Das traurige Ende eines Pop-Märchens

Der Musiksender Viva hat deutsche Jugendzimmer bunt und Moderatoren wie Stefan Raab groß gemacht – Nun wird dem Sender der Stecker gezogen

Köln (dpa). Backstreet-Boys-Poster, Inlineskates und Tamagotchi – kaum ein Sender verkörperte das Lebensgefühl der 90er so sehr wie Viva. Und kaum ein Sender förderte in derart kurzer Zeit so viele gute Moderatoren ans Tageslicht: Der Musikkanal aus Köln war Sprungbrett für Stefan Raab, Charlotte Roche, Sarah Kuttner, Oliver Pocher, Matthias Opdenhövel, Heike Makatsch und viele mehr. Doch jetzt ist Schluss.

„Wir sind mehr als nur ein Fernsehsender, denn wir sind euer Sprachrohr und euer Freund“, sagte Makatsch. Das war 1993 und ein neuer – ziemlich bunter – Sender hatte gerade den Betrieb aufgenommen. Viva ­hatte Großes vor, auch wenn es aus dem Mund von Makatsch dahingeplappert klang: „Und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?“

25 Jahre später klingen diese Worte aus den Anfangstagen von Viva nicht mehr groß. Man weiß, dass sie eine Illusion geblieben sind – so wie vieles, woran man in den 90ern glaubte. Viva wird nicht für immer bleiben, sondern abgeschaltet. An diesem Montag ist es so weit. Um 14 Uhr ist Schluss, ironischerweise heißt die Abschluss-Show „Viva Forever“ (Viva für immer).

Angetreten war Viva als deutsche Antwort auf die globale Marke MTV. Auf Viva sollte deutsche Musik einen Platz haben, auch zur besseren Vermarktung. MTV sitze „auf einer Insel hinter dem Ärmelkanal“, erklärte Viva-Gründer Dieter Gorny. „Viva sitzt in Köln, mittendrin.“ Als Macher des neuen Senders stieg Gorny selbst zum „Paten der Popmusik“ auf. Mit MTV lieferte man sich einen erbitterten Kampf um Quoten.

Vivas Geheimnis war, dass der Sender auf andere Art gar nicht deutsch war: Perfektionismus und Millimeterarbeit gehörten nicht zu seinen Tugenden. Die Moderatoren quatschten fast betont unprofessionell. Damit trafen sie den Nerv ihres Publikums, das zu Hause mit Zahnspange herumlümmelte und sich auch alles andere als perfekt fühlte. Es habe keine Moderatoren-Schulung oder so gegeben. Das sei Trial and Error (Versuch und Irrtum) gewesen – „und es war auch sehr viel Error dabei“, berichtet Moderatorin Milka Loff Fernandes.

Stefan Raab sprang durch die Sendung „Ma’ kuck’n“, Charlotte Roche zeigte in „Fast Forward“ Achselhaar. Wenn eine angesagte Band zu Viva in den Kölner Mediapark kam, belagerten Teenager das Areal. Den Moderatoren wurden zwar ein paar Anweisungen gegeben, im Grunde ließ man sie aber einfach machen. „Wenn eine Girlgroup kam, sollte man sie zum Beispiel keinesfalls live singen lassen“, erinnert sich Oliver Pocher. Er habe dagegen natürlich regelmäßig verstoßen. „Viva war damals das, was heute Youtube ist“, sagt Pocher.

Unter anderem mit Youtube fing auch der Niedergang an. Im Internet entstand neue Konkurrenz, Musik wurde anders konsumiert. Auf Viva lief plötzlich sehr viel Klingeltonwerbung. 2004 übernahm der amerikanische Medienriese Viacom, Eigner von MTV, Viva. Aus Konkurrenten wurden plötzlich Schwestern. Eine Vorzeige-Sendung wie „Interaktiv“ wurde gestrichen. Der Sturz in die Bedeutungslosigkeit war irgendwann kaum noch aufzuhalten. „Viva ist heute in etwa so, wie Harald Juhnke in den 90ern war. Der war auch eine ganz wichtige Figur für das deutsche Fernsehen, aber irgendwann wurde er nur noch belächelt“, sagt Marcus S. Kleiner, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin. „Viva war irgendwann nur noch eine Lachnummer, von der man nicht wusste, ob es noch lebt.“ Einen Platz in der Ahnengalerie habe der Sender dennoch verdient. „Viva ist deutsche Fernsehgeschichte, weil es das deutsche Fernsehen nachhaltig verändert hat, vor allem das Jugendfernsehen“, sagt Kleiner.

Am letzten Tag, am 31. Dezember, will Viva noch mal auf seine größten Momente zurückblicken. Auf das erste je gezeigte Musikvideo etwa. Das war „Zu geil für diese Welt“ der Fantastischen Vier. Die Band hat sich bereits dafür ausgesprochen, genau mit diesem Lied zu enden. Auch das wäre eine Botschaft.