Für Juden in Deutschland sei Antisemitismus Alltag, berichtet das Meldestellen-Netzwerk Rias. Die allermeisten Fälle stehen 2024 in einer einzigen Kategorie.
Die Vorstellung des Jahresberichts: Ron Dekel, Präsident der Jüdischen Studierendenunion; Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben, Bianca Loy, wissenschaftliche Referentin beim Bundesverband RIAS und Benjamin Steinitz, geschäftsführender Vorstand von RIAS (von links nach rechts).
Von red/dpa
Angriffe, Anfeindungen, Ausgrenzung gegen Juden in Deutschland: 2024 hat der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Rias fast 77 Prozent mehr antisemitische Vorfälle dokumentiert als im Jahr davor. Dazu zählen acht Fälle extremer Gewalt, 186 Angriffe, 443 gezielte Sachbeschädigungen und 300 Fälle von Bedrohung. Am häufigsten wurde „verletzendes Verhalten“ gemeldet: 7.514 von insgesamt 8.627 Vorfällen fielen laut Rias diese Kategorie, darunter 1.802 Versammlungen.
Der Anstieg zeigt sich seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 in allen verfügbaren Statistiken. Das Besondere an den Rias-Zahlen: Sie erfassen Vorfälle, die Betroffene oder Zeugen selbst bei den Meldestellen des Verbands vorbringen. Einfluss auf die Daten hat also, wie viele Menschen aktiv werden. Dabei bleibe eine große Dunkelziffer, betont Rias. Klar ist für den Verband: „Die Lage für Jüdinnen (und) Juden in Deutschland hat sich weiter verschärft.“
„Judenhass in Deutschland weit verbreitet“
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sprach von schockierenden Zahlen und schloss daraus: „Judenhass ist in Deutschland mittlerweile so stark verbreitet, wie wir es uns noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen wollten.“ Bundesbildungsministerin Karin Prien sagte dem „Tagesspiegel“ zu den Zahlen: „Antisemitismus ist kein Randphänomen, sondern eine reale Bedrohung für das jüdische Leben in Deutschland.“
Als Beispiele extremer Gewalt erfasste Rias nicht nur den Angriff eines Berliner Studenten auf einen jüdischen Kommilitonen vor einer Bar Anfang 2024. In die Kategorie fällt für das Netzwerk auch der tödliche Angriff eines Anhängers der Terrormiliz IS auf dem Stadtfest in Solingen, im Bekennervideo gab es einen Bezug auf den Gazakrieg und die angebliche Unterstützung durch Zionisten. Ebenfalls einbezogen wurde der Angriff eines mutmaßlichen Islamisten auf das israelische Generalkonsulat und ein NS-Dokumentationszentrum in München.
Beschimpfung auf dem Schulweg
Unter den 186 registrierten Angriffen war zum Beispiel einer in Oldenburg: Zwei Männer hielten dem Rias-Bericht zufolge eine jüdische Schülerin auf dem Schulweg fest und beschimpften sie als „dreckiger Jude“. In einem Leipziger Park griffen 10 bis 15 Rechtsextremisten drei Männer an, die sich über Antisemitismus unterhalten hatten. Einer der Täter habe „Scheiß Jude“ gerufen, schreibt Rias. In der Sächsischen Schweiz habe ein Mann eine Frau als „Nazi“ beschimpft und geschubst, die einen Beutel mit der Aufschrift „Feminist Zionist“ dabeihatte.
Unter den 443 Sachbeschädigung waren laut Rias 50 Fälle im Wohnumfeld: Im März zum Beispiel schmierten Unbekannte in Hamburg zwei Hakenkreuze neben die Haustür eines jüdischen Ehepaars, im April markierte in Leipzig ein Davidstern das Haus einer jüdischen Person. Dies beinhalte für Betroffene die bedrohliche Botschaft: Man wisse, wo sie wohnten.
Die allermeisten Fälle - insgesamt 5.857 - wurden als „israelbezogener Antisemitismus“ eingestuft. Das waren mehr als doppelt so viele Fälle wie 2023. An Hochschulen registrierte Rias im vergangenen Jahr 450 antisemitische Vorfälle. An Schulen waren es 284, darunter 19 Angriffe.