Defibrillatoren sollen keine Deko sein

Arbeitsgemeinschaft will die Versorgung mit den lebensrettenden Geräten in Backnang verbessern

Dass ein Defibrillator bei einem Herzstillstand Leben retten kann, ist bekannt. Viele Firmen, Behörden und Vereine haben deshalb bereits ein solches Gerät angeschafft. Allerdings sind die Defis nicht immer dort verfügbar, wo sie gebraucht würden. In Backnang will eine neu gegründete Arbeitsgemeinschaft die Situation verbessern.

Defibrillatoren sollen keine Deko sein

Gut sichtbar und öffentlich zugänglich hängt der Defibrillator im Foyer der Volksbank Backnang. Doch das ist nicht überall der Fall: Thomas Eul (links) und Klaus-Dieter Fackler (Mitte), hier mit Volksbank-Chef Jürgen Beerkircher, wollen Überzeugungsarbeit leisten. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Im Foyer der Volksbank Backnang hängt ein Defibrillator, auch bei der Kreissparkasse, bei der AOK, im Rewe-Markt und im Bürgerhaus gibt es die Geräte, mit denen Laien die lebensrettenden Stromstöße abgeben können. Eigentlich ist das erfreulich, trotzdem sagt der Kardiologe Thomas Eul: „Die meisten Geräte hängen nur zur Zierde herum“. Zahlen belegen seine Einschätzung: Bundesweit erleiden jedes Jahr rund 80000 Menschen außerhalb von Krankenhäusern einen Herz-Kreislaufstillstand, doch nur in 0,5 Prozent der Fälle wird eine Defibrillation durch Laien durchgeführt. Dafür gibt es mehrere Gründe: 70 Prozent der Notfälle ereignen sich im häuslichen Umfeld, wo in der Regel kein Defi verfügbar ist. Und selbst wenn es ein Gerät in der Nähe gibt, kommt es nicht immer zum Einsatz. Entweder, weil die Ersthelfer von dessen Existenz gar nichts wissen, oder weil es sich in geschlossenen Räumen befindet, die nicht öffentlich zugänglich sind.

Leitstelle lotst Helfer zum nächsten Defi

Klaus-Dieter Fackler, Vorsitzender des Backnanger Ortsvereins beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), hat selbst zwei Angehörige durch den plötzlichen Herztod verloren und sich zum Ziel gesetzt, die Versorgung in der Stadt zu verbessern. Bei einem Gespräch mit Oberbürgermeister Frank Nopper entstand die Idee, eine Arbeitsgruppe zu gründen. Neben DRK und Stadt ist auch der Kardioverein Rems-Murr mit im Boot. Der Verein, dem 22 Ärzte angehören, setzt sich schon seit 2014 für eine bessere Versorgung von Herzinfarkt-Patienten ein und hat bereits 85 Infoveranstaltung mit mehr als 6000 Teilnehmern im ganzen Landkreis auf die Beine gestellt. „Wir wollen die Leute informieren, die noch keinen Herzinfarkt hatten“, erklärt der Vorsitzende Thomas Eul. Denn je mehr die Menschen über die Krankheit wüssten, desto größer sei die Chance, dass sie im Ernstfall richtig reagieren (siehe Infobox).

Gemeinsam mit dem DRK-Kreisverband hat der Kardioverein Anfang 2018 auch das AED-Netzwerk Rems-Murr ins Leben gerufen – eine Datenbank, in der die sogenannten automatisierten externen Defibrillatoren (AED) im Rems-Murr-Kreis registriert werden. Diese sind auch in der Rettungsleitstelle in Waiblingen hinterlegt. Wird per Notruf eine leblose Person gemeldet, kann der Mitarbeiter dem Anrufer nun sofort sagen, wo der nächste Defi hängt und ihn per Handy auch direkt dorthin lotsen. 220 Geräte sind kreisweit bereits in diesem Netzwerk erfasst, 19 davon in Backnang. „Es gibt aber noch immer eine Dunkelziffer“, vermutet Fackler und hofft, dass mit wachsender Bekanntheit der Initiative noch weitere Defis gemeldet werden.

Außerdem will sich der DRK-Vorsitzende dafür einsetzen, dass mehr Geräte öffentlich zugänglich sind. Denn was nützt ein Defibrillator in einem Firmengebäude, wenn der Notfall am Wochenende passiert? Fackler kennt die Bedenken, dass die mehr als 1000 Euro teuren Geräte gestohlen oder beschädigt werden könnten. Die Praxis habe aber gezeigt, dass dies nur selten passiere. Und selbst wenn: „Ein Menschenleben ist wertvoller als ein Defibrillator.“

Weil es öffentlich zugängliche AEDs nur an belebten Orten gibt, die meisten Notfälle aber in den eigenen vier Wänden passieren, will die Arbeitsgruppe außerdem die sogenannten „Helfer vor Ort“ mit Defibrillatoren ausrüsten. Dabei handelt es sich um Ehrenamtliche mit einer speziellen Ausbildung, die von der Leitstelle verständigt werden, wenn sich ein akuter Notfall in ihrer Nachbarschaft ereignet. Sie übernehmen dann bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes die Wiederbelebung. Wenn jeder von ihnen einen eigenen Defi besäße, könnten sie noch effektiver helfen. In seinem Heimatort Urbach sei es bereits gelungen, mithilfe von Sponsoren alle elf ausgebildeten Helfer mit entsprechenden Geräten auszurüsten, berichtet Thomas Eul.

In Backnang geht es zunächst aber auch darum, die Zahl der Ehrenamtlichen zu erhöhen, denn bislang gibt es hier erst sechs ausgebildete Helfer vor Ort. Zu wenig für eine Stadt mit fast 38000 Einwohnern. „Da sollten es schon mindestens 25 sein“, sagt Eul. Um ihren selbst gesteckten Zielen näherzukommen, planen die Initiatoren am 17. November eine Großveranstaltung unter dem Motto „Backnang schockt“. Neben Informationen rund um das Thema Herzinfarkt gibt es an diesem Tag im Bürgerhaus die Möglichkeit, an rund 50 Puppen die Herz-Lungen-Wiederbelebung zu trainieren, auch Übungsdefibrillatoren können getestet werden.

Info
Im Notfall zählt jede Minute

Sowohl bei einem Herzinfarkt als auch bei einem Herz-Kreislaufstillstand hängt die Überlebenschance maßgeblich davon ab, wie schnell der Betroffene Hilfe bekommt.

Bei einem Herzinfarkt kommt es zunächst einmal darauf an, die Symptome richtig zu deuten. Laut Thomas Eul vergehen zwischen dem Auftreten der ersten Beschwerden und der Alarmierung des Rettungsdienstes im Schnitt dreieinhalb Stunden. Der Kardioverein hat sich zum Ziel gesetzt, diese Reaktionszeit deutlich zu verkürzen, im besten Fall auf zwei Stunden.

Ebenso wichtig ist es, die Zeit zwischen dem Notruf und der Wiedereröffnung des verstopften Blutgefäßes zu minimieren. „Liegt diese Zeitspanne unter 90 Minuten, sterben nur vier Prozent der Patienten, dauert es länger, sterben zehn Prozent“, erklärt Eul. Im Rems-Murr-Kreis liegt der Durchschnittswert aktuell bei 76 Minuten.

Bei einem Herz-Kreislaufstillstand zählt jede Minute. Bleibt der Patient unversorgt, setzen bereits nach drei bis fünf Minuten irreversible Hirnschäden ein. Kommt hingegen innerhalb der ersten drei Minuten ein Defibrillator zum Einsatz, können bis zu
75 Prozent der Patienten ohne bleibende Schäden überleben. Ein Defibrillator ersetzt allerdings nicht die Herzdruckmassage. Diese sollte in jedem Fall nach Absetzen des Notrufs bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes durchgeführt werden.