Vollsperrung zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt ab 12. Mai, genauso zwischen Murrhardt und Schwäbisch Hall ab 17. Juni: Auf die Pendler, aber auch auf die Schulen und Unternehmen in der Region kommen holprige Zeiten zu. Archivfoto: Alexander Becher
Von Kai Wieland
Rems-Murr. Frühlingsfest, Stadion, Schleyer-Halle – nicht wenigen Bewohnern des Rems-Murr-Kreises fehlt derzeit die Fantasie, wie das Verkehrskonzept für Großveranstaltungen in Stuttgart während einer Vollsperrung zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt aussehen könnte. In etwas mehr als drei Wochen soll es dennoch so weit sein, doch die Bahn hält die Spannung mit dem nach wie vor fehlenden Fahrplankonzept ab 12. Mai weiterhin hoch.
Der Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) gibt sich auf seiner Website ungeachtet dessen selbstbewusst und titelt in einer Pressemitteilung: „Frühlingsfest: Bus und Bahn bringen Besucher sicher hin und zurück.“ Immerhin: Die Großveranstaltung auf dem Cannstatter Wasen und die Vollsperrung überschneiden sich nur am letzten Festwochenende – an dem dann allerdings auch der VfB Stuttgart in der Mercedes-Benz-Arena gegen Bayer 04 Leverkusen spielt und in der Porsche-Arena der TVB Stuttgart gegen den THW Kiel antritt. Es wird sogleich der erste Härtetest für die Ersatzfahrpläne der Deutschen Bahn sein.
Berufspendler und Schüler können über derartige Sorgen indessen nur die Stirn runzeln, für sie steht vielmehr die tagtägliche Fahrt zur Arbeit oder in die Schule auf dem Spiel, und das übrigens nicht nur in Richtung Landeshauptstadt. Auch die Bildungseinrichtungen und Arbeitgeber im Rems-Murr-Kreis sind von den Auswirkungen der Vollsperrung betroffen.
Fehlende Informationen erschweren die Planung
Timm Ruckaberle ist Schulleiter der Max-Eyth-Realschule in Backnang, welche auch von Kindern und Jugendlichen zum Beispiel aus Kirchberg an der Murr besucht wird. Diese nutzen für die Fahrt zur Schule üblicherweise die S-Bahn-Linie 4, welche während der Sperrungen jedoch zwischen Marbach am Neckar und Backnang auszufallen droht. „Eine Vollsperrung der S-Bahn ist für Schüler, aber auch für Familien aus Kirchberg und Burgstetten eine große Belastung“, sagt Ruckaberle. Zwar funktioniere der Schienenersatzverkehr in der Regel ordentlich – genügend Erfahrungen damit habe man bei der Sperrung der Strecke in zurückliegenden Jahren schon sammeln können –, doch es führe sicher auch dazu, dass Familien die eine oder andere Fahrt übernehmen müssten. „Vor allem im Prüfungszeitraum, der ja bevorsteht, ist das natürlich alles andere als wünschenswert, dass gerade jetzt solche Belastungen dazukommen.“
Woran es vor allen Dingen hapert, sind rechtzeitige und zuverlässige Informationen, wie der regionale Bahnverkehr ab 12. Mai letztendlich ausgestaltet werden soll, das Stichwort lautet auch hier Fahrplankonzept. „Wir sind zuversichtlich, dass Eltern, Familien, die Stadt und die Verkehrsbetriebe Lösungen finden, die funktionieren“, betont Timm Ruckaberle. „Vor allem aber würden wir uns frühzeitige Informationen, die verlässlich sind, wünschen.“
Je länger das Fahrplankonzept auf sich warten lässt, umso weniger Zeit bleibt, um darauf zu reagieren
Auch die Gewerbliche Schule Backnang hat viele Schülerinnen und Schüler, die mit der Bahn in die Gerberstadt pendeln, teilweise sogar aus Stuttgart. Dem großen EVG-Streik Ende März, der eine Art Testlauf für die Auswirkungen eines stark eingeschränkten Bahnverkehrs auf den Schulbetrieb darstellte, wurde erfolgreich mit pragmatischen Lösungen und Fahrgemeinschaften begegnet. Das ist an der Berufsschule vor allem deshalb möglich, weil der Großteil der Schüler volljährig ist. „Ich gehe davon aus, dass diese Schülerinnen und Schüler überwiegend zur Sicherheit auf den PKW umsteigen“, sagt Wolfgang Waigel, Koordinierender Schulleiter im Beruflichen Schulzentrum, mit Blick auf die mehrwöchige Vollsperrung ab Mitte Mai. Dennoch dürfte diese eine größere Herausforderung für den reibungslosen Schulbetrieb darstellen, vor allem, wenn sich die Kapazitäten des Schienenersatzverkehrs als nicht ausreichend erweisen sollten.
Erschwert wird der Umgang mit den Sperrungen durch die geringe Vorlaufzeit. Je länger das Fahrplankonzept der Deutschen Bahn auf sich warten lässt, umso weniger Zeit bleibt den Schulen, um darauf zu reagieren.
„Da bei uns in vielen Bereichen Prüfungen anstehen, können wir sicherlich nicht abwarten. Wir versuchen in dieser Woche mit den Verantwortlichen der Bahn Kontakt aufzunehmen und den Planungsstand zu erfragen“, sagt Schulleiterin Isolde Fleuchaus. „Danach erfolgt im Zentrum mit den eine Abstimmung über notwendige Maßnahmen unsererseits.“
Die ersten Einschränkungen bekommt die Schule bereits ab Freitag zu spüren, wenn bis Mitte kommender Woche die S4 zwischen Backnang und Marbach entfällt. „Wir sind davon erheblich betroffen, da wir doch eine stattliche Anzahl von Schülerinnen und Schülern aus Richtung Marbach beschulen“, sagt Waigel. „Da in der nächsten Woche die Abiturprüfungen an den beruflichen Schulen beginnen, sind die Sperrungen für uns besonders ärgerlich.“
Auch bei den Arbeitgebernist Geduld gefragt
Für die Unternehmen im Rems-Murr-Kreis, welche Mitarbeiter aus der Region Stuttgart beschäftigen, dürften die bevorstehenden Sperrungen ebenfalls Auswirkungen haben. Wie gravierend diese ausfallen werden, wird allerdings maßgeblich vom Fahrplankonzept der Deutschen Bahn und dessen Umsetzung abhängen. Beim größten Arbeitgeber in Backnang, Tesat-Spacecom, möchte man sich zu der Thematik daher vorerst nicht äußern.
Zu der Vollsperrung zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt gesellt sich ab 17. Juni zudem noch eine weitere zwischen Murrhardt und Schwäbisch Hall, welche Berufspendler zu den Unternehmen entlang der Murrbahn wie Murrelektronik in Oppenweiler oder die Firma Erkert in Sulzbach an der Murr zusätzlich beeinträchtigen könnte.
Bei Erkert sieht man den Sperrungen dennoch vorerst gelassen entgegen. „Uns betreffen die Bahnsperrungen voraussichtlich kaum, weil unsere Mitarbeiter nicht von weiter weg als Waiblingen kommen“, sagt Annette Burock aus der Personalabteilung des Unternehmens, das über 1000 Angestellte beschäftigt. Die Sperrungen ab Murrhardt könnten da schon eher ins Gewicht fallen, aber es nutzten ohnehin nur wenige Mitarbeiter den Zug, weil dieser für den Schichtdienst bereits im Regelfahrplan oft keine Alternative darstelle. „Es betrifft insofern vielleicht zehn bis 15 Mitarbeiter, wenn überhaupt.“