Nach dem Zoll-Deal zwischen der EU und den USA hagelt es Kritik von allen Seiten an der EU. Die aber ist nicht immer gerechtfertigt.
Der Zolldeal zwischen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump ist höchst umstritten.
Von Knut Krohn
Europa begräbt das Kriegsbeil mit den USA. Nach der Zoll-Einigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump setzt Brüssel seine für ein Scheitern der Verhandlungen geplanten Gegenzölle am Mittwoch offiziell aus. Die EU-Kommission habe das dafür „notwendige rechtliche Verfahren angenommen“, sagte ein Sprecher. Die Gegenzölle hätten am 7. August in Kraft treten sollen.
Die Erleichterung, dass es nicht zu einem Handelskrieg mit den USA kommt, ist in der EU mit Händen zu greifen. Zufriedenheit angesichts des Deals macht sich allerdings nicht breit – eher das Gegenteil. Aus vielen Mitgliedstaaten ist scharfe Kritik zu hören, die sich vor allem an der überaus zuhaltenden Verhandlungstaktik Ursula von der Leyens entzündet. Tenor: Europa hat sich unter Wert verkauft.
Markige Worte von den EU-Kritikern
Überraschend ist allerdings, dass ausgerechnet jene Parteien ein markigeres Auftreten der EU gegenüber den USA einfordern und gute Ratschläge erteilen, die im und außerhalb des Europaparlaments beharrlich daran arbeiten, die Union zu schwächen. So schimpfte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel im Bundestag, dass der Deal „ein Offenbarungseid für die EU“ sei. Daran Schuld habe unter anderem die Fixierung der EU auf „schrankenlose Migration und umfassende Zensurprojekte“. Ähnlich reflexartig äußerte sich Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Der notorische Quertreiber hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach der Zolleinigung ein „Leichtgewicht“ als Verhandlerin genannt. „Dies ist kein Abkommen, sondern der US-Präsident hat Ursula von der Leyen zum Frühstück verspeist“, sagte der Premier im ungarischen Fernsehen.
Diese Besserwisserei der üblichen Verdächtigen wurden von der EU-Kommission über Tage beharrlich ignoriert, doch im Fall der jüngsten Äußerungen von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil, sah sich Brüssel dann doch zu einer spürbar gereizten Reaktion gezwungen. Der SPD-Politiker hatte sich bei seinem jüngsten Besuch in Washington mit Blick auf die Zollverhandlungen enttäuscht gezeigt. „Ich finde, wir waren zu schwach. Wir können auch nicht mit dem Ergebnis zufrieden sein, das erzielt wurde“, sagte Klingbeil. In Brüssel stieß er damit allerdings auf Unverständnis. „Ich muss zugeben, dass wir von dieser Aussage des deutschen Ministers ziemlich überrascht waren“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Er wolle zudem daran erinnern, dass die EU-Mitgliedstaaten immer wieder betont hätten, dass ein Handelskonflikt mit den USA nicht wünschenswert sei und nur eine Verhandlungslösung Stabilität gewährleisten könne.
Eine deutliche Botschaft an den Bundeskanzler
Die Kritik an Klingbeils Kritik war auch eine unverhohlene Botschaft an Bundeskanzler Friedrich Merz. Der hatte sich schon während der Verhandlungsphase immer wieder zu Wort gemeldet und von der EU-Chefin mit großem Nachdruck einen raschen Deal eingefordert. Er wollte die von Trump angedrohten 30 Prozent-Zölle schnell vom Tisch haben. Aus diesem Grund wirkte der Bundeskanzler unmittelbar nach dem Abschluss eigentlich zufrieden. „Mit der Einigung ist es gelungen, einen Handelskonflikt abzuwenden, der die exportorientierte deutsche Wirtschaft hart getroffen hätte“, sagte er. Doch nur wenige Stunden später klang Merz völlig anders, denn er gab seine großen Bedenken zu Protokoll und betonte, die vereinbarten Abgaben seien eine „erhebliche Belastung“ vor allem für die deutsche Wirtschaft.
Was die Kritiker gerne übersehen: die EU befindet sich gegenüber den USA in einer überaus schwachen Position. Wäre es zu keiner Einigung gekommen, hätten ab dem 1. August US-Zölle in Höhe von 30 Prozent gedroht. Die EU wollte eine Eskalation verhindern, da diese den Handel und Arbeitsplätze kurzfristig noch mehr bedroht hätte. Hinzu kam die Sorge, Trump könne im Fall eines verschärften Konflikts neue Drohkulissen aufbauen - beispielsweise indem er erneut die militärische Beistandspflicht innerhalb der Nato infrage stellt oder die Unterstützung für die Ukraine zurückfährt - beides sind äußerst sensible Themen angesichts der Bedrohungen durch Russland.
Die EU ist von den USA abhängig
Das heißt im Klartext: wenn die Europäer im Bereich der Verteidigung nicht so abhängig von den USA wären, hätten sie den Deal vielleicht nicht akzeptiert. Wirtschaftlich ist die EU nämlich mit etwa 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in 27 Ländern eine echte Marktmacht, die den Vereinigten Staaten in einem Handelskonflikt schwer zusetzen könnte.
Dieses schwierige und fragile Rahmenwerk kennen auch die Politiker in Europas Hauptstädten und sparen dennoch nicht mit scharfer Kritik an dem Abkommen. Besonders deutlich wurde der französische Premierminister François Bayrou. Er bezeichnete das Ereignis als einen traurigen Tag, an dem sich ein Bündnis freier Völker, das sich zusammengeschlossen habe, um seine Werte und Interessen zu verteidigen, zur Unterwerfung entschlossen habe. Brüssel reagierte überraschend gelassen auf diese Wortmeldung, denn sie hat ganz eigene Gründe. Der Regierungschef kämpft um sein politisches Überleben und versucht in dieser Situation an allen politischen Fronten zu punkten. Und wenn sich die Europäischen Union als Sündenbock anbietet, um das Image bei der eigenen Wählerschaft aufzupolieren, kann in der Regel kein Politiker widerstehen.