Früher spionierten sie für den Weihnachtsmann, heute bringen Wichtel Chaos und Lachen ins Haus. Doch der Spaß hat seinen Preis. Für Eltern heißt das: Augen zu und „Yeah!“
Weitgehend anonym und meistens unsichtbar für Menschen: Weihnachtswichtel aus Skandinavien.
Von Michael Setzer
Es ist nicht genau auszumachen, wann es angefangen hat – wahrscheinlich war es das US-Buch „Elf On A Shelf“ vor 20 Jahren, das die skandinavische Tradition in unsere Stuben brachte. In Dänemark oder Norwegen hieß der Ur-Wichtel Nisse, in Schweden war’s der Tomte.
Die waren (sozusagen) Agenten des Weihnachtsmannes, die Kinder beobachteten, und ihrem Chef täglich Bericht erstatteten, welches der Kinder denn brav sei. Mittlerweile gehören die Weihnachtswichtel mit stark variierenden und sympathischeren Erzählungen auch bei uns zum guten Ton vor Weihnachten.
Was wollen die Wichtel bei uns?
Die Sache sieht nämlich so aus: Jeder weiß, dass der Weihnachtsmann unmöglich am Heiligabend gleichzeitig alle Geschenke an alle Kinder auf dieser Welt ausliefern kann. Das ist ein Riesenstress, ganz zu schweigen von der notwendigen monströsen Logistik und dem lästigen Geschenkeinpacken. Und deshalb ziehen Weihnachtswichtel im Dezember in unseren Wohnungen ein. Die sind zwar klein und putzig – arbeiten aber in den Außenbüros wie verrückt, um den Weihnachtsmann bei der Wertschöpfung zu unterstützen.
Die Wichtel heißen beispielsweise Ole, Anders oder Torgeir, und sie arbeiten vornehmlich nachts, wenn alle Menschen schlafen. Lykke (aus Norwegen, vielleicht auch Schweden, bärtig, sehr nett) verbringt seinen Feierabend gerne in der Gastwohnung.
Er verlässt seine Wichtelstube durch die Wichteltür und schaut sich einigermaßen ungehemmt um. Jeder Tag endet für Lykke mit Entdeckungen und ordentlich Chaos in der Wohnung. Nicht aus böser Absicht, sondern weil der Kerl halt etwas verhuscht ist.
Der Morgen bringt Chaos und Spaß
Am Morgen findet das Kind dann Chaos und Streiche vor und einen freundlichen Brief vom Wichtel selbst geschrieben. Die Briefe beginnen immer mit „God Morgon!“, das ist ein bisschen Norwegisch, vielleicht auch Schwedisch, aber es heißt auf alle Fälle „Guten Morgen!“.
Im Verlauf des Dezembers geht’s dann zur Sache: angeknabberte Nutellabrote, Wichtel-Wellness im Waschbecken, eine Rennstrecke für Hot-Wheels-Autos in der Küche, Kuscheltiere in Fußballtrikots, eine Schmutzwäschespur durch die Wohnung (weil der Boden Lava ist), ein mit Tüchern dekorierter Weihnachtsbaum und, und, und.
Bisheriger Höhepunkt der Chaostage: Der Vater erwacht eines Morgens mit lackierten Fingernägeln, auf seinen Fingern steht mit Kugelschreiber „PAPA“ geschrieben. „Dieser Lykke!!“, sagt der Vater, schüttelt den Kopf und das Kind lacht. Weil Kinder solchen Quatsch eben gut finden. Zudem weiß jeder: Ein herzliches Lachen am Morgen macht den Rest des Tages erträglicher.
Alle Romantik beiseite, bedeutet das für Eltern natürlich, dass jeder Tag im Dezember damit enden wird, einen möglichst albernen Streich auszuhecken und einen Brief zu schreiben. Jeden Tag.
Und die Sache ist auch die: Man könnte alle Bücher in der Wohnung zu Türmen stapeln, Schnüre dazwischen spannen, Socken und Weihnachtsschmuck daran aufhängen oder die Wohnung quietschbunt streichen, doch irgendjemand muss die Unordnung später wieder beseitigen. Jeden Tag. Aber es soll sogar Familien geben, in denen der Wichtel bis Neujahr bleibt und im Februar einen Brief schreibt, in dem er sich für die schöne Zeit bedankt.
An der Supermarktkasse steht ein Mann mit lackierten Nägeln. Man mustert sich und nickt sich wissend zu. Ab Januar lackieren wir uns nur noch die Nägel, wenn wir das wirklich wollen. Der Sohn grinst später: „Also, das mit den Nägeln, Papa – da ist Lykke echt ein bisschen zu weit gegangen!“