Die Rebellen

Ein Schwarzwalddorf hat die Hundesteuer auf 200 Euro verdoppelt: Keine andere Kommune im Land verlangt so viel – jetzt gibt es Aufruhr in Görwihl

Von Theresa Tröndle

Abgabe - In Görwihl im Südschwarzwald steigen die Beschwerden über herumliegenden Hundekot. Die Gemeinde will die Zahl der Hunde im Ort jetzt mit einer saftigen Steuererhöhung eindämmen.

Görwihl Das Läuten der Kirchenglocken ist für Podenco Taty das Signal zum Gassigehen. Sie zieht ihr Frauchen an der Leine hinter sich her, vorbei am Friedhof und dem Sportplatz, über einen Feldweg bis in den Wald. Dort drückt Taty ihre Schnauze ins Laub, wedelt mit dem Schwanz – und kackt.

Taty und ihre Häufchen kommen Frauchen Maria Theresia Ruf mittlerweile teuer zu stehen. Die zierliche 60-Jährige, Cord-Schildmütze und pinkfarbene Gummistiefel, muss jetzt wie alle Hundehalter in Görwihl 200 Euro für ihren Vierbeiner zahlen – doppelt so viel wie im Vorjahr. Und das, obwohl sie Tatys Werk immer sofort mit einer Plastiktüte aufliest und in den dafür vorgesehenen Mülleimer am Wegesrand entsorgt.

Dass die Gemeinde die höchste Hundesteuer in Baden-Württemberg verlangt, hat Folgen: Die Gemüter der Hundebesitzer sind erhitzt, es formiert sich Widerstand. Der Gemeinderat ist gespalten. Und der Bürgermeister gibt zu dieser hitzigen Debatte inzwischen keine Interviews mehr.

Görwihl, das sind ein paar Bauernhäuser, eine Schule, zwei Lebensmittelgeschäfte. Jeder kennt jeden, sonntags geht man in die Kirche. Am Ortsrand steht ein altes Hotel. Touristen verirren sich selten hierher. Seit 20 Jahren steht Bürgermeister Carsten Quednow der 4300-Seelen-Gemeinde zwischen den südlichen Ausläufern des Schwarzwaldes und der Schweizer Grenze vor. Mittlerweile mussten das Modehaus, vier Gaststätten, eine Arztpraxis und das Spielwarengeschäft schließen. Die Zahl der Hunde hingegen hat sich verdreifacht: auf 240 Tiere.

„Wöchentlich rufen Bürger aus allen Ortsteilen an und beschweren sich über Hundekot auf Spazierwegen“, klagt der zuständige Sachbeamte. Im vergangenen Jahr sah Bürgermeister Quednow die Zeit zum Handeln gekommen.

Wie alle Gemeinden und Städte ist auch Görwihl dazu verpflichtet, eine Hundesteuer zu erheben, nachzulesen in Paragraf neun, Absatz drei des Kommunalabgabengesetzes. Über die genaue Höhe entscheidet der Gemeinde- beziehungsweise Stadtrat. Der niedrigste Satz in Baden-Württemberg liegt bei 30 Euro in Moosburg am Federsee, der Durchschnitt bei 86 Euro.

Als „Anpassung der Hundesteuersatzung“ war der Tagesordnungspunkt für die Sitzung am 19. November im Gemeindeblatt angekündigt. Verschiedene Vorschläge wurden diskutiert. Ein Gemeinderat von den Freien Wählern schlug 365 Euro vor – einen Euro für jeden Tag. Schließlich solle die Gemeinde den „guten Ruf einer hohen Hundesteuer“ behalten. Man einigte sich auf 100 Euro Erhöhung, also 200 Euro Jahressteuer. Die siebenköpfige CDU-Fraktion und drei Freie Wähler stimmten dafür – einen Hund hält keiner von ihnen. Zwei Freie Wähler und zwei Grüne waren dagegen.

„Bei 20 Euro oder 30 Euro mehr hätte niemand was gesagt“, schimpft Maria Theresia Ruf. Sie kenne Hundebesitzer, die nicht wüssten, wie sie die neue Steuer bezahlen sollen. Ruf protestierte als Erste gegen die Erhöhung mit einem Leserbrief in der örtlichen Zeitung: „Tiere auf ihre Ausscheidungsprodukte zu reduzieren ist unappetitlich. Viele schenken Freundschaft und Nähe, weil die Sozialgemeinschaft es nicht leistet. Wollen Sie diese Menschen strafen?“

„Die Hundesteuer ist eine Lenkungssteuer. Ihr Sinn ist es, die Zahl der Hunde im Gemeindegebiet zu begrenzen“, hat der Bürgermeister Carsten Quednow zur Begründung des Ratsbeschlusses geschrieben. Seine Rechnung: Verglichen mit den Kosten für das Futter und den Tierarzt seien die 100 Euro zusätzlich im Jahr, 0,27 Cent täglich, ein geringer Betrag. „In Einzelfällen ermöglicht die Gemeinde, die Hundesteuer auch in Raten zu bezahlen.“

Einige Wochen nach dem Beschluss formiert sich, 600 Meter vom Görwihler Rathaus entfernt, der Widerstand: Eine kleine Deckenlampe taucht den Raum in dämmriges Licht. Ein Regal mit Maßkrügen. Eine mit kleinen Schnapsflaschen geschmückte Eckbank. Gehäkelte Gardinen vor den Fenstern. Es riecht nach nassen Hunden. Zwei Mischlinge und zwei Peking-Palasthunde wuseln zwischen den Beinen ihrer Frauchen und Herrchen umher. Diese sitzen um einen Mohnstollen, diskutieren erregt. Sie wollen sich gegen die Gemeinde wehren, haben mehr als 800 Unterschriften gesammelt und dem Bürgermeister übergeben.

Jannie Hetzel, eine der beiden Initiatorinnen der Unterschriftenaktion, führt das Wort. Auf ihrem Schoß sitzt ein weiterer Pekinese. Ein schwarzes Knäuel, mehr Fell als Hund. An seinem Halsband baumelt eine grüne Steuermarke. 600 Euro muss Hetzel insgesamt für ihre drei Hunde zahlen – eigentlich. Den jüngsten hat sie noch nicht angemeldet. Seit knapp einem Jahr ist sie arbeitslos. Auch Ratenzahlung ist da schwer.

„Es ist eine Frechheit, dass verantwortungslose Hundehalter die anderen Tierfreunde mit in den Dreck ziehen, wenn sie die Häufchen liegen lassen“, schimpft Hetzel. Sie und ihre Mitstreiter haben rechtlichen Rat eingeholt. Die Aussichten, vor Gericht gegen die Kommune zu gewinnen, sind gering. Sie wundern sich, dass Nachbargemeinden weniger Steuer verlangen. Auf 1000 Einwohner kommen in Görwihl rund 56 Hunde, in der Nachbargemeinde Herrischried 90, in Rickenbach 61. Herrischried verlangt 80 Euro, Rickenbach 90. „Wie kann das sein? Unsere Hunde kacken ja nicht mehr als andere!“ Eine Tatsache ist außerdem: Mit Ausnahme von Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und eben Deutschland kassiert kein europäischer Staat eine Hundeabgabe.

„Wir haben mehr für die Hundebesitzer gemacht als manche Nachbargemeinde“, sagt Peter Keck, CDU-Gemeinderat in Görwihl. Mit den Steuergeldern seien in den letzten Jahren unter anderem neue Mülleimer und Tütenspender an beliebten Spazierwegen installiert worden. Doch wie jede andere Steuer ist die Hundesteuer eine öffentlich-rechtliche Abgabe, die nicht an eine konkrete Gegenleistung gebunden sein darf.

Ein Landwirt, der nicht namentlich genannt werden möchte, ist froh über die Erhöhung. Er findet, dass es in der Gemeinde zu viele Hunde gibt. „In den Wiesen liegt oft Hundekot. Besonders ärgerlich ist das im Sommer, wenn das Gras gemäht wird. Dann gelangt Kot ins Futter der Kühe. Die Parasiten darin können sie krank machen.“

Tierärztin Wiltrud Jehle hat in den letzten sechs Jahren mehr als 400 Kotproben untersucht. Nur zwei davon waren mit Neospora caninum infiziert. Ein Parasit, den die Landwirte fürchten. Sie glauben, er sei für Fehlgeburten bei Kühen verantwortlich. Eine Schweizer Studie unterstützt Jehles Ergebnisse. Sie belegt, dass Hunde beim Übertragen des Parasiten keine Rolle spielen.

Mittlerweile dämmert es. Die Hundebesitzer um Jannie Hetzel diskutieren immer noch laut. Eine dünne Schneedecke hat sich auf die Wiese und Sträucher gelegt. Der Kaffee ist kalt, der Mohnstollen steht unberührt auf dem Tisch. Alle reden durcheinander.

„Wir brauchen eine Homepage.“ – „Wie wären Schilder an den Ortseingängen, die Besucher in der hundeunfreundlichsten Stadt Deutschlands begrüßen?“ – „Lasst uns 200 Euro und einen Cent überweisen, den muss die Gemeinde dann aufwendig zurücküberweisen.“ – „Oder wir bezahlen den kompletten Betrag in Ein-Cent-Münzen.“

Die Ideen gehen bis zur Hundesteuerhinterziehung. Denn nichts anderes ist es, wenn man seinen Vierbeiner bei Freunden meldet, weil dort die Steuer niedriger ist. Bürgermeister Quednow setzt auf Ehrlichkeit, stellt aber klar: „Sollte sich herausstellen, dass es vermehrt zu Fehlverhalten kommt oder die Verschmutzungen zunehmen, wird die Gemeinde Maßnahmen ergreifen.“

Vielleicht könnte Nattheim bei Heidenheim zum Vorbild werden. Dort bekommen Frauchen und Herrchen mit Hundeführerschein 30 Prozent Rabatt auf die Steuer. Statt 144 Euro zahlen sie nur 96 Euro.

Eine Möglichkeit im Kampf gegen die Häufchen seien auch DNA-Datenbanken für Hundekot, sagt Gemeinderat Keck. Dabei wird mit einem Abstrich aus der Mundschleimhaut der genetische Fingerabdruck des Vierbeiners erfasst. So können die Häufchen dem Tier zugeordnet und die Herrchen überführt werden. „Aber so weit“, sagt Keck schmunzelnd, „sind wir hier in Görwihl zum Glück noch nicht.“