„Der Stresslevel muss der Realität angepasst sein“

Menschen bei der Polizei (1): Steffen Rommel ist Einsatztrainer – Vom Nahkampf- bis zum Schießtraining ist alles dabei

Füße etwa schulterbreit, Oberkörper nach vorne gebeugt, Arme durchgestreckt, die Pistole ist geladen und aufs Ziel gerichtet. Ein Schuss fällt. Auf der Videoleinwand fällt eine Person zu Boden. Getroffen. Steffen Rommel nickt seinem Kollegen zu. Der Leiter des Einsatztrainings beim Polizeipräsidium Aalen hat so eben eine Trainingseinheit mit einem Polizisten im Schießkeller des Präsidiums Waiblingen absolviert. Der 48-Jährige bereitet seine Kollegen auf den Ernstfall vor.

„Der Stresslevel muss der Realität angepasst sein“

Der Schießkeller im Waiblinger Revier zieht sich etwa über 25 Meter Länge. Steffen Rommel zeigt hier seinen Schützlingen beispielsweise den richtigen Umgang mit der Waffe. Die Polizisten können anhand von Videosimulationen einen Ernstfall trainieren. Foto: Y. Weirauch

Von Yvonne Weirauch

WAIBLINGEN/BACKNANG. Ein Szenario: Ein Polizist soll eine Person kontrollieren. Was auf ihn zukommt, weiß er nicht. Er spricht die Person an, verlangt den Ausweis. Bevor der Polizist reagieren kann, zückt der Kontrollierte ein Messer und sticht zu. In der Realität hätte dieser Stich tödlich enden können. Was der Beamte falsch gemacht hat? „Wie jeder Mensch hat der Polizist zu gutgläubig reagiert. Und er war zu dicht an der Person.“ Als Einsatztrainer weiß Steffen Rommel, wo die Fehler im Detail liegen. In diesem Fall müsse ein Beamter immer skeptisch sein und einen Sicherheitsabstand einhalten.

Der 48-Jährige ist seit 26 Jahren im Polizeidienst. Nach Streifendienst und Bereitschaftspolizei ist Steffen Rommel unter anderem in Waiblingen gelandet. Mehrere Fortbildungen hat er durchlaufen, um seine Kollegen bestens auf den Ernstfall vorbereiten zu können, sei es beim Fahrsicherheits-, Schieß-, Abwehr- oder Integrationstraining. Rommel: „Polizisten arbeiten nicht jeden Tag in Extremsituationen, doch wenn der Ernstfall eintritt, sollten sie bestmöglich vorbereitet sein.“ Viele Trainingseinheiten lassen sich in den dafür vorgesehenen Räumen absolvieren, manches werde aber auch nach draußen verlegt. Im sogenannten Mattenraum könne es schon mal heftig zur Sache gehen: „Das Training ist mit einer Art Selbstverteidigungskurs zu vergleichen. Da wird man schon mal zu Boden geworfen.“

Polizisten müssen in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen treffen

Situationen werden realitätsnah in Trainingseinheiten dargestellt: „Das geht von der einfachen Personen- oder Fahrzeugkontrolle über den Nahkampf bis zum Schießtraining.“ Für Trainingseinheiten, die draußen stattfinden, werden beispielsweise Abrissgebäude genutzt. Aktuell fehlt es laut Steffen Rommel an weiteren geeigneten Orten für solche Übungen. Zum Beispiel ausgediente Kasernen kämen infrage. Was ganz wichtig bei jeder Art von Training sei: Den Stresslevel so weit wie möglich der Realität anzunähern. Nach dem Amoklauf in Winnenden 2009 wurden Konzeptionen für Trainings erarbeitet. Man habe sie im Lauf der Jahre ständig erweitert und fortgeschrieben.

Wie oft Polizisten trainieren, ist je nach Dienstzweig unterschiedlich. Spezialeinheiten trainieren mehrmals in der Woche, Streifenbeamte müssen ein festgelegtes Pensum absolvieren und einmal jährlich eine Schlussprüfung bestehen. In den verschiedenen Trainingseinheiten spielen die Beamten beispielsweise Bedrohungsszenarien mit Selbstmördern oder psychisch Kranken durch, stellen eine Fahrzeug- und Personenkontrolle nach – mal mit, mal ohne Waffe. Die Beamten feilen an Mimik, Gestik und Sprache, um Situationen gewaltlos zu entschärfen, in anderen Übungen trainieren sie speziell das Schießen. Die Trainings sind alle sehr realistisch. Laut Trainerchef Rommel geraten manche in „Echt-Stress-Situationen“.

Jede noch so harmlose Situation kann plötzlich eskalieren, dann müssen Polizisten in Bruchteilen von Sekunden die richtige Entscheidung treffen, um sich selbst und Unbeteiligte zu schützen. „Der Einsatz der Schusswaffe sollte allerletztes Mittel sein“, sagt Rommel. Der richtige Umgang mit der Dienstwaffe muss mehrfach trainiert werden. Drei Schießanlagen gibt es für den Bereich des Polizeipräsidiums Aalen: „Jeweils in den Revieren für den Rems-Murr-Kreis, den Ostalbkreis und den Landkreis Schwäbisch Hall.“

Bei Tempo 150 über rote Ampeln brettern, wilde Schießereien auf offener Straße – ganz so aufregend sieht der Polizistenalltag nicht aus. Bevor das erste Mal geschossen wird, müssen die Beamten büffeln. Denn eine falsche Entscheidung kann später den Tod bedeuten. Rommel zeigt im Schießkeller im Haus der ehemaligen Polizeidirektion Waiblingen, wie ein Schießtraining vonstattengehen könnte. Der Raum zieht sich etwa 25 Meter lang. Rommel: „Hier wird der richtige Umgang mit der Waffe vermittelt. Das fängt beim richtigen Halten an und geht bis zum Schuss.“ Wie umklammert man den geriffelten Griff? Wie wird die Hand stabilisiert? In welchem Winkel hält man die Pistole?

Videosimulation lässt Amoklauf realitätsnah wirken

Je nach Szenario werden bestimmte Zielscheiben oder Hindernisse im Raum aufgebaut. Fast wie im Film gestaltet sich eine Videosimulation an der Leinwand ganz hinten im Keller: Ein Amoklauf wird nachgestellt. Ein Durcheinander wird rasant auf den Bildern dargestellt. Der Polizist muss die Situation schnell erfassen und handeln. Der Raum wird durchsucht. Plötzlich öffnet sich eine Tür. Eine Person rennt und richtet sein Gewehr auf die Beamten. Pam, pam, pam: Es fallen Schüsse. Der Angreifer taumelt zurück. Wieder Schüsse, dann liegt der Schütze am Boden.

Wann ein Polizist schießen darf? Dies ist in den Paragrafen 49 und fortfolgende des Polizeigesetzes Baden-Württemberg geregelt: Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist. Auch wenn das Training mit der Waffe unverzichtbar bleibt: Wichtig sei nicht nur, gut schießen zu können. Ebenso wichtig sei es, wie man lernt, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

„Der Stresslevel muss der Realität angepasst sein“

Auch eine Fahrzeugkontrolle muss geübt und trainiert werden. Foto: Fotolia, B. Nolte