Der Chiliflüsterer

Gerd Ihle aus Murrhardt baut die südamerikanischen Früchte im eigenen Garten an und verarbeitet sie zu schmackhaften Soßen, nutzt und kultiviert ihre Schärfe auf diese Weise kunstvoll. Nach 15 festen Varianten tüftelt er an einer neuen Reihe – Grillsoßen.

Der Chiliflüsterer

Gerd Ihles Chilis gedeihen im eigenen Garten in Siegelsberg prächtig. Hier zeigt er die Sorte „Pimento Artosa“, die aus Brasilien stammt. Fotos: J. Fielder

Von Christine Schick

MURRHARDT. Die Chilis leuchten. Gerd Ihles Feld im Garten steht in voller Pracht. Die Früchte zeigen sich in den verschiedensten Farben – von Grün über Pastellrosa, Hell- und Feuerrot bis hin zu Schwarz. „Die Farbe sagt aber über den Schärfegrad überhaupt nichts aus“, erklärt er. Dieses Jahr sind es 15 Sorten, die in den heimischen Gefilden neben dem Haus in Murrhardt-Siegelsberg herangewachsen sind und nun nach und nach geerntet werden. Sind die Chilis sehr groß, verteilt sich die Schärfe in der Regel stärker auf das Fruchtfleisch, sind sie kleiner, ist die Wirkung konzentrierter. Ihle zeigt auf die Pflanze der Sorte „Cheiro Roxa“ mit auberginefarbenen, rundlichen Früchten, die ein wenig wie etwas zu schrumpelig und groß geratene Kirschen aussehen. „Die sind scharf wie Hund, wobei sie ihre ganze Wucht verzögert entfalten.“ Die hellrosafarbene „Lemon Drop“ oder die „Rocoto Pico Mocho“ gehören zu seinen schärferen Sorten, an der Spitze stehen „Bhut Jolokia“ und „Carolina Reaper“. Mittlerweile hat Gerd Ihle schon einige Jahre Anbau- und Veredelungserfahrung gesammelt und tauscht sich auch mit anderen Chilizüchtern und -fans aus.

Den Grundstein für all das hat genau genommen eine Asienreise 1994 gelegt. Die Gerichte, die er dort kennenlernt, begeistern ihn einfach. Chicken-Curry mit Kokosmilch gehört als Klassiker dazu und er erzählt, dass es vor allem die Gewürzmischungen sind, bei denen Chili eine der besonderen Komponenten ausmacht. Viele Jahre später experimentiert der Mechanikermeister in seinem Garten mit ein paar exotischen Pflanzen – Bananen, Avocado und Chili. Letztere machen sich richtig gut im Schwäbischen Wald. Weil die scharfen Früchtchen im Garten prachtvoll gedeihen, muss sich Gerd Ihle etwas einfallen lassen. Also schaut er sich nach Rezepten um und so reift allmählich der Plan, sich an eigenen Soßenkreationen zu versuchen. Die Idee: die Chilis anhand der Soßen kunstvoll zu verpacken, die Schärfe je nach Geschmack an die Leine zu nehmen oder vergleichsweise frei laufen zu lassen und so ganz unterschiedlich servieren zu können. Erste Tests bei Freunden kommen sehr gut an. „Wir haben bei Einladungen und Besuchen die Soßen in kleinen Fläschchen als Mitbringsel dabeigehabt“, erinnert er sich. „Heute sagen sie, was sie gerne haben möchten.“

Parallel hat sich der Chilianbau professionalisiert. Im Januar kommen die Samen in Schalen, wo die Pflänzchen unterstützt mit Heizmatten, guter Zuchterde und Licht im Haus großgezogen werden. Mitte Mai setzt Gerd Ihle sie dann in die Beete im Garten. Von denen, die sich in Bezug auf die Anzahl der Früchte und die Schärfe besonders gut entwickeln, werden Samen für nächste Generationen aus der Frucht geholt und aufbewahrt. Die Ausbeute kann um die 30 Stück pro Schote betragen. „Manche Chilis reifen auch noch nach, die müssen dann ein wenig liegen bleiben nach der Ernte.“ Später kommen die Früchte in einzelne Tütchen und werden in die Tiefkühltruhe gepackt, sodass immer ein entsprechendes Depot zur Verfügung steht. Wenn die Ernte Ende Oktober abgeschlossen ist, beginnt für Gerd Ihle die Kochsaison. Der 61-Jährige findet sich gerne in der Küche ein, und so „kann es passieren, dass ich abends nach der Arbeit noch eine Chilisoße mache“. Das heißt, dass er sechs Liter pro Kreation anrührt und veredelt und 50 bis 60 Soßenfläschen zu befüllen hat. Der Vorteil: Die Rezepturen für die 15 Chilisoßen seiner Chilma, der Kurzform für Chilimanufaktur, sind absolut ausgereift. Der Prozess der Schärfegradeinstellung („Sie ist von der Sorte und Menge abhängig“) und die Zutatenabstimmung sind abgeschlossen und die Rezepte sowie die Ausweisung auf dem Etikett stehen. Bei den Zutaten achtet Ihle darauf, wenn irgend möglich Bioqualität zu verwenden.

„Holy Shit“ ist eine Soße für Chilifans, die es ordentlich scharf mögen.

In den Soßen steckt einiges an Tüftelei und Entwicklungsarbeit. Zum einen in Bezug auf die Geschmacksrichtungen, Konsistenz und Zusammensetzung, zum anderen auch, was die Vermittlung nach außen angeht. Damit sich die Kunden gut zurechtfinden in der Chilisoßenauswahl, hat Gerd Ihle eine siebenstufige Schärfeskala entwickelt. Die „Honig-Senf“ beispielsweise ist die mildeste Soße und hat zwei Sterne, die „Holy Shit“ steht mit sieben Sternen an der Spitze und ist etwas für die Hartgesotteneren „Recht beliebt ist auch die Harissa als nordafrikanische Kreation mit Kreuzkümmel und Koriander.“ Da besagte 15 Soßen nun fester Bestandteil des Ihle’schen Manufaktursortiments sind, hat der 61-Jährige damit begonnen, sich ein neues Experimentierfeld zu suchen, und tüftelt an Grillsoßen. Vergleichbar mit Dips „sind sie weit weniger scharf und der Anteil an weiteren Zutaten ist größer“. Hier gibt es beispielsweise die Prototypen „Plum“ (Pflaume) oder „Asia“ mit Mango sowie eine zweite süßsaure Variante.

Herbst und Winter ist die Hauptfertigungszeit und Gerd Ihle steht viel in seiner Chilma-Küche. Normalerweise käme nun auch die Präsens auf Naturpark- und Weihnachtsmärkten hinzu. Die meisten Veranstaltungen sind aber coronabedingt abgesagt. Etwas mehr Freizeit, mehr Spielraum für den Chiliflüsterer. „Ich gebe zu, meine Lektüre ist ein bisschen eigenwillig, ich lese jedes Rezept, das ich in die Finger bekomme, wenn es mit Chili zu tun hat.“ Es ist nicht zu befürchten, dass ihm die Ideen ausgehen. „Wenn die Grillsoßen ausgereift sind, könnte ich mich mal mit Senfsorten als mögliches Feld beschäftigten.“

Der Chiliflüsterer

Kleine Ernteauswahl, die in der extra eingerichteten Chilma-Küche veredelt werden kann.

Chilis sind vitaminreich und sorgen für einen Endorphinkick

Chilis werden in fünf Artengruppen eingeteilt: Capsicum annuum, Capsicum fruteseus, Capsicum bacctum, Capsicum chinense und Capsicum pubescens. Man geht davon aus, dass sich alle Chili- beziehungsweise Paprikaarten aus einem gemeinsamen Vorläufer entwickelt haben, der im nördlichen Amazonasbecken beheimatet war.

Auf seiner Homepage schreibt Gerd Ihle: „Aber warum lieben so viele Menschen das brennende Mundgefühl? Fakt ist: Schärfe ist gesund und macht glücklich. Denn die Schmerzempfindung auf der Zunge löst anschließend einen Endorphinkick aus – das Gehirn schüttet Glückshormone aus. Außerdem enthalten Chilis viele Vitamine (A, B1 und C). Dabei ist Schärfe in der Tat Gewöhnungssache. Ungeübte Scharfesser sollten sich aber unbedingt langsam an das scharfe Vergnügen wagen.“

„Es wird vermutet, dass die Chili die Schärfe (das Capsaicin) entwickelt hat, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Sie befindet sich vor allem in den Scheidewänden. Säugetiere und uns Menschen versucht die Chili so zu vertreiben. Erstaunlich ist auch, dass Vögel keine Rezeptoren besitzen, diese Schärfe zu spüren. Das ist wichtig, da die Vögel ja dafür sorgen sollen, die Samen zu verteilen. Die Menge dieses Stoffes bestimmt also die Schärfe einer Chili.“ Weitere Infos finden sich auf www.chilma.de.