Die Europa-Abgeordneten diskutieren in Straßburg über die weitere Hilfe für die Ukraine. Nicht alle scheinen die gleichen Lehren aus der Geschichte des Zweiten Weltkrieges gezogen zu haben.
Der belgische Veteran Robert Chot (Mitte) sitzt neben dem polnischen Abgeordneten Janusz Komorowski (links) und Janusz Maksumowic während einer Zeremonie zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa im Europäischen Parlament .
Von Knut Krohn
Selten treffen Europas Vergangenheit und Zukunft so unmittelbar aufeinander. In Straßburg fand am Mittwoch eine Gedenkfeier zum Ende des Zweiten Weltkrieges mit drei Veteranen statt, während nur einen Steinwurf entfernt die Europaabgeordneten im Plenarsaal hitzig über weitere Hilfe für die Ukraine streiten. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zieht gleich zu Beginn der Debatte eine direkte historische Linie vom 8. Mai 1945 zu heute. „Endlich war der Albtraum vorüber“, sagt sie, mit dem eingekehrten Frieden konnte der Wiederaufbau beginnen. „Achtzig Jahre später finden wir uns in einem weiteren entscheidenden Moment für die Geschichte unseres Kontinents wieder“, warnt die Politikerin. Der Krieg in der Ukraine werde enden, doch „wie er enden wird, das wird unseren Kontinent auf Generationen hin bestimmen“. Auf dem Spiel stehe nicht nur die Zukunft der Menschen in der Ukraine, sondern „auch die unsrige“.
Widerspruch von den extremen Fraktionen
Doch die EU-Kommissionschefin erntete heftigen Widerspruch aus der extremen rechten und linken Ecke des Parlaments. Bei diesen Wortmeldungen wurden die wilde politische Grenzziehung und die überraschenden Übereinstimmungen zwischen den rivalisierenden Fraktionen offenbar. Kurz nach Ursula von der Leyen tritt die Ungarin Kinga Gal ans Mikrofon. Sie ist Mitglied der Partei Fidesz und gehört damit im Europaparlament zur rechtspopulistischen Fraktion der Patrioten für Europa. Was folgt, ist eine radikale Abrechnung mit der EU-Politik in Sachen Ukraine. Statt mit Waffenlieferungen und Hilfen für die Bevölkerung müsse Brüssel mit diplomatischen Vorstößen aktiv werden. Und die Ungarin vermittelt in ihrer kurzen Rede den Eindruck, dass vor allem die EU diesen Krieg vorantreibe, während Russland den Frieden suche.
Gegenwind bekommt Kinga Gal dann ausgerechnet aus der extremen rechten Ecke des Parlaments. Der Pole Adam Bielan von der Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) fordert die Europaabgeordneten auf, die Wahrheit auszusprechen: „Es gibt keinen Frieden ohne einen Rückzug Russlands.“ Der Imperialismus Moskaus dürfe nicht belohnt werden und die EU müsse alles tun, der Ukraine auf ihrem schweren Weg beizustehen, fordert Adam Bielan. Der immer wieder demonstrativ zur Schau gestellte Schulterschluss der rechtsnationalen Kräfte Europas kommt in diesem Fall an seine engen Grenzen.
Scharfe Kritik an der Ukraine-Hilfe der EU
Dagegen tun sich beim Thema Ukraine andere Koalitionen auf. Denn Unterstützung bekommt die Rechtspopulistin Kinga Gal kurz danach von der Linkspopulistin Özlem Demirel aus Deutschland. Die EU habe drei Jahre lang nichts für den Frieden getan, klagt die Linken-Politikerin. Die finanzielle Hilfe für die Ukraine nutze zudem nur den internationalen Großkonzernen, das Land auszusaugen. Schließlich fordert Demirel, ähnlich wie ihre rechtspopulistische Vorrednerin aus Ungarn, dass die EU endlich den Krieg in der Ukraine beenden solle. Auch sie verliert kein Wort darüber, dass das Morden schnell vorbei wäre, wenn der russische Präsident Wladimir Putin seine Truppen zurückziehen würde, die die Ukraine vor über drei Jahren überfallen haben.
Kein Zweifel kommt an diesem Mittwoch daran auf, dass die große Mehrheit der demokratischen Parteien im Europaparlament die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Invasoren weiter unterstützen wird. „Deutschland und die anderen westlichen Demokratien haben die Lehren aus dem Krieg gezogen, nie wieder einen friedfertigen Nachbarn anzugreifen“, betont der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler während der Debatte in Straßburg. „Russland hat das nicht getan, deshalb stehen wir an der Seite des Opfers dieser Aggression.“ Und dann schiebt Gahler geradezu dankbar hinterher: „Deutschland steht dieses Mal auf der richtigen Seite der Geschichte.“
Die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen
Auch der Veteran Robert Chot forderte in Straßburg die Politiker auf, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Bei der kleinen Feierstunde vor dem Gebäude des Europaparlaments redete er den Anwesenden mit Nachdruck ins Gewissen. „Im Jahr 1944 war ich ein junger Belgier, der dachte, er würde seine Pflicht tun“, sagte der sehr alte Mann. „Es schien ganz natürlich, erst im Widerstand, dann als Kriegsfreiwilliger, dann als Kämpfer mit der US-Armee.“ Und Robert Chot mahnte die Abgeordneten, den Frieden zu schützen. „Tun wir zusammen das Nötige, damit der Frieden in Europa für immer hält.“