Bundesverfassungsgericht

Die christdemokratische Gretchenfrage

Bei der Wahl der neuen Richter für das Bundesverfassungsgericht braucht die Union die Linken. Aber sie tut sich schon schwer mit einfachen Gesprächsangeboten.

Die christdemokratische Gretchenfrage

Beim Bundesverfassungsgericht werden Stellen frei.

Von Norbert Wallet

Wie hält es die Union mit der Einbindung der Linken? Das ist für die Christdemokraten ein echtes Dilemma, denn einerseits gilt noch immer der Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linkspartei. Andererseits wird die Linke gebraucht, wenn Zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag ohne Mithilfe der Rechtsextremen zustande kommen sollen – etwa bei der Reform der Schuldenbremse.

Welche Abwehrreflexe in der Union noch immer wirken, hat sich gerade gezeigt, als der linken Fraktionschefin Heidi Reichinnek der Sitz im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste verwehrt wurde. Nun steht eine weitere, vielleicht noch heiklere Entscheidung an: Am Bundesverfassungsgericht sind drei Richterstellen neu zu besetzen. Das höchste deutsche Gericht besteht aus zwei Senaten mit je acht Richtern. Im Ersten Senat ist Richter Josef Christ bereits seit Oktober 2024 nur noch kommissarisch im Amt. Im zweiten Senat endete die Amtszeit der Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König, am 30. Juni. Und ebenfalls im Zweiten Senat hat Richter Ulrich Maidowski um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zum 30. September gebeten.

Bundestag und Bundesrat entscheiden im Wechsel

Die Verfassungsrichter werden im Wechsel zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Für die aktuellen Neubesetzungen ist der Bundestag zuständig. Bislang gilt für die Wahlen ein zwischen den Parteien vereinbartes Porporz-Schema, nachdem von den acht Richtern eines Senats die Union und die SPD je drei benennen können, die Grünen und die FDP je einen. Bei den anstehenden Wahlen sind zwei SPD-Plätze und ein Unionssitz neu zu bestimmen. Die SPD hat ihre zwei Vorschläge schon präsentiert: Es sind die renommierten Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold. Die Union ist nun für ihren Zugriff auf den Namen eingeschwenkt, den das Verfassungsgericht auf einer eigenen Liste selbst an die erste Stelle gerückt hat: den Richter am Bundesarbeitsgericht Günter Spinner. Das höchste Gericht hat das Recht zur Vorlage eigener Vorschläge, wenn sich das Verfahren der Neubestimmung zu sehr in die Länge zieht.

Mit dem Vorschlag des allseits als sehr ausgleichend beschriebenen Günter Spinner hofft die Union nun einen Vorschlag zu unterbreiten, den die Linke schlecht ablehnen kann. Aber die Linke will mehr, will eine grundsätzliche Änderung der Formel. Sie kann darauf verweisen, dass der geltende Proporz aufgrund des Ausscheidens der FDP aus dem Bundestag ohnehin nicht mehr greift und reklamiert den FDP-Platz für sich. In einem Brief an die anderen Parteien haben die Fraktionschefs um ein Gespräch gebeten. Dabei soll es dann auch gleich um das Thema Parlamentarisches Kontrollgremium und Wege zur Reform der Schuldenbremse gehen. Die Union bringt das in eine Zwickmühle. Sie könnte das Scheitern einer Zweidrittelmehrheit bei der Richterwahl im Bundestag hinnehmen. Dann hätte der Bundesrat die Entscheidung und die Union käme um direkte Gespräche mit den Linken herum. Das aber wäre eine Blamage für das Parlament.

„Ein massives Störgefühl“

Die linke Rechtspolitikerin Clara Bünger sagte unserer Zeitung, das Verhalten der Union erwecke bei ihrer Partei „ein massives Störgefühl“. Dass die Union nicht einmal bereit sei, „ein Gespräch über die anstehenden Personalvorschläge und das Verfahren insgesamt zu führen, ist demokratietheoretisch wie politisch hochproblematisch“, sagte Bünger. „Wir erwarten, dass die demokratischen Fraktionen miteinander sprechen, statt Fakten zu schaffen und andere vor vollendete Tatsachen zu stellen.“ Angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse sei es „völlig unverständlich, warum der Linken ein eigenes Vorschlagsrecht weiterhin verweigert werden soll“.

Die Zeit drängt. Eigentlich soll am Donnerstag kommender Woche im Parlament abgestimmt werden. Das geht aber nur, wenn am Montag im zwölfköpfigen Wahlausschuss eine Zweidrittel-Mehrheit erzielt wird.