Der Mann mit dem Verhörzimmerblick

Vor fünfzig Jahren lief im ZDF die erste Folge der legendären Krimiserie „Der Kommissar“

Von Thomas Klingenmaier

Jubiläum - Vor fünfzig Jahren zeigte das ZDF die erste Folge der Krimiserie „Der Kommissar“.

Ein freundlicher kleiner Mann, der brave Staatsdiener einer Demokratie? So kann man Kommissar Keller durchaus sehen. Aber die von Erik Ode gespielte Titelfigur der Serie „Der Kommissar“, die am 3. Januar vor fünfzig Jahren erstmals vom ZDF ausgestrahlt wurde, hat auch Einschüchterndes. Hinter der Freundlichkeit liegt das Bewusstsein, die Macht des Staates hinter sich zu haben. Es ist ein Verhörzimmerblick aus anderen Zeiten, den Keller bei Einvernehmungen auf Verdächtige richtet, ein Blick, in dem die Erinnerung an ganz andere Freiheiten der Polizei liegt.

Man kann „Der Kommissar“ als Fernsehgeschichte betrachten. Erstmals eroberte eine deutsche Krimireihe das Abendprogramm. Aber „Der Kommissar“ ist auch ein Schnittpunkt der Zeitgeschichte. Keller steht mit einem Bein im Gestern, mit dem anderen im Heute. Von einem rebellischen Individualisten wie dem von Götz George gespielten Cop Schimanski ist er ganz weit entfernt. Aber er langt auch nicht hin.

Er prügelt nicht, er foltert nicht, er bricht im Dienst der Staatsräson keine Gesetze. Man ahnt nur, dass er das vielleicht einmal getan hat. Nun aber zweifelt keiner mehr an seiner Tauglichkeit für die neue Zeit, und so signalisiert dieser Polizist für große Zuschauergruppen: Wir haben es geschafft, uns ist ein Übergang gelungen.

Bis in den Januar 1976 hinein, bis zur letzten der 97 Folgen, bildet „Der Kommissar“ ein Gemenge der Widersprüche. Keller und seine Truppe sind Anzugträger, korrekt bis zur Spießigkeit. Zugleich rauchen sie nicht nur unablässig, als müssten sie den Befragten die klare Sicht auf Schlupflöcher vernebeln. Sie trinken auch bei jeder Gelegenheit scharfe Sachen, um sich Regenwetter aus den Knochen zu treiben, um das Gehirn vor Konferenzen anzufeuern, um einen Erfolg zu feiern. Frau Rehbein, Rehbeinchen genannt, die Sekretärin der Ermittler, ist viel mit dem Servieren von Cognac, dem Herbeischaffen von Stullen, dem Wünsche-von-den-Augen-Ablesen beschäftigt. Das bleibt das Frauenbild im Kommissariat: Helferin im von Männern bestimmten Leben.

Dieses im Kern konservative Häuflein Polizisten reibt sich an einer Gesellschaft im Wandel. Fall um Fall leuchtet „Der Kommissar“ hinein in die besseren Wohnviertel Münchens, wo sich die Sitten und Regeln aufzulösen beginnen. Keller und seine Männer haben bis zu einem gewissen Grad Verständnis für Pein und Notlagen der vor ihnen Sitzenden, aber doch wollen sie stets ihr Geständnis. Und ab einem bestimmten Grad der Abweichung vom Normleben wird das innere Kopfschütteln der Ermittler spürbar. Immer wieder gibt die Serie den konservativen Kleinbürgern zu verstehen, dass sie das solidere und glücklichere Leben führen als die Begüterten. Und immer wieder fragt die Serie stellvertretend, wo das hinführen soll mit einer zunehmend aufmüpfigen Jugend.

Das alles war aus einem Guss, denn es kam von einem Autor: von Herbert Reinecker, Jahrgang 1914, der selbst einen mehr als konservativen Hintergrund hatte. Er war ein sehr eifriger junger Karrierepropagandist der Nazis gewesen. In „Der Kommissar“ wird fortwährend die Schizophrenie eines Mannes spürbar, der sich als Bürger der neuen Zeit ausweisen will, ohne sich für die Rolle in der alten entschuldigen zu müssen.

Bei jüngeren Fans der Serie scheint dieser Aspekt keine Rolle mehr zu spielen, bei ihnen sind die typischen Reinecker-Dialoge Kult – „Der ist ja tot, der Mann! Der Mann ist tot!“ –, die gestelzten Versuche, locker zu sein. Oft sind in den auf 35-mm-Film gedrehten Episoden auch Bilder zu entdecken, die zweifelnder sind als die Drehbücher. Profilierte Kinoregisseure wie Wolfgang Becker, Wolfgang Staudte und Helmut Käutner waren mit am Werk, so steht das Triviale neben dem Hintersinnigen. Es gibt schlechtere Fremdenführer durch die Seele der Bundesrepublik von damals als diese Krimis.