Der Richter will keine Zeugen sehen

Urteil gegen den Drogerieunternehmer Müller hat ein Nachspiel – Nun kämpft der Anwalt Eckart Seith gegen den Spionagevorwurf

Von Rüdiger Bäßler

Der Anwalt Eckart Seith hat mit nicht öffentlichen Dokumenten 45 Millionen Euro Schadenersatz für den Drogerieunternehmer Erwin Müller erstritten.In Zürich läuft nun ein Aktenprozess.

Zürich Über Stunden verbietet sich der Richter Sebastian Eppli jedes Mienenspiel, macht es unmöglich für die Beobachter im Saal 31 des Bezirksgerichts Zürich, etwas von seinen Gedanken zu erahnen. Vor ihm kämpfen die Verteidiger des Stuttgarter Rechtsanwalts Eckart Seith sowie seiner Mitangeklagten Volker S. und Bernhard V. mit der Staatsanwaltschaft um die Zulassung weiterer Beweismittel in diesem Prozess um Wirtschaftsspionage zulasten der Privatbank Sarasin. Dann, nach ausgiebiger Mittagspause, entscheidet Eppli mit strenger Attitüde: Es bleibt beim Aktenprozess, wie er schon vor der Verhandlung bestückt wurde. Weitere Zeugen oder Angaben braucht der Richter für sein Urteil nicht. „Das Gericht ist der Ansicht, dass die beantragten Beweiserhebungen für dieses Verfahren nicht relevant sind“, bescheidet er.

Am Vormittag nehmen die Verteidiger immer neue Anläufe, um die Positionen ihrer Mandanten noch zwingender erscheinen zu lassen. Über diesen Fall, so zieht sich durch alle Stellungnahmen, könne nicht entschieden werden ohne die Kenntnis der Hintergründe über den Cum-Ex-Betrug, der internationales Ausmaß besitzt und bei dem die Bank Sarasin eine Schlüsselrolle spielte.

Bei der Staatsanwaltschaft Köln, die das Ermittlungsverfahren in Deutschland zentral führt, sammeln sich dazu seit Jahren die Akten. Es sind Tausende Seiten. Sie belegten „mit Bestimmtheit“ die Strafbarkeit der Bank Sarasin, sagt der Anwalt Matthias Brunner, der Eckart Seith vertritt. Deswegen müssten diese Akten im Züricher Prozess beigezogen werden.

Seith, der den geprellten Ulmer Drogerieunternehmer Erwin Müller vor dem Landgericht Ulm vertrat und für ihn 45 Millionen Euro Schadenersatz zurückholte, hat am Kölner Verfahren gewichtigen Anteil. Die Dokumente, die ihm die früheren Bankangestellten S. und V. zuspielten, ohne eine finanzielle Gegenleistung zu bekommen, benutzte er nicht nur, um sein eigenes Verfahren zu gewinnen. Sondern er leitete sie auch an die deutschen Strafermittlungsbehörden weiter, die dadurch grundsätzlichen Einblick in eine Betrugswelt zulasten des deutschen Steuerzahlers bekamen.

Die Verteidiger beantragen, Erwin Müller als Zeugen zu laden, damit dieser den Betrug an ihm beschreiben kann. Dazu den früheren Bankchef Eric Sarasin, der sich in Köln mit umfangreichen Aussagen und 200 000 Euro die Einstellung des Verfahrens gegen ihn erkaufte. Und wenn schon nicht die Kölner Akten beigeschafft werden sollten, so die Forderung, dann wenigstens die im Cum-Ex-Komplex maßgebliche ermittelnde deutsche Staatsanwältin Anne Brorhilker.

Für den Züricher Staatsanwalt Maric Demont ist das alles unwichtig. Demont führt die Ermittlungsarbeit seines Vorgängers Peter Gieger weiter, den die Verteidigerbank erneut als Mann mit verfolgerischem Eifer bezeichnet und der von seiner eigenen Behörde vom Fall abgezogen wurde. „Weshalb brauchen wir einen Lastwagen voll Ermittlungsakten?“, fragt Demont. Er sieht nur Ablenkungsmanöver der Verteidiger. „Der Anlagekomplex Cum-Ex ist gar nicht das Thema. Das Thema ist das Ausspionieren der Gegenpartei der Angeklagten.“ Anwalt Brunner hält es nicht auf seinem Sitz. „Es ist die Strategie der Staatsanwaltschaft, diese Verfahren zu trennen.“ Er meint das Stehlen der belastenden Bankdokumente und die Aufklärung der Cum-Ex-Betrügereien, die am Fall des Ulmer Unternehmers Müller voll sichtbar wurden. „Man kann das nicht auseinandertrennen“, ruft Brunner. „Dort liegt genau der Kern der Fehlerhaftigkeit des Verfahrens!“ Auch nach Schweizer Recht gelte, dass Geheimpapiere, die dazu dienten, ein Verbrechen zu decken, ihre Schutzwürdigkeit verlören.

Richter Eppli beginnt mit der Vernehmung der Angeklagten. Volker S., zum Tatzeitpunkt Compliance-Chef bei Sarasin, widerruft sein Geständnis aus der Untersuchungshaft. Sechs Monate U-Haft in einer Sechserzelle, ein tatenloser Pflichtverteidiger, die Familie draußen ohne Geld und eine chronische Krankheit, die er seit seiner Kindheit habe, nur immer höher dosierte Schmerzmittel durch den Gefängnisarzt – da habe er irgendwann gesagt, was man von ihm habe hören wollen. Nicht wegen Gelds habe er die Sarasin-Papiere an Eckart Seith übergeben, sondern aus Empörung über den von der Bank beabsichtigten „Prozessbetrug“, um Erwin Müllers Forderungen abzuwehren. Am Donnerstag könnte in Zürich plädiert werden; wann das Urteil fällt, steht noch nicht fest. Eckart Seith sagt, wenn er am Ende wirklich verurteilt werden sollte, dann wolle er wenigstens, dass die Leute bei ihm zu Hause wüssten, was wirklich vor sich gegangen sei.