Digitale Pflege ist keine Zukunftsmusik

Die Gesundheitsrobotik wird noch zu wenig beachtet: Dabei steckt darin großer sozialer Zündstoff

Von Regine Warth

Stuttgart

Von wem lassen Sie sich lieber versorgen? Von einem Pflegeroboter, der Sie mit einem freundlichen „Guten Morgen“ begrüßt, oder von einem Pfleger, der aus Zeitnot morgens nicht mal ein Lächeln übrig hat? Die Mehrheit der Bundesbürger scheint diese Vorstellung nicht sehr futuristisch zu finden: Sie sieht die Technologie in der Pflege sogar als Chance. So würden nach einer Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege mehr als drei Viertel der Befragten (76 Prozent) den Einsatz von ausgereiften Robotern zur Unterstützung Pflegebedürftiger akzeptieren. 64 Prozent können sich sogar vorstellen, dass diese dem Menschen auf oder zurück ins Bett helfen, wenn er gestürzt ist.

Darum geht es: um kleine automatisierte Hilfestellungen, die die oft körperlich schwere Arbeit des Personals erleichtern. Dass Pflegeroboter den Personalnotstand der Krankenhäuser und Pflegeheime mindern könnten, wie Entwickler suggerieren, erscheint jedoch maßlos übertrieben. Rund 36 000 Pflegekräfte fehlen laut Zahlen der Bundesregierung aktuell in Deutschland, auf hundert offene Stellen kommen lediglich 21 Bewerber. Drei Millionen Menschen in Deutschland benötigen aktuell regelmäßig die Hilfe von Pflegekräften – die demografische Entwicklung führt dazu, dass bald noch mehr Pflegebedürftige von noch weniger Fachkräften betreut werden müssen.

In Altenheimen und Krankenhäusern werden erste Assistenztechniken eingesetzt. Roboter, die Menschen bei Reha-Übungen helfen, sie beim Gehen unterstützen und ihnen nach Schlaganfällen zurück in den Alltag helfen, sind bereits auf dem Markt. Zur Übernahme pflegerischer Aufgaben sind die Maschinen noch nicht in der Lage. Selbst in Japan, wo die Menschen der Technik mit weniger Skepsis begegnen, gibt es bisher nur Pilotprojekte. Es wird also noch einige Jahre dauern, bis man einem Roboter als Pfleger begegnet.

Doch sollten wir darauf warten? Nein. Die Debatte darüber, was ein von Algorithmen gesteuertes Pflegesystem können sollte und was zu weit geht, muss jetzt geführt werden. Denn es gibt viele offene Fragen: Kann die Technik verlässlicher sein im Umgang mit dem Menschen als der Mensch selbst? Wer übernimmt die Verantwortung für die Roboter, wenn etwas schiefgeht? Noch hinkt die Rechtsprechung der technischen Entwicklung hinterher. Zu klären ist, welcher Kostenfaktor der Einsatz von Maschinen darstellt – belasten sie den Gesundheitsetat tatsächlich weniger als ordentlich bezahlte Pflegekräfte? Und ähnlich wie beim autonomen Fahren stellt sich die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit.

Menschliche Regungen sind der Maschine fremd – und sei sie noch so ausgereift. Somit sollten nicht nur der Ethikrat und Gesundheitspolitiker darüber diskutieren, inwieweit Roboter eine Bezugsperson ersetzen können. Diese Debatte, was erwünscht ist und was nicht, muss auch in den Familien geführt werden. Um ein Höchstmaß an Selbstbestimmung zu ermöglichen, wäre es etwa denkbar, dass jeder Bundesbürger seine persönlichen Präferenzen – vielleicht begleitet durch die jeweilige Krankenkasse – schriftlich festhält.

Letztlich entbindet dies alles aber nicht die Politik, den Pflegesektor aufzuwerten: mit mehr Personal und höheren Löhnen. Denn nur dann ergreifen Fachkräfte diesen Beruf, die neben der Qualifikation die notwendige Empathie für Pflegebedürftige aufbringen. Denn wer auf Pflege angewiesen ist, muss auch in Zukunft die Wahl haben dürfen – und sich frei entscheiden, wann ihm ein gefühlloser Pflegeroboter zur Hilfe kommen kann und bei welchen Tätigkeiten es doch lieber ein Pfleger aus Fleisch und Blut sein soll.

regine.warth@stzn.de