Die Staaten machen Schulden, als gäbe es kein Morgen. Die globale Verschuldung ist bald auf neuem Rekordwert. Kann das gut gehen?
US-Präsident Donald Trump bei einer Rede vor dem America Business Forum in Miami
Von Rainer Pörtner
Donald Trump gab sich generös. Weil die amerikanische Wirtschaft gut laufe und die Staatsfinanzen bald viel besser aussehen würden, wolle er jedem US-Bürger eine „Dividende“ von mindestens 2000 Dollar zahlen. Das sind umgerechnet rund 1700 Euro. Ausgeschlossen von dieser Sonderausschüttung sollen nur Bürger mit hohem Einkommen sein, verkündete der US-Präsident Anfang November über seine Plattform „Truth Social“.
Schwimmt der amerikanische Staat plötzlich im Geld? Trump behauptet, durch seine Zölle auf ausländische Waren würden so viele „Billionen Dollar“ in die Staatskassen in Washington fließen, dass in Kürze mit einem Abbau der riesigen Staatsschulden begonnen werden könne.
Es war ein typischer Trump: viel Getöse, wenig Fakten. Die Verschuldung des Landes ist in Wahrheit unterwegs zu schwindelerregenden Höhen. Mit dem „One Big Beautiful Bill“, dem „großen, schönen Gesetz“, das Trump im Sommer durch den Kongress brachte, wird sich die Kluft zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben weiter verbreitern – trotz Zolleinnahmen und einigen Ausgabenkürzungen.
Allzeithoch nach dem Zweiten Weltkrieg
Schon jetzt sitzen die USA auf einem Schuldenberg von rund 32 Billionen Euro, dem eine jährliche Wirtschaftsleistung von knapp 26 Billionen Euro gegenübersteht. In den nächsten zehn Jahren wird sich dieses Verhältnis rasant verschlechtern. Finanzexperten rechnen damit, dass sich die Staatsschuldenquote der USA von heute schon mehr als 120 Prozent in Richtung 140 Prozent oder sogar mehr entwickelt. Die Mitgliedsländer der Eurozone hatten einst vereinbart, dass eine Schuldenquote von maximal sechzig Prozent erstrebenswert sei.
Die Amerikaner sind damit Trendsetter für eine ungute, gefährliche Entwicklung. Weltweit türmen die Staaten immer mehr Schulden auf. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) könnte die globale Staatsverschuldung bis zum Ende des Jahrzehnts auf 100 oder sogar 123 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Sie würde damit erstmals wieder eine Höhe wie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erreichen – dem bisherigen Allzeithoch.
Die globale Finanzkrise ab dem Jahr 2007 genauso wie später die Corona-Pandemie waren starke Treiber der Verschuldung: sie zwangen die Regierungen zu gigantischen Staatsausgaben, um ihre Bürger vor den Folgen dieser Krisen zu schützen. Aber nach einer kurzen Phase der Besserung werden jetzt wieder Kredite aufgenommen, als gäbe es kein Morgen.
Leben auf Pump
Deutlich mehr als 86 Billionen Euro haben sich die Staaten insgesamt heute schon ausgeliehen. Sie leisten sich sehr viele Dinge auf Pump, weil sie wirtschaftliches Wachstum stimulieren wollen, weil sie den technologischen Wandel und den Klimaschutz unterstützen wollen, weil sie mehr Geld für Verteidigung ausgeben, und weil sie Zumutungen für ihre Bevölkerungen durch Sparmaßnahmen scheuen.
Das Leben auf Kredit hat allerdings ernste Nebenwirkungen und birgt große Risiken für alle. Wenn das Wirtschaftswachstum nicht stark genug ist, um mit dem Schuldenwachstum Schritt zu halten, wird es eng. Wenn es keine Niedrigzinsen mehr gibt wie in den letzten Jahren, dann wiegt die Zinslast für die verschuldeten Staaten schnell sehr schwer. Und wenn Regierungen keinen großen Spielraum mehr für neue Ausgaben haben, können sie auf neue Krisen nicht mehr gut reagieren.
Wie gefährlich ist die Lage zurzeit? Viele Politiker wie der deutsche Finanzminister versuchen zu beruhigen. Man beobachte die Situation genau, auch die „Tragfähigkeit der Finanzen“, erklärte Lars Klingbeil vor kurzem am Rande einer Tagung von IWF und Weltbank in Washington, „aktuell gibt es keinen Anlass zur Sorge“.
„Wendepunkt in der Weltwirtschaft“
Viele Experten sind weniger gelassen. „Wir befinden uns an einem Wendepunkt in der Weltwirtschaft“, sagt Kenneth Rogoff, Wirtschaftsprofessor der Harvard University. Er warnt ausdrücklich vor einem „Finanzkollaps“. Für Vitor Gaspar, bis vor kurzem Abteilungsleiter beim IWF, kann es vor allem dann kritisch werden, wenn es zu einem Crash an den Finanzmärkten kommt – etwa nach einem Platzen der KI-Blase, die sich gerade an den Börsen bildet. Das könne, so Gaspar, in eine fiskalisch-finanzielle „Abwärtsspirale“ führen ähnlich der großen Schuldenkrise, die ab 2010 Europa erschütterte.
Gefährlich ist die Lage auch, weil die beiden wichtigsten Nationen der Eurozone beim Schuldenmachen vorn dabei sind. Deutschland war jahrelang Musterschüler des Währungsverbunds, jetzt hat es seine Schuldenbremse gelockert und riesige Sondervermögen für Verteidigungs-, Infrastruktur- und Klimaschutzausgaben eingerichtet. Bis Ende dieses Jahres steigt die deutsche Staatsverschuldung voraussichtlich auf 2,7 Billionen Euro. Die Schuldenquote liegt dann bei 62 Prozent, sieben Prozent höher als vor fünf Jahren.
Ein Verschleppen der Reformen wird teuer
Prekär ist die Situation vor allem bei unserem südwestlichen Nachbarn. Die französische Schuldenquote von 115 Prozent ist fast doppelt so hoch wie die deutsche. Investmentfonds, Pensionskassen und andere Finanzakteure verlangen von Frankreich für dessen Staatsanleihen deutlich höhere Zinsen als von Deutschland. Die französische Bonität hat schwer gelitten. Bisherige Versuche der Regierung in Paris, Ausgaben zu kürzen, führten vor allem zu breitem Protest. Aussicht auf Besserung gibt es zurzeit nicht.
In Europa sieht es also nicht besser aus als in Amerika. „Bei unveränderter Politik wird bis 2040 die Verschuldung des durchschnittlichen europäischen Landes 130 Prozent des BIP erreichen – etwa eine Verdopplung gegenüber heute“, urteilt der IWF und ruft die Regierungen zu mutigen Gegenmaßnahmen auf. Ein Verschleppen von Reformen werde dagegen teuer und die Aufgabe für die politischen Entscheidungsträger in späteren Jahren „noch herausfordernder machen“.