Die Kosten für das Sozialhilfesystem explodieren. Deutschlands Kommunen fordern angesichts der multiplen Belastungen eine grundlegende Reform der Leistungen.
Weg von der Einzelfallentscheidung: Städte und Gemeinden wollen in Anlehnung an die Pflegeversicherung Pauschalen bei der Sozialhilfe einführen.
Von Markus Brauer/AFP
Deutschlands Kommunen fordern neben Änderungen beim Bürgergeld auch eine umfassende Sozialhilfereform. „Wir sollten auch bei der Sozialhilfe mehr Pauschalen einführen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger gegenüber der „Osnabrücker Zeitung“. Zur Begründung verwies er auf steigende Kosten.
Einzelfall-Entscheidung belastet Ämter
„Die Ausgaben für den Sozialhilfebereich haben sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt“, rechnet Berghegger vor. Ein Grund dafür sei: „Für jede Person, die Hilfe zum Leben benötigt, wird einzeln entschieden“, erläuterte der Interessenvertreter der deutschen Städte und Gemeinden. „Aber können und müssen wir uns diese Einzelfallgerechtigkeit noch leisten?“
Als Vorbild für die geforderten Pauschalen bei der Sozialhilfe verwies Berghegger auf die Pflegeversicherung. Dort gebe es „verschiedene Stufen, in die die Bedürftigen eingeordnet werden und nach denen sich die Unterstützung bemisst“.
Kommunen für System mit kompletter Pauschalierung
Bei einer Umstellung von Einzelfallbetrachtung auf eine komplette Pauschalierung „wären die Entscheidungen sehr viel einfacher zu treffen. Es könnte massiv an Personal gespart werden”, begründet der DStGB-Hauptgeschäftsführer seinen Vorstoß.
„Das wäre ein substanzieller Beitrag zur Entlastung der Kommunen. Wenn wir den Kostenauftrieb nicht in den Griff bekommen, helfen alle Sondervermögen nicht.“ Denn die Kommunen stünden „finanziell an der Klippe und sind nicht mehr flächendeckend handlungsfähig“.
Landkreistag sieht erhebliches Vereinfachungspotenzial
Unterstützung für diese Position kommt vom Deutschen Landkreistag. Dessen Präsident Achim Brötel betont: „Das beständige Streben nach Einzelfallgerechtigkeit, am besten bis zur vierten Nachkommastelle oder sogar noch weiter, ist ein typisch deutsches Phänomen.“
Weder die englische noch die französische, die italienische oder die spanische Sprache würden ein vergleichbares Wort dafür kennen. „In diesem Bereich gäbe es deshalb ein ganz erhebliches Vereinfachungspotenzial, ohne dass bei einer pauschalierteren Betrachtung gleich die Welt unterginge.“
Zukunftspakt soll es richten
Die Kommunen setzen ihre Hoffnung nun in den Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen. „Der muss auch Entscheidungen treffen, um die stetig wachsenden Ausgaben zu begrenzen“, ergänzt Berghegger.
Er beruft sich auch auf den Koalitionsvertrag „Die Administration von Sozialleistungen ist zu kompliziert“, heißt es darin. Union und SPD haben vereinbart, „sozialrechtliche Grundlagen, Verfahren und Zuständigkeiten konsequent zusammenzuführen und zu vereinfachen“.