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„Die Lieder sind ein besonderes Kulturgut“

Das Interview: Karl-Friedrich Schäfer und Renate Brosch sprechen über ihre Schubert-Interpretationen und andere Projekte

Die Backnanger Jugendmusikschule und deren Förderverein präsentieren heute um 19.30 Uhr in der Pfarr- und Zehntscheuer Erbstetten das Duo Renate Brosch (Sopran) und Karl-Friedrich Schäfer (Klavier). Diesmal stehen Kompositionen von Franz Schubert unter dem Motto „Frauenlieder – Männerlieder“ auf dem Programm. Wir sprachen mit den Künstlern über Aufführungspraxis, Herausforderungen und Zukunftspläne.

„Die Lieder sind ein besonderes Kulturgut“

Die Liederabende von Karl-Friedrich Schäfer und Renate Brosch in Erbstetten haben schon eine lange Tradition. Diese wird heute fortgesetzt. Foto: privat

Von Ingrid Knack

Ihre Liederabende in der Pfarr- und Zehntscheuer in Erbstetten haben schon Tradition. Nun präsentieren Sie Frauenlieder und Männerlieder von Franz Schubert. Ein ideales Programm für Sie, Herr Schäfer, da Schubert dem Klavierpart größere Bedeutung verlieh als dies Komponisten vor ihm taten...

Schäfer: Mit Schubert ist die Zeit vorbei, in der das Klavier nur als unentbehrliche harmonische Stütze diente – es wird zum gleichberechtigen Partner der Singstimme. Diese steht für das lyrische Ich, zu dem das Klavier sehr unterschiedliche Haltungen einnimmt oder auch szenische Situationen andeutet beziehungsweise illustriert. Schubert spricht selbst in einem Brief von diesem „ganz neuen, unerhörten Einswerden“ mit der Singstimme.

Schubert hat ja für Hammerklavier komponiert. Liegt Ihnen bei Ihrem Spiel daran, sich am Original so weit als möglich zu orientieren – was sich unter anderem am Gebrauch des Pedals ablesen lässt – oder setzen Sie auf freie Interpretation?

Schäfer: In der Neuen Schubert-Ausgabe gibt es in den Liedern keine detaillierten Pedalanweisungen. Selten findet man am Anfang der Lieder pauschal den Hinweis, dass Pedal verwendet werden soll. Das macht insofern Sinn, als die Pedalisierung von mehreren Faktoren abhängig ist wie zum Beispiel Instrument, Stimmvolumen und klangliche Disposition der Singstimme, Raumakustik, Verhältnis Singstimme – Begleitung oder der Gestaltungsidee überhaupt. Das Hammerklavier bietet für die Interpretation durchaus interessante Anregungen, aber Schubert war seiner Zeit und dem damaligen Stand des Instrumentenbaus weit voraus und hätte sicherlich auch die Möglichkeiten eines modernen Steinway-Flügels begrüßt. In diesem Spannungsfeld gibt es ausreichend Spielraum für die jeweiligen Interpreten.

Was bedeuten Ihnen ganz persönlich die Lieder von Franz Schubert? Einerseits ist da die romantische Poesie, Sie präsentieren auch eines der schönsten Schubert-Lieder: „Gretchen am Spinnrad“, das den Beginn der Romantik in der Musik markiert. Andererseits haben wir ja im „Erlkönig“, der ebenfalls in Erbstetten auf dem Programm steht, die Vertonung eines der schrecklichsten Texte der Weltliteratur...

Schäfer: Mit Franz Schubert beginnt eine einzigartige Entwicklung des deutschsprachigen Liedes, das sich vom simplen Strophenlied oder gefälligen Arietten völlig emanzipiert und ganz neue Formen entwickelt, die es in anderen europäischen Ländern und Sprachen so nicht gab. Die Lieder sind ein ganz besonderes deutsches Kulturgut. Das muss viel mehr in eine breite Öffentlichkeit gebracht werden. Wer kennt diese Lieder denn heute noch? Wer hat sie je im Konzert live gehört? An Schubert fasziniert uns beide seine unerschöpfliche Seelentiefe – unser beider erkorenes Lieblingsstück ist der langsame Satz aus seinem C-Dur Streichquintett in einer Einspielung mit dem russischen Tanejew-Quartett und dem Cellisten Rostropowitsch.

Die Schubert-Lieder sind ja durchaus eine besondere Herausforderung für denjenigen, der den Gesangspart übernimmt. Die Stimme muss wegen der klassisch-instrumentalen Kompositionsweise Schuberts sehr beweglich sein. Was reizt Sie an den Schubert-Liedern rein musikalisch?

Brosch: Wer Schubert-Lieder singt, muss in erster Linie einen innigen Bezug zur deutschen Sprache haben. Stimmliche Beweglichkeit und Vielseitigkeit ist eine Grundforderung vokaler Interpretation und gilt für Schubert und Wagner gleichermaßen. Schubert hat weit mehr Männer- als Frauenlieder geschrieben. Immer mehr Sängerinnen durchbrechen die Konvention, dass man diese als Frau nicht zu singen hat. Schuberts Musik ist wahrhaft androgyn und spiegelt sowohl weibliche als auch männliche Aspekte.

Wer Schubert-Lieder singt, muss sich auch mit berühmten Sängern messen lassen. Insbesondere das „Ave Maria“ kennt im Prinzip jeder. Zum Beispiel von Pavarotti oder Perry Como. Segen oder Fluch?

Brosch: Wer die Aufnahmen von Pavarotti und Perry Como mit verfälschenden lateinischen Texten und seichten Orchesterbegleitungen anhört, bekommt keinerlei Vorstellung davon, wie sich dieses Klavierlied im Original anhört. Der originäre Kontext dieses Liedes mit dem Titel „Ellens dritter Gesang“ ist ein völlig anderer: Schubert vertonte insgesamt sieben Gedichte aus dem im 19. Jahrhundert immens populären Roman „Das Fräulein vom See“ des schottischen Schriftstellers Sir Walter Scott. Schubert ging es in erster Linie um die Thematik von Krieg und Frieden, symbolisch eingekleidet in männlich-weibliche Archetypen. Wir versuchen mit unserem Liederabend, diese Zusammenhänge zu vermitteln.

Wie lange machen Sie schon gemeinsam Musik? Sie kannten sich schon zu Studienzeiten.

Brosch: Seit unserem ersten Liederabend im Jahre 1982 noch während unseres Studiums an der Musikhochschule Stuttgart. Die Stimme einer Sängerin verändert sich natürlich auch im Laufe einer so langen Zeit, und es gilt immer wieder, die Veränderungen durch neues Repertoire zu gestalten.

Was interessiert Sie bei der Entwicklung Ihrer Programme am meisten?

Schäfer: Vor zirka 20 Jahren haben wir begonnen, für uns die Form des klassischen Liederabends aufzubrechen, was von unserem Publikum dankend angenommen wurde. Damals kam die Idee auf, klassische Musik einem zunehmend diesem Genre entfremdeten Publikum durch neue Formen der Musikvermittlung durch geeignete Konzertformate oder völlig neue Kontexte nahezubringen. Auf unserer Homepage finden Sie eine Auswahl dieser Konzepte. Bei der Entwicklung neuer Programme lassen wir uns gerne von spontanen Ideen leiten, manches liegt buchstäblich in der Luft...

Woran arbeiten Sie aktuell? Welche Projekte, Auslandsreisen oder Tourneen stehen an?

Brosch: Neben unserer kontinuierlichen Liedduo-Arbeit hat jeder von uns auch eigene Projekte, zum Beispiel klassische Klavierabende, unterhaltsame Formate wie die alljährliche Schäfer-Stunde im Untertürkheimer Kulturtreff mit Musik und Literatur, Klavierfreizeiten auf Schloss Kapfenburg, Jurytätigkeiten bei Jugend musiziert, Theaterprojekte mit der Gesangsklasse Studio für Gesang, CD-Aufnahmen, Konzert- und Kurstätigkeit in Italien, wo wir seit 1994 einen Zweitwohnsitz haben, Einstudierung von Opernrollen, Programme mit Chansons von Georg Kreisler...

Schäfer: Wir haben noch viel vor.

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Vielfältige Musiker

Karl-Friedrich Schäfer, geboren in Dietzhölztal in Hessen, studierte zunächst Schulmusik und Musikwissenschaft an der Musikhochschule Stuttgart. Dort legte er 1984 auch sein pianistisches Konzertexamen bei Adu Frederica Faiss ab. Er hat einen Lehrauftrag an der Backnanger Jugendmusikschule und war bis 1994 Dozent für Klavier an der Hochschule für Kirchenmusik in Esslingen am Neckar. Schäfers Repertoire umfasst alle wesentlichen Werke der klassisch-romantischen Klavierliteratur, was sich in vielfältigen Soloprogrammen niederschlägt. Darüber hinaus gilt er als hervorragender Liedbegleiter.

Renate Brosch, geboren in Ludwigsburg, schloss – nach einem Schulmusikstudium – ihre Gesangsausbildung bei Friedhelm Hessenbruch und Silvia Geszty an der Stuttgarter Musikhochschule mit einem Konzertexamen ab. In dieser Zeit lernte sie ihren Mann, den Pianisten Karl-Friedrich Schäfer kennen, mit dem sie eine mittlerweile jahrzehntelange künstlerische Partnerschaft im Liedduo verbindet. Weitere Infos auf http://brosch-schaefer.de.