Die größte Wahl der Welt

900 Millionen Inder stimmen über neues Parlament ab – Chancen von Premier Modi für zweite Amtszeit stehen gut, obwohl er viele Versprechen nicht eingelöst hat

Neu-Delhi /AFP/DPA/EPD - Mehr als 900 Millionen Stimmberechtigte, knapp sechs Wochen Wahldauer und ein unsicherer Favorit: In Indien finden zurzeit die größten Parlamentswahlen der Welt statt. Das höchste Wahllokale befindet sich im buddhistisch dominierten Dorf Tashigang auf 4650 Meter Höhe. Im Gir-Nationalpark im Bundesstaat Gujarat, wo es mehr Löwen als Menschen gibt, öffnet ein Wahllokal für einen einzigen Wähler.

„Gute Tage stehen bevor“ – mit seinem Versprechen einer glänzenden Zukunft sicherte Narendra Modi seiner Partei als Erster seit 30 Jahren bei der Wahl im Jahr 2014 die absolute Mehrheit und wurde Premierminister. Für die große Mehrheit der 1,3 Milliarden Inder ist unter Modi aber keine Ära des Wohlstands angebrochen. Manche sehen sich zudem durch seinen religiösen Nationalismus gefährdet. Bei der aktuellen Wahl stehen seine Chancen auf eine zweite fünfjährige Amtszeit nach Umfragen aber trotzdem gut – nicht zuletzt wegen eines zeitweise ­drohenden Kriegs.

Nach Niederlagen bei wichtigen Regionalwahlen im Dezember schien Modis hindunationalistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP) auf einmal schlagbar. Dann tötete am 14. Februar ein Selbstmordattentäter im indischen Teil Kaschmirs 40 indische Sicherheitskräfte. Eine pakistanische Terrorgruppe reklamierte den Anschlag für sich. Es folgte der erste Luftangriff Indiens auf pakistanischem Gebiet seit 1971. Seitdem nutzt Modi den patriotischen Eifer, den das bei vielen Indern freisetzte, für sich. Die Botschaft an die Wähler: Wir beschützen euch.

Modi konnte viele seiner Wahlversprechen von 2014 nicht halten. Das macht ihn trotz der guten Umfragewerte verwundbar. Die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens wächst langsamer als erhofft, und die Arbeitslosigkeit hat ihren höchsten Stand seit den 70er Jahren erreicht. Viele Bauern nahmen sich in den vergangenen Jahren wegen gewaltiger Schuldenberge das Leben. Außerdem wird Angehörigen der BJP vorgeworfen, sie hätten öffentlich zu Lynch­morden aufgerufen.

Modis Widersacher Rahul Gandhi, welcher der einflussreichen Politikerdynastie Nehru-Gandhi entstammt und Urenkel des ersten Premierministers, Jawaharlal Nehru, ist, wirft dem Regierungschef vor, eine „nationale Katastrophe“ ausgelöst zu haben. Er wandte sich auf Twitter an die Wähler. Die Stimmabgabe erfolge „für die Seele Indiens“, schrieb er. Seine Kongresspartei verspricht den Wählern, die bittere Armut im Land bis 2030 zu beenden. Plakate zeigen Gandhi, wie er eine abgemagerte Bäuerin umarmt. Das kommt bei einigen Wählern gut an. „Ich will eine Regierung, die an Frauen denkt und die hohen Preise für Reis und Linsen senkt“, sagte etwa die 50-jährige Hausfrau Suman Sharman aus der 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt Ghaziabad.

Bei Wahlen zeigt sich Indien häufig von seiner gewalttätigen Seite: Während der Regionalwahlen 2016 wurden mehr als hundert Politiker und Funktionäre ermordet. Wegen der Sicherheitsvorkehrungen und der Größe des Landes mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern und 543 Wahlkreisen findet die Wahl bis zum 19. Mai in sieben Phasen statt. In Phase eins konnten Ende vergangener Woche Menschen in 20 Staaten ihre Stimme abgeben. Es gibt vom ersten Wahltag Berichte über Explosionen, mindestens vier Tote – darunter ein 13-Jähriger – und viele Verletzte. An diesem Donnerstag, dem zweiten Wahltag, wird in 13 Staaten abgestimmt.

Der Schlüssel zum Erfolg dürfte in Indien bei den jungen Wählern liegen: Zwei Drittel aller Inder sind jünger als 35, und es gibt 84,3 Millionen Wähler mehr als 2014 – etwa 80 Millionen sind Erstwähler. Abgestimmt wird in mehr als einer Million Wahllokalen, elf Millionen Wahlhelfer sind im Dienst. Auf die 543 direkt bestimmten Sitze im Unterhaus bewerben sich mehr als 8000 Kan­didaten, mehrere Hundert Parteien nehmen an der Wahl teil. Am 23. Mai werden die Stimmen ausgezählt.