Die Selbsthilfegruppe als Anker

Alkoholabhängige treffen sich regelmäßig im Musiksaal der Backnanger Pestalozzischule zum Austausch

Es gibt zahlreiche Hilfsangebote für Suchtkranke, und dennoch ist es für die Betroffenen nicht einfach, fündig zu werden. Der Freundeskreis Backnang, Mitglied der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe Landesverband Württemberg, ist seit Jahrzehnten aktiv und möchte seinen Mitgliedern ein verlässlicher Anker sein und bleiben.

Die Selbsthilfegruppe als Anker

Die Gesprächsteilnehmer der Selbsthilfegruppe gewähren tiefe Einblicke in ihr Leben. Foto: A. Becher

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Die Selbsthilfegruppe für Alkoholabhängige und deren Angehörige traf sich anfangs zweimal pro Woche, aber die Abstände sind größer geworden. Inzwischen finden die Meetings vierzehntägig statt. Sie werden von langjährig trockenen Alkoholikern begleitet. Von einer Gesprächsleitung möchte man hier nicht sprechen, denn es geht lediglich darum, dass jede(r), die oder der es möchte, zu Wort kommt und auch Zeit hat, sich zu äußern. „Ich hab dich“, sagt der Gesprächsbegleiter, wenn er die Wortmeldung eines Teilnehmers registriert hat, ein anderer aber noch ausreden möchte. Heute ist ein gutes Dutzend Männer und Frauen gekommen, einige von ihnen mit ihren Partnern. Nicht jedem beziehungsweise jeder sieht man die Krankengeschichte an – die Sucht ist tückisch und versteckt sich mitunter hinter einer perfekten Fassade. Einige der Gruppenmitglieder sind noch recht jung, und es ist nicht weniger als erschütternd, zu erleben, welch tiefe Verschmelzung mit der Sucht aus ihren routinierten Formulierungen spricht. Besuch von der Presse ist natürlich eine Ausnahme. So ist es nicht verwunderlich, dass die Gesprächsteilnehmer nicht unmittelbar auf ihre ganz persönlichen Geschichten zu sprechen kommen. Zunächst tauschen sie sich über einen zurückliegenden gemütlichen Grillabend aus und reden dann über ihre Erfahrungen mit verschiedenen Langzeittherapien nach der Entgiftung. Das Klinikum Winnenden kennen sie alle – die Einschätzungen der Betreuung Alkoholkranker und ihrer Angehörigen dort fallen differenziert aus. Insbesondere das relativ moderne 100-Tage-Programm stößt auf Kritik, da es, wie einige meinen, den Suchtkranken zum Selbstbetrug verleitet. 100 Tage lang müssen sich die Patienten täglich zum Alkoholtest einfinden und können danach wieder nach Hause, Hauptsache sie sind zum Termin bei 0,0 Promille. Immerhin sei es eine Hilfestellung zum „kontrollierten Trinken“, ein Ausdruck, der selbstironische Bekenntnisse und bittere Scherze der Gesprächsteilnehmer und ihrer Angehörigen provoziert. Vom „Rückfallstüble an der B14“ ist die Rede und von der vielen Zeit, die einem Alkoholiker auf Entzug plötzlich zur Verfügung steht und die gefüllt werden will. Erfahrungen mit Privatkliniken kommen ebenso zur Sprache wie die Erlebnisse einiger älterer und seit Jahrzehnten trockener Alkoholiker, die auf die Wirksamkeit früherer Therapien schwören. Die Selbsthilfegruppe erleben manche von ihnen als eine Art Lebensversicherung. Tiefe Einblicke in ihre Leben gewähren die Gesprächsteilnehmer einander, denn sie wissen, dass Ehrlichkeit gegenüber anderen und sich selbst eine Bedingung für langfristige Abstinenz ist. Und sie alle kennen die wichtigste Regel, die eine Basis des gegenseitigen Vertrauens bildet: „Wenn du gehst, lass es bitte hier.“ Eine Selbstverständlichkeit, dass niemand das in der Gruppe Gehörte nach außen trägt, und dennoch ein gutes Gefühl, sich dessen immer wieder zu versichern.