Die Überlistung des Unterbewussten

Versammlung des Backnanger Bunds der Selbständigen – Referat zur Psychologie der Entscheidungsfindung regte zur Diskussion an

Professorin Ute Reuter war genau die Richtige für einen Abend, den der Backnanger Gewerbeverein der Mitarbeiterfrage widmen wollte. Der Backnanger Bund der Selbständigen hatte im Anschluss an seine Hauptversammlung Mitglieder und Freunde zum Nachdenken über das Thema „Unconscious Bias: Wie implizite Annahmen unsere Entscheidungen beeinflussen“ ins Universum-Kino eingeladen.

Die Überlistung des Unterbewussten

Ute Reuter forscht zu den Themen Personalentwicklung, Diversity Management sowie Dienstleistungs- und Innovationsmanagement. Foto: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Die Referentin, Professorin Ute Reuter von der VWA-Hochschule für berufsbegleitendes Studium in Stuttgart, forscht zu den Themen Personalentwicklung, Diversity Management sowie Dienstleistungs- und Innovationsmanagement. Eine Frau mit Fachkenntnissen. Der Teil drei der Kino-Eventreihe des BdS Backnang unter dem Titel „Von der Hauptrolle zum Regisseur“ richtete sich wieder an „Menschen, die eine Hauptrolle in ihrem Berufsleben spielen wollen“, und fand regen Zuspruch.

„Was ist das denn?“, fragte die Referentin mit Blick auf den Titel ihres Vortrags und klärte zunächst den Begriff „bias“: Er steht unter anderem für kognitive Verzerrung oder Wahrnehmungsverzerrung. Solche Phänomene seien bekannt als optische Täuschungen, für die Reuter ein Beispiel präsentierte. Aus unvollständigem Wissen über bestimmte soziale Gruppen resultieren Stereotype etwa wie: „Männer sind stark.“

Erst wenn Gefühle ins Spiel kommen, werde es gefährlich, denn dann entstehen aus Stereotypen Vorurteile, also Bewertungen – positive oder negative. Reuter: „Diese kognitiven Verzerrungen erreichen nicht immer das Bewusstsein, sondern können im Unbewussten schlummern und Entscheidungen beeinflussen.“ Man grenze Menschen aus, ohne es zu wollen oder auch nur zu bemerken.

Ute Reuter sprach hier von unbewusster Diskriminierung und zeigte zwei identische Fotos mit unterschiedlichen Bildunterschriften: Eine sympathische junge Frau, möglicherweise eine Bewerberin, die hier Sandra Bauer und dort Meryem Öztürk heißt, hat einer empirischen Studie zufolge als Türkin nur in 20 Prozent der Fälle die Chance, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Wenn sie, wie auf dem dritten Foto, ein Kopftuch trägt, tendiert diese Chance gegen null. Die Referentin machte hier „ins Vorbewusste eingebrannte Sehgewohnheiten“ und die „Bevorzugung dessen, was für normal gehalten wird“ aus. Die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Diskriminierungen sei messbar und manifestiere sich in unterschiedlichen Reaktionszeiten, die in „Implicit Association Tests“ nachgewiesen werden konnten. Aber: „Jeder Mensch hat persönliche implizite Annahmen. Auch ich.“ Reuter riet dazu, diese aufzuspüren. Beispielsweise könne man spontan notieren, was man mit bestimmten Begriffen assoziiert: Männer. Frauen. Arbeit. Erfolg. Geld. Versagen. Fehler. Man werde dann erkennen, dass das Unterbewusstsein das Verhalten in großem Ausmaß präge. Eine Reihe kritischer Nachfragen der Zuhörer veranlasste die Referentin mehrfach klarzustellen, dass es ihr nicht darum gehe, das Unbewusste zu verteufeln. Man solle sich nur um bewusste Entscheidungen bemühen, das Unbewusste bewusst machen, anstatt sich davon manipulieren zu lassen. „Kompetenzbasiertheit versus Bias“ gelte es gezielt anzustreben, denn die „Veränderungsresistenz implizierter Annahmen“ sei enorm. Eine interessante Einteilung zur Geschlechtertypologie machte dies noch einmal deutlich. Die Forschung unterscheide etwa paternalistische Stereotype (die Hausfrau, der Softie) von verachtenden Stereotypen (die Spießerin, der Prolet) und von bewundernden Stereotypen (der Professor, die Selbstbewusste) sowie neidvollen Stereotypen (die Karrierefrau, der Yuppie). Auf den Achsen eines Diagramms werden für diese Gruppen zudem Tendenzen hinsichtlich der Aspekte „Wärme“ und „Kompetenz“ gezeigt, die etwa die Hausfrau emotional, aber ziemlich dumm dastehen lassen – ein typischer Fall von Bias. Nicht zuletzt kamen die Referentin und ihre Zuhörer auch auf künstliche Intelligenz zu sprechen. Auch Algorithmen haben Vorurteile, denn sie sind irgendwann von Menschen programmiert worden. Hier führte das Streitgespräch bis auf die philosophische Ebene und fragte beispielsweise nach dem Anspruch auf die eine objektive Wahrheit. Erneut bekräftigte die Referentin: „Es geht nicht um das Ausblenden oder Bewerten von Erfahrungen, sondern darum, Unbewusstes bewusst zu machen, um diskriminierende Entscheidungen zu vermeiden.“

Info
Hauptversammlung des BdS: „Finanziell ist der Gewerbeverein gut aufgestellt“

Der erste Vorsitzende des BdS-Gewerbevereins Backnang, Lothar Buchfink, fasste in seinem Rechenschaftsbericht die Aktivitäten des vergangenen Jahres zusammen: Dazu gehörten unter anderem die Veranstaltung zum Thema Erwachsenenbildung mit Wilfried Grabmeier als Referent, der informative Beitrage von den BdS-Mitgliedern Bojan Kukic (Therafit) und Rüdiger Lüftner (Körperreich) über praxisorientierte und pragmatische Lösungsansätze bei gesundheitlichen Beschwerden von Mitarbeitern, der erste Backnanger BdS-Cup, die Wirtschaftsgespräche mit Ulrich Grillo zum Thema „Wirtschaft mit Haltung. Anständig – Respektiert – Vertrauenswürdig“ sowie mit Angelika Schindler-Obenhaus zum Thema „Zukunft des Einkaufens“.

Vorhaben des BdS für die Zukunft: ein Kompaktworkshop zum Thema Datenschutz, ein Rhetorik- und Führungsseminar im Rahmen der Erwachsenenbildung, die Fortsetzung der Kinoreihe mit einem Polittalk.

Zu den Finanzen nahm Nicolas Stelzmann Stellung: Der Gewerbeverein Backnang finanziert sich zum größten Teil aus den Mitgliedsbeiträgen seiner Mitglieder. Gleichzeitig ist pro Mitglied an den Landesverband der Selbständigen ein Festbetrag abzuführen. Durch den Zusammenschluss des Gewerbevereins und des Bitz vor zwei Jahren und aufgrund guter Zusammenarbeit konnte einmalig und anhaltend der Mitgliederbestand erhöht werden. Aus diesem Umstand heraus konnten einige neue Projekte erfolgreich umgesetzt werden. Diese Veranstaltungen konnten insgesamt ohne zusätzliche Mittel von den Mitgliedern des Gewerbevereins gestemmt werden.

Auch die buchhalterische Abwicklung der Wirtschaftsgespräche erfolgt über den Gewerbeverein, und hier können die steigenden Kosten für diese Veranstaltung durch die Sponsoren der Veranstalter (Gewerbeverein Backnang, Industrieverein und Stadt Backnang) grundsätzlich gedeckt werden.

Finanziell ist der Gewerbeverein Backnang damit auch für die Zukunft gut aufgestellt und kann weiterhin durch Spenden, Preise und Zuschüsse Schulen, Vereine und Veranstaltungen unterstützen.