Die FDP muss sich neu erklären

Stabilität ist für eine liberale Partei eine ambivalente Kategorie – und nicht weit von Stillstand entfernt

Von Norbert Wallet

Parteichef Christin Lindner wird mit dem Verlauf des FDP-Bundesparteitags ganz zufrieden sein. Die Delegierten haben ihm mit einer großen Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen. Sie haben auch deutlich gemacht, dass sie mit seiner Personalentscheidung für das Amt der Generalsekretärin sehr zufrieden sind. Nach turbulenten Jahren ist Stabilität in die Partei zurückgekehrt. Das ist angesichts der autoaggressiven Jahre zwischen 2003 und 2013 eine Errungenschaft. Aber Stabilität ist für eine liberale Partei eine ambivalente Kategorie und nicht weit von Stillstand entfernt.

Tatsächlich hat die Partei diesen ersten Wahlparteitag nach ihrer Rückkehr in den Bundestag vor allem zu dem Versuch genutzt, offene Flanken in der Tagespolitik zu schließen. Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, dass die FDP von der Heftigkeit einiger aktuellen gesellschaftlichen Debatten überrascht worden ist: Die Wucht, mit der die Friday-for-Future-Bewegung den Klimadiskurs verändert hat, die Breite der Proteste gegen die hohen Mieten. Und auch die Intensität, mit der über Gleichstellungspolitik debattiert wird, fand bisher im FDP-Kosmos keine Entsprechung. Hier mehr gesellschaftliche Anschlussfähigkeit zu ermöglichen war ein Parteitagsziel.

Es ist teilweise erreicht worden. Am ehesten gelang es in Sachen Klima. Die Konsequenz, mit der die FDP auf technologische Innovationen setzt und mit marktwirtschaftlichen Anreizen CO2-Reduktionsziele erreichen will, ist ein optimistisches Gegengewicht zum vorherrschenden Verbotsdogmatismus der aktuellen Debatten. Ob das Modell eines allgemeinen Zertifikate-Handels umsetzbar ist, mag noch unklar sein, aber es ist ein Weg, der eine Prüfung lohnt. Dass sich die Liberalen zudem die Freiheit nehmen, den demonstrierenden Schülern mit Argumenten entgegenzutreten, ist ein wesentlich respektvollerer Umgang mit den Protesten als die anbiedernden Belobigungen durch die politischen Mitbewerber. Dagegen lieferte die FDP beim Thema Mieten mit der Forderung nach der Streichung des Enteignungsparagrafen aus der Verfassung nur ein Placebo, und das mühevolle Ringen um eine minimale Frauenförderung in der Partei wird außerhalb der FDP eher Kopfschütteln auslösen.

Wirkliche Sorgen muss sich die FDP darüber nicht machen. Nach den Jahren der außerparlamentarischen Opposition ist sie wieder dort angekommen, wo die Mühen tagespolitischer Kleinarbeit den bundespolitischen Alltag bestimmen. Das beharrliche Ringen um programmatische Sprechfähigkeit, das manchmal gelingt und manchmal nicht, gehört eben dazu.

Die eigentliche liberale Herausforderung liegt auf einer anderen Ebene: Die Partei muss einen Weg finden, den Liberalismus als Idee neu zu erklären. Das ist dringend notwendig. Viele Faktoren erschüttern derzeit den Glauben an das segensreiche Wirken des freien Marktes: Dazu zählen Dieselskandale wie der Mietwucher in den Städten, das Verfehlen der CO2-Ziele wie die Unübersichtlichkeit der Globalisierung, wo unternehmerische Entscheidungen in Seoul oder Shanghai über Arbeitsplätze in Sinsheim oder Schorndorf entscheiden. Dieses neue Misstrauen gegen internationalisierte Märkte, das vielleicht von der Lehman-Krise ausgeht, mag begründet sein oder nicht – aber es ist machtvoll und beherrscht den öffentlichen Diskurs.

Der Liberalismus war nie Mainstream. Aber wenn er seinen Platz behaupten will, muss er weit oberhalb der Ebene der Tagespolitik seine Prinzipien und sein Menschenbild erklären. Das ist Lindners Aufgabe.

norbert.wallet@stzn.de