Wolle Kriwanek beim Schlagerwettbewerb auf dem ersten Backnanger Straßenfest 1971. Repro: Peter Wolf

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Die Bierkrugsammlung ist komplett. Die Flaschen stehen für die ausgefallenen Feste.