„Die, die bleiben, brauchen eine Zukunft“

Interview Jürgen Voag, Betriebsratsvorsitzender bei Bosch in Murrhardt, und Matthias Fuchs, Geschäftsführer der IG-Metall Waiblingen und Ludwigsburg, sprechen über die Lage des Murrhardter Werks. Es stehen Einschnitte bevor, aber es soll keine betriebsbedingten Kündigungen geben.

„Die, die bleiben, brauchen eine Zukunft“

Bei der Protestkundgebung beim Bosch-Standort in Murrhardt im März haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Auszubildenden noch gehofft, die Verlagerung der Rexroth-Montage nach Osteuropa vielleicht abwenden zu können. Foto: Jörg Fiedler

Sie waren nach der Protestaktion am Murrhardter Bosch-Standort Anfang März in Gesprächen mit dem Rexroth-Management beziehungsweise mit der Geschäftsleitung von Bosch Power Tools, um mindestens zu verhindern, dass die Rexroth-Montage nach Osteuropa verlagert wird. Mit Erfolg?

Jürgen Voag: Nein, wir waren vom Ergebnis her leider nicht erfolgreich. Wir haben zwar erreicht, dass wir mit der Bosch-Geschäftsführung auf der Schillerhöhe unsere Anliegen diskutieren konnten. Diese hat aber für den Vorschlag des Managements gestimmt und das komplette Arbeitgeberkonzept eins zu eins freigegeben.

Was bedeutet das?

Jürgen Voag: Der Beschluss umfasst auch die Verlagerungsmaßnahmen von Power Tools. Bei unserer Protestkundgebung haben wir uns hauptsächlich auf die Rexroth-Thematik bezogen, weil das die größte Einzelmaßnahme im Arbeitgeberkonzept ist. Insgesamt könnten damit maximal 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen sein aufgrund von weiteren Verlagerungs- und Auslaufmaßnahmen.

Keine einfache Lage. Was machen Sie jetzt?

Jürgen Voag: Klar, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind betroffen und verunsichert. Das Ergebnis des Beschlusses schmerzt! Und natürlich sind wir enttäuscht, weil wir glauben, dass durch diese Verlagerung die Risiken nun größer sind. Wir hatten nicht umsonst vorgeschlagen, die Verlagerung zu verschieben oder ein Moratorium einzurichten, um die Zeit zu nutzen, nach Verbesserungsmöglichkeiten im Werk zu schauen. Und es geht parallel darum, mit neuen Produkten auf den Markt zu kommen, aus diesem Grunde wollten wir auch Zeit, damit die Marktplatzierung nicht durch die zusätzliche Verlagerung nach Osteuropa gefährdet ist.

Matthias Fuchs: Das heißt, die Damen und Herren der Schillerhöhe haben sich geschlossen hinter das Rexroth-Management gestellt und gehen aus unserer Sicht den falschen Weg.

Warum kam man nicht zusammen?

Matthias Fuchs: Es geht um die Schwierigkeit, dass sich Rexroth zwei Dinge vorgenommen hat. Das eine ist, neue Schrauberprodukte zu entwickeln, die am Markt notwendig sind und die die Konkurrenz zum Teil schon hat, das andere, parallel die Montage nach Osteuropa zu verlagern. Da sind wir skeptisch. Wir haben zurückgemeldet, dass einerseits gesagt wird, es seien nur eng bemessene Kapazitäten für die Entwicklung vorhanden, andererseits müsse noch zusätzlich eine Verlagerung organisiert werden. Deshalb haben wir vorgeschlagen, erst mal in der Entwicklung voranzukommen, die Produkte in Murrhardt anlaufen zu lassen und die Montage, sollte es nötig sein, später nach Osteuropa zu verlagern. Wir sehen die Gefahr, dass man weder die Produkte zum richtigen Zeitpunkt auf dem Markt hat, noch eine gute Verlagerung schafft.

Jürgen Voag: Für uns spielt dieses Thema auch deshalb eine so große Rolle, weil an dem Rexroth-Produkt nach der Verlagerung immer noch zirka 120 Stellen im Werk hängen. Das heißt, wenn die Produkte sowie die Neuentwicklung nicht zum richtigen Zeitpunkt sicher in Osteuropa ankommen, dann hat der Murrhardter Standort ein zusätzliches Problem.

Dass der Standort durch diesen Schritt bedroht und es eine Frage der Zeit ist, bis er abgewickelt wird, war ja bei der Protestaktion Thema und hat sich auch in meinem Kopf festgesetzt. Wie sehen Sie das?

Jürgen Voag: Außer es gelingt, die Rexroth-Produkte gut zu platzieren, am Leben zu halten sowie ständig weiterzuentwickeln. Nur so ist die Chance vorhanden, die produktbezogenen Arbeitsplätze der Murrhardter Kolleginnen und Kollegen zu sichern! Zusätzlich müssen neue, zukunftssichere Beschäftigungen geschaffen werden. Bei Letzterem gibt es kleine Pflänzchen von Themen, aber die reichen bei Weitem nicht aus, um den Standort sicher in die Zukunft zu führen. Dass sich die Montage nicht auf ewig am Standort halten lässt, war klar, aber es braucht Zeit beziehungsweise Übergänge, um erfolgreiche Zukunftsprojekte zu finden.

Matthias Fuchs: Wir sind uns mit dem Management im Prinzip einig, zu versuchen, den Standort in die Zukunft zu entwickeln.

Wie geht es weiter? Heißt es, zu überlegen, wer von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehen kann oder muss?

Matthias Fuchs: Unsere oberste Prämisse ist, dass niemand betriebsbedingt gekündigt wird. Dazu sind Interessensausgleich und Sozialplan die Instrumente. Was wir noch zusätzlich benötigen und wollen, ist eine Zukunftsvereinbarung, bei der es um die nachhaltige und verbindliche Weiterentwicklung des Standorts geht.

Wenn es keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll, was bedeutet das, wenn bis zu 160 Arbeitsplätze, die an der Montage hängen, wegfallen?

Jürgen Voag: Es betrifft nicht nur Montagearbeitsplätze, sondern auch Arbeitsplätze im ganzen Werk. Vor dem Hintergrund von Interessensausgleich und Sozialplan wird es sicherlich Angebote geben, freiwillig aus dem Unternehmen auszuscheiden oder einen früheren Renteneintritt wahrzunehmen. Auch Qualifizierungsangebote und Vermittlungen sind denkbar, natürlich mit der Betonung auf Freiwilligkeit. Dabei darf man aber nicht vergessen, jeder abgebaute Arbeitsplatz fehlt in Murrhardt und für die Region! Unsere Position steht: Wir werden nicht nur den Abbau begleiten, sondern auch Zukunftschancen für den Standort aushandeln. Inwieweit uns das gelingt und die Firma bereit ist, Themen in diesem Sinne zu regeln, müssen wir sehen.

In Bezug auf die Weiterentwicklung hat der Konzern thematisiert, dass Beschäftigte Ideen gesammelt haben, von denen einige in die Entwurfsplanung einfließen, ansonsten an der Wettbewerbsfähigkeit gearbeitet wird. Geht das für Sie in die richtige Richtung?

Jürgen Voag: Es gibt einige tolle Ideen, Bosch muss dem allerdings zustimmen. Um dem Standort mittelfristig Luft zum Atmen zu geben, brauchen wir dringend mehr Beschäftigung für die notwendige Grundauslastung und genau diese fehlt aktuell noch. Die Auslastung ist ein großer Teil der Wettbewerbsfähigkeit.

Matthias Fuchs: Ein wichtiger Punkt. Es geht ja nicht darum, dass man bei Rexroth endlich Gewinn macht, sondern sich durch eine Verlagerung einen Teil der Kosten spart. Da das Management unseren Rat, die Risiken zu minimieren, ausgeschlagen hat, ist es nun dessen Aufgabe, andere Dinge stärker zu gewichten als bisher. Zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Teilefertigung ausgelastet ist, dann stimmt ein Großteil der Kosten. Unsere Bedingung ist auch eine Vereinbarung, die über mehrere Jahre hinaus die Beschäftigung dort sichert.

Lässt sich das mit besagtem Produkt erreichen?

Matthias Fuchs: In Bezug auf Rexroth sind das mehrere Produkte. Aber für den Standort wird die Teilefertigung das Herz sein, wenn man sich die Produktideen anschaut. Und da ist wichtig, dass die Rexroth-Zukunft auch in Osteuropa sicher ist. Wir wollen vereinbaren, dass die wichtigen Teile weiterhin in Murrhardt produziert werden.

Jürgen Voag: Das bedeutet auch den Verbleib der rund 100 Rexroth-Mitarbeiter. Wenn die den Standort verlassen, haben wir sofort ein neues Standortproblem.

Was steht jetzt konkret an, was sind die wichtigsten Schritte?

Matthias Fuchs: Wir müssen Eckpunkte für die Zukunftsvereinbarung formulieren und mit dem Arbeitgeber besprechen. Der wiederum will Verhandlungen zu Interessensausgleich und Sozialplan beginnen. Es geht darum, für jeden einzelnen Beschäftigten die bestmögliche Lösung zu finden.

Wie ist dabei der Zeithorizont?

Jürgen Voag: Die Rexroth-Montage soll Ende 2023 in Murrhardt auslaufen. Wir wollen aber nicht nur abwickeln. Diejenigen, die bleiben, brauchen eine Zukunft und einen Glauben daran. Diesen Part muss die Zukunftsvereinbarung leisten.

Das Gespräch führte Christine Schick.