Der Tod ist sein Kollege

Marjan Schneider hat sich für den Beruf des Bestatters entschieden – Nach Feierabend hat er die Arbeit schnell vergessen

Es ist nicht der Beruf, von dem kleine Jungs träumen. Das war er auch bei Marjan Schneider nicht: „Ich wollte eigentlich was mit Autos machen.“ Doch nach einer abgebrochenen Autolackiererlehre schlug er einen anderen Weg ein und wurde Bestattungsfachkraft. Ein Beruf, der den jungen Mann erfüllt, denn er ist davon überzeugt: „Das ist eine verdammt wichtige Arbeit.“

Der Tod ist sein Kollege

Damit die Angehörigen am offenen Sarg Abschied nehmen können, behandelt Marjan Schneider eine Verstorbene mit speziellen Kosmetika.

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Marjan Schneider ist 25, aber die meisten Leute schätzen ihn älter. Das liegt vielleicht an seiner Dienstkleidung – schwarzer Anzug und Krawatte –, aber auch an seiner Art. Der Mann mit dem Pferdeschwanz wirkt freundlich, aber zurückhaltend. Er blickt einem in die Augen, aber er erzählt keine Romane. Und er strahlt eine Ruhe aus, die bei jemandem in seinem Alter selten ist. Vielleicht ist das sein Naturell, vielleicht wird man auch so, wenn man jeden Tag in Häuser kommt, in denen Angehörige um einen lieben Menschen weinen. Marjan Schneider weiß jedenfalls, dass er Trauernden am meisten hilft, wenn er sich selbst zurücknimmt. Und er hat oft festgestellt, dass er mit seiner Ruhe auch andere beruhigen kann.

Wenn er erzählt, was er beruflich macht, hört der 25-Jährige oft den Satz: „Ich könnte das nicht.“ Auch Marjan Schneider war sich anfangs nicht sicher. Ein Berater der Arbeitsagentur hatte ihm den Tipp gegeben, doch mal ein Praktikum in einem Bestattungshaus zu machen, weil der 17-Jährige erzählt hatte, dass er sich für die menschliche Anatomie interessiert. Gleich am ersten Tag durfte der Praktikant bei der „hygienischen Versorgung“ eines Verstorbenen zuschauen. Früher sagte man dazu „Leichenwaschung“. Schneider empfand weder Angst noch Ekel, sondern nur Interesse. Und so fragte er den Chef nach zwei Wochen, ob er nicht bleiben und eine Ausbildung machen könne. Eine Entscheidung, bei der auch persönliche Erfahrungen eine Rolle spielten: „Ein Freund aus meiner Kindheit ist bei einem Unfall ums Leben gekommen und wir konnten am offenen Sarg noch von ihm Abschied nehmen. Da habe ich gesehen, wie die Arbeit eines Bestatters hilft.“

„Ich behandle jeden

Verstorbenen gleich“

Verstorbene für die Aufbahrung vorzubereiten, das gehört heute zu Marjan Schneiders Hauptaufgaben. Neben seiner Arbeit im Backnanger Bestattungshaus Zur Ruhe macht er momentan eine Fortbildung zum Thanatopraktiker. „Das ist die höchste Kunst der hygienischen Versorgung“, erklärt der junge Mann, der aus Abstatt stammt. In Wochenendkursen lernt er zum Beispiel, wie man Tote einbalsamiert, um sie zur Bestattung ins Ausland zu überführen. Oder wie man Unfallopfer wieder so herrichtet, dass sie den Angehörigen im offenen Sarg gezeigt werden können.

Offene Wunden werden genäht, mit Wachs verschlossen und dann mit speziellen Kosmetika unsichtbar gemacht. „Aber so, dass es natürlich aussieht.“ Marjan Schneider erinnert sich an einen jungen Mann, der von einem Zug erfasst wurde, die Mutter wollte ihren Sohn unbedingt noch einmal sehen. Sechs Stunden war er beschäftigt, um das zu ermöglichen. Als sich die Mutter hinterher persönlich bei ihm bedankte und ihn bat, bei der Trauerfeier dabei zu sein, spürte der Bestatter eine Zufriedenheit: „Da wusste ich, dass ich mit meiner Arbeit der Familie helfen konnte.“

Die Schicksale der Verstorbenen blendet Marjan Schneider bei der Arbeit aus, selbst wenn es sich um junge Menschen oder sogar um Kinder handelt. „Ich bin nicht gefühlskalt, aber ich lasse das nicht an mich heran.“ Er sieht es als Vorteil, dass er die Menschen zu Lebzeiten nicht gekannt hat: „Ich stelle mir die Arbeit eines Altenpflegers schwerer vor, denn die bauen ja eine Bindung zu den Menschen auf, die habe ich nicht.“ Der Grundsatz des Bestatters lautet: „Ich behandle jeden Verstorbenen gleich.“ Mit Respekt und Würde, aber ohne persönliche Betroffenheit. „Denn sonst könnte ich meine Arbeit nicht anständig machen.“

Die schrecklichen Bilder, mit denen er zwangsläufig konfrontiert ist, wenn er von der Polizei an eine Unfallstelle oder zu einem Suizid gerufen wird, verfolgen ihn auch nicht in seine Träume. „Ich nehme das nicht mit nach Hause. Wenn ich meine Arbeit erledigt habe, denke ich gar nicht mehr daran.“ Auch das ist wohl eine Gabe, die man in seinem Beruf braucht. Marjan Schneider erzählt von einer Klassenkameradin aus seiner Ausbildung, die es immer sehr mitgenommen hat, wenn sie mit toten Kindern zu tun hatte. „Dann macht dich dieser Beruf natürlich kaputt.“

Für Marjan Schneider ist der Tod eher wie ein Kollege: Er sieht ihn täglich bei der Arbeit, aber er trifft ihn nicht privat. Glaubt er an ein Leben nach dem Tod? Der Bestatter denkt lange nach. „Schwierige Frage. Ich bin kein gläubiger Mensch, aber ich habe Respekt vor dem Glauben anderer Menschen.“

Mit Freunden spricht er

nicht über seine Arbeit

Seinen Beruf findet der 25-Jährige nicht nur sinnvoll, sondern auch abwechslungsreich. Auf einigen Friedhöfen ist er bei Beerdigungen als Sargträger im Einsatz, manchmal muss er Verstorbene, die ins Ausland überführt werden sollen, nach Stuttgart oder Frankfurt zum Flughafen bringen. Und wenn gerade wenig los ist, kümmert er sich um den Fuhrpark des Bestattungshauses. So hat sich auch sein Kindheitswunsch, „was mit Autos“ zu machen, am Ende noch erfüllt. PC-Arbeit wie die Gestaltung der Trauerkarten überlässt Schneider dagegen lieber den Kollegen: „Dafür fehlt mir die Geduld. Ich arbeite lieber praktisch.“

Einen Unterschied zu anderen Berufen gibt es noch: Wenn sich Marjan Schneider mit Freunden trifft, erzählt er in der Regel nichts von seiner Arbeit. Jedenfalls nicht ungefragt. Aber er hat festgestellt, dass viele auf ihn zukommen, wenn sie im privaten Umfeld mit dem Tod konfrontiert sind. „Denn sie wissen, dass sie mit mir darüber reden können.“

Der Tod ist sein Kollege

Marjan Schneider im Ausstellungsraum des Backnanger Bestattungshauses Zur Ruhe. Die tägliche Begegnung mit dem Tod gehört für den 25-Jährigen zum Berufsalltag, doch sie belastet ihn persönlich nicht. Fotos: A. Becher