Der Kommissar, das Ikea-Du und die erschöpfte SPD

Eine Ära geht zu Ende: Am Sonntag quittiert der wunderbare Matthias Brandt als Hanns von Meuffels seinen Dienst beim Münchner „Polizeiruf 110“. Ähnlichkeiten zwischen Schauspieler und Fernsehfigur sind dabei nicht zufällig. Mit der Ikea-Duzerei fremdeln beide ebenso wie mit Facebook & Co.

Interview - Eine Ära geht zu Ende: Am Sonntag quittiert der tolle Matthias Brandt seinen Dienst beim Münchner „Polizeiruf 110“.

Der Kommissar, das Ikea-Du und die erschöpfte SPD

Stuttgart Es waren sieben wunderbare Jahre, in denenMatthias Brandt seinen Ermittler Hanns von Meuffelsbehutsam gestaltet hat. Ähnlichkeiten zwischen Schauspieler und Rolle sind dabei nicht zufällig: Mit der Ikea-Duzerei fremdeln sie ebenso wie mit Facebook & Co.

Frage: Herr Brandt, wenn ich Sie duzen würde, wie würden Sie reagieren? Wie Ihre Filmfigur jetzt in Ihrem letzten „Polizeiruf“?

Antwort: Ja, tendenziell wie Meuffels, der seine neue Assistentin anknurrt: ,,Sie haben’s mit Vornamen. Ist ja wie bei Ikea.“ Tatsächlich bin ich bei Umgangsformen empfindlich: Die Selbstverständlichkeit, mit der heute geduzt wird, befremdet mich. Wem ich das Du anbiete, suche ich mir gerne selbst aus.

Frage: Verabschieden wir uns zu schnell und gedankenlos von überlieferten Konventionen, obwohl sie uns das Leben erleichtern könnten?

Antwort: Konventionen können auf jeden Fall angespannte Situationen, die sonst unangenehm in der Schwebe bleiben würden, auf erfreuliche Weise entspannen. Deshalb fühle ich mich privat zu ihnen hingezogen – und auch für einen sperrigen, verschlossenen Menschen wie Hanns von Meuffels sind sie hilfreich, um sich halbwegs sicher durchs Leben bewegen zu können.

Frage: Er ist ein altmodischer, zurückhaltender Kommissar, der – auch das pointiert Ihr letzte „Polizeiruf“ – mit der digitalen Welt Schwierigkeiten hat. Gilt das auch für Sie?

Antwort: Anders als Meuffels habe ich eine Tochter, die unbefangen mit dem Netz umgeht und mir das Digitale näher bringt. Soziale Medien lehne ich nicht ab, auch wenn ich sie selbst nicht nutze. Twitter, Facebook, Instagram: ich habe das Gefühl, damit nicht gemeint zu sein, und bin schon aufgeschmissen, wenn am Computer etwas nicht funktioniert. Und erst die Sim-Karte im Telefon: ein Desaster!

Frage: Und warum quittiert Meuffels nach fünfzehn Fällen den Dienst?

Antwort: Er ist an eine Grenze gekommen, die er immer in sich getragen hat. Zu der erwähnten Sperrigkeit kommt die Unfähigkeit, sich vor fremdem Leid zu schützen. Die Dinge gehen ihm zu nah, er kann sich nicht abgrenzen, er besitzt ein Übermaß an Empathie, das tiefe Spuren hinterlassen hat.

Frage: Spuren der Erschöpfung?

Antwort: Ich glaube, ja. Er ist erschöpft von den Erfahrungen, die er machen musste und in sich aufgehoben und gespeichert hat. Als Mann mit Vergangenheit und Mann mit Widersprüchen trägt er so schwer an seiner Last, dass mirals Schauspielerklar war: Er wird nicht endlos ermitteln, weshalb auch ich nicht lebenslang verpflichtet bin, einen Polizeibeamten zu spielen. Der verbreiteten Auffassung, der Ritterschlag für einen Schauspieler sei die Rolle als Fernsehkommissar, konnte ich nie etwas abgewinnen.

Frage: Warum sind sie trotzdem 2011 in den „Polizeiruf“ eingestiegen?

Antwort: Weil ich eine präzise Vorstellung von meiner Figur hatte: Ich wollte sie nicht mit Attributen überschütten, die ich dann als Schauspieler mehr oder weniger gut jonglierend in der Luft halten müsste. Meiner Figur wollte ich mich langsam nähern, Schritt für Schritt wie im richtigen Leben, wo uns ein Mensch auch nicht als Erstes seinen Lebenslauf in die Hand drückt. Man lernt jemanden kennen, wenn man Situationen gemeinsam mit ihm durchlebt – und ich hatte Gelegenheit, Meuffels sieben Jahre lang zu begleiten, um seinen Charakter Stück für Stück zu entwickeln. Ich hoffe, das ist gelungen.

Frage: Ist es, wie ich finde. Sie haben die große Tradition des Münchner „Polizeirufs“ kongenial fortgesetzt, was auch den mit Christian Petzold gedrehten Filmen zu danken ist.

Antwort: Um Petzold als Regisseur und Autor haben wir uns sehr bemüht. Dass darausinnerhalb des „Polizeirufs“sogar eine Trilogie geworden ist, finde ich höchst erfreulich: „Kreise“, „Wölfe“ und jetzt die „Tatorte“, stimmigerweise auch als Abschluss meiner eigenen Arbeit an Hanns von Meuffels. Über die Erschöpfung der Figur, die nichts mehr mit sich anzufangen weiß, haben Petzold und ich im Übrigen lange geredet .

Frage: Ihn sterben zu lassen war keine Option?

Antwort: Nein, wir wollten keinen kurzen Prozess mit ihm machen. Hinter dem Herausschießen und Wegbomben von Kommissaren steckt ja eine unangenehme Selbstüberschätzung der Figuren. So wichtig, dass man pulverisiert werden muss, ist kein Polizist. Mir gefällt das von Petzold geschriebene Ende aber auch deshalb gut, weil Meuffels für mich schon immer auch außerhalb der Serie existierte. Meine Figuren möchte ich so erzählen, als seien sie irgendwann von außen ins Bild getreten und als würden sie daraus auch irgendwann wieder abtreten. In der Zeit dazwischen beobachtet sie die Kamera, das ist der Film, der entsteht. Aber danach geht das Leben außerhalb des Bildes weiter.

Frage: Und wie verbringt der erschöpfte Meuffels seinen Ruhestand? Genießt er ihn?

Antwort: Im Moment hören wir nichts voneinander, aber ich vermute trotzdem, dass er in seinen Gewohnheiten gefestigt ist, weiter Musik hört, Filme guckt, Hemden bügelt. Im Ernst: Ihre Frage nach seinem Pensionärsdasein ist nicht unberechtigt. Wenn man sich lange mit einer Figur beschäftigt, kommt sie einem nah. Die Rolle beeinflusst den Spieler, weshalb er beim Spielen darauf achten muss, dass sich keine Automatismen einschleichen, die sich dann auf völlig andere Konstellationen legen könnten. In meinem Fall heißt das: Ich darf nicht alles vermeuffeln.

Frage: Gehört zu den anderen Konstellationen auch das Privatleben?

Antwort: Ich bin da nicht so gefährdet, aber ich kenne Kollegen, wo sich Rolle und Person sehr vermengen. Das lässt sich ganz einfach erklären: Die Rollen und Situationen, in die wir uns begeben, sind zwar fiktiv. Aber das Adrenalin, das wir dabei produzieren, ist natürlich echt. Das kann einen zerreißen. Und manche beschädigte Künstlerbiografie liegt hierin begründet.

Frage: Themenwechsel: ZuIhrem Vater, dem ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt, hatten sie ein konfliktreiches Verhältnis . . .

Antwort: . . . da würde ich widersprechen: Ich hatte normale Vater-Sohn-Konflikte, die nur anders gewichtet werden, weil es dafür ein Millionenpublikum gibt. Meine Ablösung vom Vater verlief so unspektakulär wie bei anderen auch. Allerdings habe ich früh entschieden, mich sehr, sehr sparsam zu politischen Fragen zu äußern, weil die Gefahr besteht, dass diese Äußerungen stellvertretend für meinen Vater gelesen werden. Das möchte ich vermeiden.

Frage: Leiden Sie trotzdem mit der SPD?

Antwort: Das tue ich. Ich halte die Sozialdemokratie für eine wichtige Kraft in der politischen Landschaft. Aber ich leide als Bürger, nicht als Sohn. Und übrigens auch nicht als Künstler, mit deren Resolutionen ich mich schwer tue. Künstler gegen rechts: sind Schauspieler oder Musiker für solche Stellungnahmen geeigneter als, sagen wir, Friseure gegen rechts? Auch das halte ich für eine maßlose Selbstüberschätzung, ähnlich wie bei pulverisierten Fernsehpolizisten.