Der „Keiler“ macht die Telefonanrufe

Menschen bei der Polizei (4): Kriminalhauptkommissar Jürgen Helmholz versucht, Betrügern auf die Schliche zu kommen

„Seitdem sich die Betrügereien immer mehr ins Internet verlagert haben, ist unser Arbeitsplatz hauptsächlich vor dem Computer“, sagt Jürgen Helmholz. Er ist im Bereich der Wirtschaftskriminalität beschäftigt. Bei ihm landen Betrugsfälle wie Gewinnversprechen, die Enkeltrickmasche oder das Betrugsphänomen des „falschen Polizisten“.

Der „Keiler“ macht die Telefonanrufe

Sein Arbeitsplatz bei der Kriminalinspektion 3: Kriminalhauptkommissar Jürgen Helmholz vor seinem Computer, an dem seine Hauptrecherchen und Ermittlungen ablaufen. Foto: Y. Weirauch

Von Yvonne Weirauch

BACKNANG/WAIBLINGEN. Mit diesen Betrugsplänen haben Gaunerbanden allzu oft Erfolg. Im Bereich des Polizeipräsidiums (PP) Aalen ist beim Phänomen „angeblicher/falscher Polizeibeamter“ ein drastischer Anstieg der Zahlen um fast 56 Prozent zu verzeichnen (Stand 2017).

Das Telefon klingelt. Eine Rentnerin hebt den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung meldet sich ein angeblicher Beamter: „Hier ist Herr Schneider von der Polizei.“ Wer das am Telefon hört, sollte hellhörig werden. Herr Schneider könnte ein Betrüger sein, der beispielsweise behauptet, in der Nachbarschaft sei eingebrochen worden, es seien Täter festgenommen worden. Danach erfragt er, ob Schmuck oder Bargeld im Haus sei. Der Mann fordert auf, einen größeren Bargeldbetrag von der Bank abzuheben. Diesen und den Schmuck solle das Opfer dann in die Obhut der angeblichen Polizeibeamten geben. So oder so ähnlich läuft die dreiste Betrugsmasche ab.

Vor Kurzem lautete eine Polizeimeldung: Eine 50-jährige Frau in Aspach hat einen Anruf eines Fremden erhalten, der sich als Mitarbeiter von „Euromillion“ ausgab. Ihr wurde mitgeteilt, dass sie bei einer Ziehung die zweite Gewinnklasse gewonnen habe. Ihr Gewinn in Höhe von 29000 Euro könne sie auslösen, wenn sie eine Gebühr in Höhe von 900 Euro bezahle. Nach einem weiteren Telefonat am Tag darauf sollte sie in einem Streamingportal Geldkarten einkaufen. Darauf ließ sie sich nicht ein und erstattete bei der Polizei Anzeige.

Täter arbeiten

Telefonbücher ab

Die „kriminelle Energie“ habe zugenommen, sagt Kriminalhauptkommissar Jürgen Helmholz. Der Enkeltrick sei das bekannteste Phänomen, die häufigste Betrugsmasche allerdings: das Ausgeben als falschen Polizisten. „Opfertypen sind meist ältere Menschen. Ein Täter filtert sich das fein säuberlich aus“, so der Polizist. Das beginne beispielsweise mit dem Durcharbeiten von Telefonbüchern: „Oft erkennt man, dass da noch ältere Telefonnummern stehen – früher gab es beispielsweise nur vier Ziffern, wo es heute fünf oder sechs gibt.“ Der Täter arbeite das differenziert ab.

Am Telefon versuchen sie ihre Opfer beispielsweise unter verschiedenen Vorwänden dazu zu bringen, Geld- und Wertgegenstände im Haus oder auf der Bank an einen Unbekannten zu übergeben. Dieser gibt sich ebenfalls als Polizist aus. Dazu behaupten die Betrüger, dass Geld- und Wertgegenstände bei ihren Opfern zu Hause oder auf der Bank nicht mehr sicher seien oder auf Spuren untersucht werden müssten. Aus der Ermittlungserfahrung weiß Helmholz: hauptsächlich kommen solche Betrüger aus der Türkei. Die Hilfsbereitschaft und Gutgläubigkeit der älteren Menschen würden sich die Täter zunutze machen.

Seit fast 40 Jahren ist Helmholz im Polizeidienst. Verschiedene Stellen hat er durchlaufen: vom Streifendienst zur Kripo, dann ins Jugenddezernat und zur Fahndung. Mit Kapitaldelikten hat er sich beschäftigt und mit der IT-Beweissicherung. „Und dann wollte ich einfach noch mal was anderes machen“, gibt der 60-Jährige zu. Seit 2008 sei er nun bei der Inspektion. Seit dieser Zeit hat er so manche Betrugsfälle aufgelöst – auch wenn der ein oder andere sehr ermittlungsintensiv sein kann. In einem seiner letzten Fälle habe man ein Opfer mehrere Tage betreuen müssen, weil immer wieder Telefonanrufe von ein und demselben Täter getätigt wurden, erzählt Helmholz. Hinter einem Betrug stecke meist eine ganze Maschinerie. „Der sogenannte Keiler ist der Gesprächsführer, er macht die Anrufe. Die Geldübergabe wird professionell vom Logistiker organisiert, der dann den sogenannten Abholer einteilt“, beschreibt Helmholz die Struktur des Aufbaus. Der Abholer sei es dann meist, der von der Polizei festgenommen werde: „Man mag ihn als kleines Licht betrachten, weil man die Hintermänner nicht hat. Aber ohne ihn würde die ganze Tat nicht funktionieren.“

Solch ein Betrugsverfahren sei zwar für die Täter sehr aufwendig, lohne sich aber immer wieder, auch wenn mal „eine Planung danebengeht“. In der gelungenen Masse gesehen, käme immer etwas zusammen. Was in den Augen des Beamten sehr viel bringt: die Banken zu sensibilisieren. „Die Warnungen, die wir an Banken herausgeben, ist sehr viel Wert. Da wurde mittlerweile schon so mancher Betrugsversuch verhindert“, sagt Helmholz. Denn wenn das Geld mal übergeben wurde, sei es natürlich sehr schwierig, es wieder zurückzubekommen. Die Ermittlungen in solchen Fällen seien aufwendig, die Erfolgszahlen gering.

Ein weiterer Bereich, mit dem sich der Kriminalhauptkommissar auseinandersetzt: Romance Scamming. Das ist eine Form des Internetbetrugs, bei der gefälschte Profile in Singlebörsen dazu benutzt werden, den Opfern Verliebtheit vorzugaukeln mit dem Ziel, eine finanzielle Zuwendung zu erschleichen. Es ist sozusagen die moderne Form des Heiratsschwindlers. Auch hier sei der Opfertyp schnell erkennbar: „Meist sind es Menschen, die sehr lange alleine sind und sehr präsent im Netz sind.“

Die mit Abstand am meisten verbreitete Form des Romance Scamming wird laut Helmholz unter anderem von organisierten Banden von Nigeria und Ghana aus betrieben. Die Vorgehensweise des Scammers ist meist die gleiche: Zunächst wird die Person unter falscher Identität angeschrieben und auf ein anderes Medium gelockt. Meist wird der Yahoo-Messenger, Skype, oder Facebook zur anschließenden Kommunikation genutzt. Dabei achtet der Scammer darauf, dass auf jedem dieser Kommunikationskanäle eine identische Identität vorliegt. Auch die sonstigen Auskünfte des Scammers sind plausibel. Dies sorgt bei den Opfern für Vertrauen. Allerdings reagiert der Scammer meist abweisend oder zumindest mit Ausreden, wenn eine Form der Kommunikation gefordert wird, die seine wahre Identität enthüllen würde. Es folgen Liebesschwüre, ein erstes Treffen wird vereinbart. Dann folgt auf einmal eine schlechte Nachricht, oft als ein Grund für das Scheitern des geplanten Treffens: eine plötzlich, nicht zu bezahlende Operation steht an, Schulden müssen beglichen werden oder der Flug kann nicht bezahlt werden. Beispiele für Ausreden, mit denen der Scammer seinem Opfer das Geld aus der Tasche ziehen will. Zahlt das Opfer, so ist der Scammer meist nur kurz zufrieden: Das versprochene Treffen kann nun aus einem anderen Grund nicht stattfinden, unter einer neuen Ausrede wird wieder um Geld gebeten. Weigert sich das Opfer zu zahlen, macht der Scammer ihm Vorwürfe und beschuldigt es, ihn nicht zu lieben.

Oft gelingt es ihm, sein Opfer so unter Druck zu setzen. Erst wenn das Opfer zahlungsunfähig ist, sich endgültig weigert zu zahlen oder auf einem vorherigen Treffen besteht, endet der Scam: Die Internetprofile des Betrügers werden gelöscht und er meldet sich nicht mehr. „Tatsächlich schämen sich viele Opfer so sehr, dass sie sich weder Freunden oder Verwandten anvertrauen, noch bei der Polizei Anzeige erstatten“, sagt Helmholz. Da wünschte er sich, dass die Hemmschwelle abnehme, um solchen Tätern das Handwerk zu legen.