Die Rettung kommt aus der Luft

Mit Wärmebilddrohnen überfliegen Piloten des Vereins zur Rehkitzrettung „Flugmodus“ die Wiesen in der Region und konnten im ersten Jahr schon knapp 150 Rehkitze vor dem Mähtod retten.

Die Rettung kommt aus der Luft

Mit der Drohne hält Andreas Metz Ausschau nach Rehkitzen, die im hohen Gras liegen. Fotos: Flugmodus e.V.

Von Heidrun Gehrke

BACKNANG. Sobald die Bauern mit dem ersten Grasschnitt beginnen, klingelt bei Andreas Metz und seinen Mitstreitern der Wecker sehr früh. Wenn es die Wetterverhältnisse zulassen, es also nicht gewittert oder stark regnet, brechen sie kurz nach dem Hellwerden, in der Regel um 5 Uhr morgens, auf. Dann sei die Sicht am besten. „Sobald die Sonne die Wiese erwärmt hat, nimmt das Gras irgendwann die gleiche Temperatur an wie das Kitz. Dann ist kein Unterschied mehr zu sehen“, so Metz. Sie lassen ihre Drohne zudem früh starten, um schneller zu sein als der Mäher. Ist das Kitz geortet, holen es die Retter mit Handschuhen aus der Gefahrenzone und legen es am Feldrand in einer Kiste ab. „Wäre menschlicher Geruch am Tier, könnte es passieren, dass das Kitz vom Muttertier nicht mehr angenommen wird“, so Metz.

Rehkitze leben zu Beginn der Mähsaison besonders gefährlich: Jährlich geraten deutschlandweit bis zu 100000 von ihnen unter die Schneidwerkzeuge der Mäher. Deutschlandweit gründen sich darum Initiativen zur Rettung der Rehkitze. In Backnang haben sich 14 Gründungsmitglieder auf Initiative von Andreas Metz, Stefanie Schlotterbeck (beide sind als Vermessungsingenieure beim Landratsamt Ludwigsburg tätig) und Stefanie Stärk im Juni 2020 zusammengetan (wir berichteten), weil ihnen die Rehkitze am Herzen liegen.

Der Fluchtinstinkt ist in den ersten Wochen noch nicht ausgebildet.

Denn die Rehmutter, auch Ricke genannt, legt ihre Kitze im Grünland ab und kommt nur zum Säugen, danach ist sie den ganzen Tag über weg. Das Fiese an der Geschichte: Die allein gebliebenen Dummerchen laufen bei Gefahr nicht weg. „Ihr Fluchtinstinkt ist in den ersten zwei, drei Lebenswochen noch nicht ausgebildet“, erklärt Metz das angeborene „Drückverhalten“. Rehkitze drücken sich auf den Boden und warten, bis der Feind sich aus dem Staub gemacht hat. Neugeborene Rehe hätten zudem keinen Eigengeruch, was die Suche mit Hunden erschwere. Die „Duckstellung“ sei somit zwar ein guter Schutz vor natürlichen Fressfeinden wie dem Fuchs. Doch gegenüber den Mähdreschern ist der Instinkt ihr Todesurteil.

Mit dem Wissen, vielen Tieren das Leben retten zu können, falle das frühe Aufstehen überhaupt nicht schwer, sagt Metz. Die Rehkitzretter erleben mehr als die Stille des Morgens und das Vogelzwitschern. „Auch wenn ich als Pilot die kleinen Kitze nur sehr selten zu Gesicht bekomme, ist es ein schönes Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.“ Auch Jägern erspart die Arbeit der Kitzretter eine besonders schlimme Aufgabe. „Ein Tierchen zu erschießen, das vor Schmerzen schreit, das möchte niemand erleben“, sagt Jagdpächter Armin Pfitzenmaier. Er musste schon viele Rehkitze vom Leiden erlösen. „Es tut mir sehr weh, darum müssen so viele wie möglich mit der Drohne gefunden und gerettet werden“, sagt er. Das Ergebnis in dieser Saison: In einer Flughöhe von 50 Metern mit drei hochauflösenden Wärmebildkameras konnten seit dem 20. Mai an 16 Einsatztagen 630 Hektar Wiesenfläche beflogen werden. In dem Zeitraum wurden 143 Rehkitze und zwei Igel gerettet sowie zahlreiche Feldhasen aus den Flächen vertrieben.

Die moderne Technik kostet: Ein Einsteigermodell der unbemannten Luftfahrzeuge liegt nach Info von Andreas Metz bei knapp 3000 Euro. Der Verein nutzt leistungsstärkere, hochauflösende Geräte, die mit bis zu 6000 Euro zu Buche schlagen. Die Einsicht, dass Rehkitzrettung unterstützt gehört, ist mittlerweile beim Bund angelangt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium fördert die Rehkitzaktionen mit drei Millionen Euro zum Erwerb von Drohnen. Der Backnanger Verein erhält einen Teil des „Kuchens“: Der parlamentarische Staatssekretär MdB Hans-Joachim Fuchtel überreichte eine Fördersumme in Höhe von 6517,80 Euro, mit der zwei der drei Drohnen zum Teil finanziert werden konnten.

Und wie sieht es mit Genehmigungen für die Drohnenflüge aus? Andreas Metz erklärt: „Die meisten Einsätze finden in der Pampa statt. Da ist der Drohnenflug grundsätzlich erlaubnisfrei. Anders sieht es aus, wenn eine Stromleitung quer über die Wiese läuft oder wir etwas näher an eine Straße heranfliegen müssen oder auch beim Überfliegen von FFH- oder Vogelschutzgebieten. Hier haben wir eine Befreiung von sogenannten geografischen Verboten und müssen bestimmte Auflagen einhalten – etwa Mindestabstand zu Bundesstraßen abhängig von der Flughöhe. Die Befreiung ist bei uns an die Tierrettung gekoppelt und gilt zunächst befristet bis 2023. Für die Kitzrettung fallen hier auch keine Gebühren an. Zusätzlich zur Erlaubnis durch die Landesluftfahrtbehörde Baden-Württemberg wird eine Fluglizenz – umgangssprachlich ,Drohnenführerschein‘ – benötigt sowie eine spezielle Haftpflichtversicherung. Dann kann man aber so oft fliegen, wie man möchte, unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und Auflagen.“

35 Mitglieder im Verein

Die Hilfe des Vereins ist kostenlos. Die Mitglieder rücken ehrenamtlich zu ihren drohnengestützten Lufteinsätzen aus. Neben den Spenden von Privatpersonen oder Firmen spendet auch ab und zu ein Jagdpächter oder ein Landwirt etwas.

Flugmodus ist mit einer Drohne gestartet. Inzwischen ist er nach Info von Vorsitzendem Andreas Metz auf 35 Mitglieder angewachsen und mit drei Drohnen unterwegs. So können nun deutlich mehr Aufträge angenommen werden. „Die Anfragen sind explodiert, sie haben sich locker verzehnfacht“, so Metz, der bedauert, vielen Personen absagen zu müssen, da hoffnungslos überbucht. Um auf die steigende Nachfrage vorbereitet zu sein, benötigt der Verein weiterhin Spenden und auch Piloten, die Drohnen fliegen dürfen und können.

Der Verein kann eine Spendenbescheinigung ausstellen. Wer unterstützen möchte, erhält Infos bei Andreas Metz unter 0174/ 2706088, E-Mail flug.modus@gmx.de oder www.flug-modus.de.