Die Angst des Sängers und die Notlüge

Rainer Roos dirigiert zum 21. Mal das classic-ope(r)n-air auf dem Backnanger Marktplatz – Blick hinter die Kulissen

Eine Erfolgsreihe geht in die nächste Runde: 1998 wurde zum ersten classic-ope(r)n-air auf dem Backnanger Marktplatz eingeladen, die 21. Auflage gibt es morgen. 20 Konzerte mit exzellenten Instrumentalisten und Solisten unter der Leitung von Rainer Roos durften die Fans von Musik zwischen Oper und Film schon erleben. Diesmal geht es um „Millionen von Sternen“, eine romantische Nacht kündigt sich an.

Die Angst des Sängers und die Notlüge

Hat eine bunte Programmmischung wie bei jedem classic-ope(r)n-air zusammengestellt: Rainer Roos. Manche Stücke wurden früher schon einmal gespielt, andere sind völlig neu. Wieder dabei: Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart und der Stuttgarter Philharmoniker. Foto: E. Layher

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Wie all die Jahre ist das classic-ope(r)n-air ausverkauft. Schönwetterkarten werden aber noch vergeben. „Auf dem Marktplatz gibt es 1030 Sitzplätze, bei schlechtem Wetter weichen wir mit der Veranstaltung ins Bürgerhaus aus. Dort finden bis zu 913 Gäste Platz. Für das ,Mehr‘ an Plätzen auf dem Marktplatz geben wir kurzfristig Schönwetterkarten aus“, weiß Ralf Binder, Wirtschaftsbeauftragter der Stadt.

Von Anfang an stand das classic-ope(r)n-air unter einem guten Stern. Weil 20 grandiose Ausgaben zurückliegen, wird es Zeit für „Millionen von Sternen“. Rainer Roos, mittlerweile auch Intendant der Zwingenberger Schlossfestspiele, bewegt sich schon lange wie ein Fisch im Wasser auf dem Terrain der wunderbaren Töne – nicht immer nur aus der Welt der Oper. Doch es gibt wohl keinen Musiker, der nicht auch über Pannen erzählen könnte, über die man später herzhaft lacht – allein in der Situation werden jede Menge Stresshormone ausgeschüttet.

Auch Rainer Roos erinnert sich an so manche brenzlige Situation. „Beim ersten classic-ope(r)n-air waren wir noch nicht so gut organisiert wie heute, alle waren mit tausend Dingen beschäftigt, die noch zu organisieren waren. Ich war froh, rechtzeitig im Frack auf die Bühne zu kommen. Doch leider vergaßen wir dabei, den Bariton mitzunehmen.“ Als dieser an die Reihe kommen sollte, war er nicht da. Später wurde der Bariton von einem Techniker mit dem Motorrad direkt zur Bühne auf dem Marktplatz gefahren, so Roos. „Beim Absteigen rief er mir zu: ,Gleich Champagner-Arie!‘ und sang diese dann so schnell, wie ich sie bis heute nie mehr dirigiert habe!“

Ein berühmter Opernsänger im Publikum irritierte den Solisten

Auch mit Lampenfieber müssen sich viele Musiker herumschlagen. Selbst Geigenvirtuose Daniel Hope. In einem Interview mit der Aargauer Zeitung sagte er einmal: „Ich kann mich an Konzerte erinnern, wo ich großes Lampenfieber hatte und einfach nicht gut gespielt habe.“ Aber vor lauter Aufregung kurz vor dem Auftritt einen Rückzieher machen? Fast wäre das bei einem classic-ope(r)n-air passiert. Rainer Roos: „Ein Solist wollte einmal kurz vor dem Konzert, während Kulturamtsleiter Schick schon seine Ansprache hielt, nicht mehr auftreten und meinte, er könne sich nicht mehr bewegen. Er hatte Wind davon bekommen, dass wohl ein sehr berühmter Opernsänger, der den Wotan in den letzten Jahrzehnten regelmäßig in Bayreuth, an der Met und an der Wiener Staatsoper gesungen hatte, im Publikum saß. Nun sollte er im ersten Teil in Anwesenheit dieses Sängers das Ende aus „Rheingold“, in welchem Wotan die Götter nach Walhalla führt, singen. Stocksteif stand er vor mir, während ich zur Notlüge griff und behauptete, der Sänger hätte abgesagt und sei nicht da, wohlwissend, dass er im Publikum saß. Man möge mir diese Lüge verzeihen, ich wollte nur das Konzert retten. Am Ende ging alles gut.“

Um die 55 Musiker bestreiten das classic-ope(r)n-air. „Die meisten sind seit 1998 dabei“, sagt Rainer Roos. Anders die Solisten. Immer wieder können die Backnanger da neue Gesichter entdecken. In diesem Jahr treten die Sängerin Jana Marie Gropp sowie die Sänger Aaron Cawley und Marco di Sapia auf.

Jana Marie Gropp wurde von Roos 2014 in einem Meisterkurs eines Sängers entdeckt. Seit 2015 singt sie bei den Schlossfestspielen Zwingenberg. „Sie ist eines der Talente, das ich für eine Solokarriere mit aufbaue. Inzwischen macht sie diese auch schon und gastiert an zahlreichen deutschen Häusern. Jana ist der Prototyp der modernen jungen Sängerin, die Entertainment mit klassischer Musik fließend verbinden kann“, erklärt Roos. Besonders in „Girl in 14G“ werde sie das auch in Backnang beweisen. Aaron Cawley war einer der drei Tenöre bei der „Italienischen Nacht“ 2016 in Backnang. Schon lange komme er nach Zwingenberg. Roos: „2015 war er unser Alfredo in ,La Traviata‘ und ist inzwischen ein gefeierter Solist am Staatstheater Wiesbaden.“ Der Dritte im Bunde ist Marco di Sapia. „Mit Marco di Sapia habe ich schon mehrere Tourneen gemeinsam unternommen. Er ist ein grandioser Typ, der im Baritonfach sowohl seriös als auch als Entertainer einsetzbar ist. Genau richtig für Backnang! Freitagabend muss er noch in Wien singen, danach wollte er selbst mit seiner Cessna nach Backnang fliegen. Ich habe ihm das verboten, er kommt nun Samstagvormittag mit dem Linienflugzeug. Mir erscheint das sicherer, als wenn er versucht, Heiningen zu finden und dort zu landen!“

Obwohl das classic-ope(r)n-air 2018 noch nicht vorbei ist, machte sich Rainer Roos schon Gedanken über das classic-ope(r)n-air im nächsten Jahr: „Den Titel fürs nächste classic-ope(r)n-air muss ich immer schon im Jahr zuvor im April finden, ab da beginnt auch die Vorbereitung und das Sammeln der Ideen für die Stücke. Das heißt, jedes classc-ope(r)n-air hat immer zirka 14 Monate Vorbereitungszeit. Inspiriert werde ich häufig auf meinen Reisen.“ Etwa als Chefdirigent mit der Original Wiener Strauss-Capelle.

Am Samstag will Roos ein wenig auf die vergangenen Konzerte zurückzublicken, aber auch in die Zukunft schauen. „Unsere Ausschnitte aus der Oper ,Carmen‘ sind beispielsweise eine Reminiszenz ans erste classic-ope(r)n-air 1998.“ Das Thema „Millionen von Sternen“ hat der Dirigent ausgewählt, „weil es ein früher Traum schon zu Schulzeiten von mir war, ein solches Konzert auf dem Marktplatz zu initiieren. Über zehn Jahre später wurde dank der Verantwortlichen der Stadt Backnang und der Familie Mulfinger dieser Traum zur Realität. Kreative und somit oft ,träumende‘ Menschen werden von ihrem Umfeld häufig negativ bewertet. Vielerorts wandelt sich das zum Glück inzwischen und man begreift die Qualitäten dieser Menschen besser. Deshalb ist es mir wichtig, dieses Thema in den Mittelpunkt eines so wichtigen Konzerts zu rücken.“

Die Musik als Beitrag

zum Heilungsprozess

Und noch eines liegt Roos am Herzen: „Wir Künstler werden sehr oft mit unseren Denkweisen und Lebenserfahrungen unterschätzt. Ich würde mir wünschen, dass unsere Politiker uns mehr zuhören würden. Durch unsere vielen Reisen sind wir auf eine besondere Weise mit verschiedensten Völkern, Menschen, Kulturen und Künstlern beisammen, nicht als Touristen, sondern als Freunde. Dabei erfahren wir in Gesprächen viel über deren Sichtweisen, das sind Informationen und Erfahrungen, die Staatsgästen fehlen.“

Der Countdown läuft. Erstmals wurde für das classic-ope(r)n-air 2018 gestern in Stuttgart geprobt. Eine weitere Probe gibt es heute Nachmittag sowie morgen eine Anspielprobe in Backnang. „Probenorte hatten wir schon verschiedenste und kurioseste, unter anderem das Foyer des Katharinenhospitals. Die damalige Kulturbeauftragte sah unsere Musik als Beitrag zum Heilungsprozess der Kranken. Später änderte das Katharinenhospital die Orte der Abteilungen und dann durften wir dort nicht mehr spielen.“

Am Samstag geht’s um 20.30 Uhr los. „Nach dem klassischen Block im ersten Teil wird der zweite dieses Jahr wieder bunter“, so Roos. Überraschungen sind auch wieder zu erwarten. Und: „Als Zugabe haben wir dieses Jahr einen Titel, der unseren Zuschauern die Botschaft vermitteln soll: Egal wie’s kommt, nehmt es nicht zu schwer und versucht immer, das Beste aus allem zu machen, das Leben fröhlich und mit einer gewissen Leichtigkeit zu leben! Schließlich sind wir in Anbetracht von ,Millionen von Sternen‘ nur einen Wimpernschlag lang auf dieser Erde. Und wenn dann wieder alle Zuschauer mit glücklichen Gesichtern den Marktplatz verlassen, ist das für uns Künstler der höchste Lohn und die schönste Anerkennung.“