Die Chancen für künftige Azubis stehen gut

Auch im zweiten Jahr der Coronapandemie bieten viele Firmen Ausbildungsstellen an. Selbst wer zum Ausbildungsstart im September noch keinen Vertrag unterschrieben hat, kann auch später mit einer Berufsausbildung anfangen.

Die Chancen für künftige Azubis stehen gut

Mechatroniker-Azubi Daniel Pilich im dritten Lehrjahr und Praktikantin Clara Aupperle arbeiten am Azubi-Projekt Air-Hockey, das von den Azubis der Backnanger Holz Automation GmbH in Eigenleistung entwickelt und umgesetzt wird. Foto: A. Becher

Von Ingrid Knack

Backnang/Rems-Murr. Bereits zum zweiten Mal beginnt im September ein Ausbildungsjahr in der Coronazeit. Für die jungen Menschen, die neue Weichen für ihre Zukunft stellen müssen, gab es bei der Berufsorientierung wie beim Vorgängerjahrgang erschwerte Bedingungen. Isa Herrmann, Pressesprecherin bei der Arbeitsagentur in Waiblingen, sagt: „Weil unsere Berufsberaterinnen und Berufsberater das ganze letzte Jahr nicht beziehungsweise kaum in den Schulen vor Ort waren, besteht in puncto Berufsorientierung und Beratung ein Defizit. Das merken wir schon.“ Zwar seien Beratungen telefonisch und via Videochats gelaufen. 2020 seien die Voraussetzungen für die in der Beratung Tätigen und die Ausbildungsplatzsuchenden aber sogar noch etwas besser als jetzt gewesen. Herrmann: „Als der Lockdown kam, war schon relativ viel Berufsberatung gelaufen in den Abschlussklassen.“

Wie ab Mitte März 2020 hatten die Jugendlichen zudem auch dieses Jahr nur sehr beschränkt Möglichkeiten, bei Praktika auszutesten, ob dieser oder jener Beruf das Richtige für sie wäre. Berufsausbildungsmessen liefen ebenfalls anders als vor Corona. Fokus Beruf etwa ging online. Im persönlichen Kontakt könne indes ganz anders beraten werden, so Isa Herrmann.

Doch Not macht bekanntlich erfinderisch. Barbara Keller vom Referat Aus- und Weiterbildung bei der IHK Region Stuttgart, Bezirkskammer Rems-Murr, sagt: „Die Ausbildungsunternehmen wie auch die an der beruflichen Ausbildung beteiligten Institutionen haben trotz fehlender Präsenzangebote rasch Lösungen gefunden, Berufsorientierung stattfinden zu lassen.“ Neben Fokus Beruf nennt sie die Ausbildungsbotschafter, die in virtuellen Unterrichtsbesuchen über Ausbildung und Berufe informiert hätten. Interessierten Bewerberinnen und Bewerbern sei auch über virtuelle Speeddatings ermöglicht worden, mit Ausbildungsunternehmen ins Gespräch zu kommen. „Ergänzend zu diesen Angeboten können Unternehmen über das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg hybride Praktika anbieten.“

Es gibt Ausbildungsplätze, aber es bewirbt sich kaum jemand

Bei der Arbeitsagentur in Waiblingen hat man dennoch den Eindruck, dass viele Jugendliche davon ausgehen, es gäbe keine Ausbildungsangebote. Herrmann: „Viele sagen: Es lohnt sich ja nicht, mich zu bewerben. Ich krieg ja eh nichts.“ Die Rückmeldungen der Betriebe sehen aber ganz anders aus: „Wir haben Ausbildungsplätze, aber es bewirbt sich kaum jemand“, hören die Vermittlungsexperten immer wieder. Deshalb versuchen sie, den Jugendlichen, deren Eltern und anderen Kontaktpersonen nahezubringen, dass es sich durchaus lohnt, jetzt noch aktiv zu werden. Die Industriegewerkschaft Bauen/Agrar/Umwelt meldet gar 870 Ausbildungsplätze in ihrer Branche, die aktuell im Kreis noch zu vergeben seien.

Zu den Firmen im Backnanger Raum, die regelmäßig neue Auszubildende einstellen, gehört die Holz Automation GmbH. Wie im letzten Jahr werden auch 2021 wieder vier neue Azubis in der Firma in Waldrems anfangen, die ein internationaler Full-Service-Anbieter in den Bereichen Anlagenbau, Sondermaschinenbau und Automatisierungstechnik ist. „Unsere drei Ausbildungsberufe sind Technischer Produktdesigner, Mechatroniker und Industriemechaniker“, sagt Andreas Holz. Wobei das „in“ immer mitgedacht wird. Sprich: Gerne werden auch weibliche Azubis angestellt. Chancen gibt es wieder im nächsten Jahr: Holz: „Wir suchen auch Azubis für 2022.“

Auch nach dem offiziellen Ausbildungsstart werden noch Plätze vergeben

Wer also jetzt noch keine Ausbildungsstelle hat, sollte nicht die Flügel hängen lassen. Selbst nach dem offiziellen Ausbildungsstart im September geht noch was. Die Nachvermittlungszeit bei der Arbeitsagentur beispielsweise erstreckt sich bis zum Jahresende. Bei einem späteren Ausbildungsstart muss man dies eben individuell auch mit den Berufsschulen abklären. So gut wie in allen Branchen gebe es noch Möglichkeiten, weiß Herrmann. Die Pressesprecherin gibt bei der ganzen Betrachtung der Situation aber zu bedenken: „Ich kann immer nur den Ausschnitt der Firmen, die ihre Stellen bei uns melden, mitteilen. Nirgends gibt es eine vollständige Übersicht.“ Dies gilt auch für die Ausbildungsverträge.

Doch nicht nur Corona, sondern auch andere Faktoren spielen bei dem Thema Ausbildung eine Rolle. Die demografische Entwicklung wird sich auswirken. Überdies spricht Herrmann das Thema Automobilbranche und Transformation an, das bei der Betrachtung einer sich verändernden Arbeitswelt mitschwinge. Sie schränkt aber ein: „Im Moment sehen wir das noch nicht wirklich im Ausbildungsplatzangebot.“ Barbara Keller führt in diesem Zusammenhang ferner den Trend zu einer akademischen Ausbildung an. Seit dem vergangenen Jahr wird dennoch eine Bugwelle an Auszubildenden befürchtet, weil viele vielleicht lieber erst einmal eine weiterführende Schule besuchen, im Glauben, Ausbildungsplätze seien rar. Mit dem Effekt, dass eines Tages mehrere Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt drängen. „Dieses Jahr haben wir die Bugwelle nicht, aber wir fürchten, dass die uns nächstes Jahr trifft“, erklärt Herrmann.

In diesen Branchen werden noch Auszubildende gesucht

Ähnlich wie auch in den Vor-Corona-Jahren werden vor allem in der Hotel- und Gastronomiebranche, im Einzelhandel, in den Berufen der Lagerlogistik und vereinzelt auch in den IT-Berufen noch Auszubildende für das Ausbildungsjahr 2021 gesucht, präzisiert Barbara Keller von der IHK. Andererseits gilt: Insbesondere in den kaufmännischen Berufen der Industrie, im Großhandel und im Dienstleistungsbereich (etwa Industriekaufleute, Kaufleute für Groß- und Außenhandelsmanagement, Kaufleute für Büromanagement) sei dagegen die Nachfrage der Bewerberinnen und Bewerber größer als das Angebot an Ausbildungsplätzen. Barbara Keller: „Die größte Nachfrage erlebt bei Mädchen wie Jungen die Industrie, wobei die gewerblich-technischen Ausbildungsberufe wie Industriemechaniker, Mechatroniker und Elektroniker deutlich stärker von männlichen Bewerbern nachgefragt werden als von weiblichen.“

Die IHK-Bezirkskammer Rems-Murr hat zum Stichtag 31. Juli insgesamt 894 neue Ausbildungsverträge eingetragen. Das sind 2,9 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Das Vor-Corona-Niveau sei aber noch weit entfernt, lässt Keller wissen. Bis zum Jahresende dürften aber noch viele weitere Ausbildungsverträge hinzukommen. „Wir stellen bei den gewerblich-technischen Ausbildungsberufen mit einem Minus von 11 Prozent einen besonders starken Rückgang fest. Insbesondere in den Berufen der Metall- und Elektrotechnik. Erfreulicherweise verzeichnen wir aber auch steigende Zahlen in den besonders vom Lockdown betroffenen Branchen wie dem Handel oder der Hotellerie und Gastronomie.“ Zugelegt hätten im Vergleich zum Vorjahr auch die Verträge in den IT- und Lagerberufen sowie bei den Fachkräften für Schutz und Sicherheit, „sodass wir gegenüber dem Vorjahreswert derzeit insgesamt im Plus liegen, das stimmt uns ein Stück weit optimistisch“.

Beratung und Praktika

Kontaktdaten der Berufsberatung der Agentur für Arbeit in Waiblingen: Telefon 07151/9519-902 (Montag bis Donnerstag 10 bis 15 Uhr) oder per E-Mail waiblingen.berufsberatung@arbeitsagentur.de.

Unternehmen können über das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung BadenWürttemberg hybride Praktika anbieten. Das ZSL hat dafür eine Online-Plattform geschaffen (www.bo-bw.de/,Lde/Startseite/BO+digital/Virtuelles+Praktikum).

Die gängigen Lehrstellenbörsen (IHK-Lehrstellenbörse, Jobbörse der Agentur für Arbeit sowie Lehrstellenbörse der Handwerkskammer) geben über noch offene Ausbildungsstellen im Raum Backnang Auskunft.