Auftakt im Prozess um Dreifachmord in Starnberg

Von Von Britta Schultejans, dpa

dpa Starnberg/München. Es war ein grauenvolles Bild, das sich den Ermittlern im Januar 2020 bot: Eltern und Sohn erschossen in ihrem Haus in Starnberg. Das Gericht muss nun die Frage beantworten: Was ist damals geschehen?

Auftakt im Prozess um Dreifachmord in Starnberg

Einer der beiden wegen Mordes angeklagten Männer (M) wird in den Sitzungssaal geführt. Foto: Sven Hoppe/dpa

Es sind erschreckende, verstörende Bilder. Sequenzen wie aus einem Horrorfilm: „Der atmet noch“, sagt jemand auf dem verwackelten, mit dem Handy aufgenommenen, nur wenige Sekunden langen Film - und fügt ein ungerührtes „Hm“ hinzu.

Die Kamera hält dabei auf einen leblosen jungen Mann. Das zweite Video ist mindestens ebenso entsetzlich. Es zeigt den toten Vater des jungen Mannes - zusammengebrochen in der Tür zu dem Schlafzimmer, in dem seine ebenfalls erschossene Frau liegt. „Dann lass' ich euch mal weiterschlafen“, sagt die Stimme zynisch - und das Licht wird gelöscht.

Diese kurzen Filmsequenzen haben Ermittler nach eigenen Angaben auf dem Handy eines 21-jährigen Deutschen gefunden, der vor Gericht steht, weil er seinen guten Freund und dessen Eltern in deren Haus in Starnberg erschossen haben soll. Sie werden zum Prozessauftakt gegen ihn und einen zwei Jahre jüngeren, slowakischen Mitangeklagten am Landgericht München II gezeigt.

Polizeistreife entdeckte die Leichen

Dreifachen Mord wirft die Staatsanwaltschaft dem Mann vor, Mittäterschaft bei einem Mord dem Mitangeklagten. Sie geht davon aus, dass die beiden an die Waffen des Sohnes der Familie kommen wollten, die dieser illegal besaß.

„Ermittlungsgruppe 11. Januar“ heißt die Einheit der Kriminalpolizei, die sich mit dem Fall befasst hat. Eine Polizeistreife hatte die Leichen der 60 Jahre alten Frau, ihres 64 Jahre alten Mannes und des gemeinsamen Sohnes in deren Haus entdeckt. Nur der Hund der Familie, auf den ebenfalls geschossen wurde, überlebte schwer verletzt. „Was vom Hund“ kommentiert die Stimme auf einem der grauenvollen Videos Blut auf dem Fußboden.

Ermittlungen mit spektakulärer Wende

Rückblick: Zuerst schien der Fall für die Ermittler klar. Sie gingen davon aus, dass der Sohn, ein Waffennarr, zuerst seine Eltern und dann sich selbst erschoss. Einige Wochen später dann die spektakuläre Wende: Weitere Ermittlungsergebnisse legten ein anderes Szenario nahe. Die Staatsanwaltschaft München geht nun davon aus, dass der Sohn nicht Täter, sondern selbst Opfer wurde - Opfer seines engen Freundes, der ihn und seine Eltern auf dem Gewissen haben soll.

Der Mitangeklagte soll seinen Freund zum Haus der Familie gefahren und während der Tat dort gewartet haben. Die Ermittler fanden später illegale Waffen bei dem Hauptangeklagten, die er aus dem Haus der Familie gestohlen haben soll.

Bei der Polizei soll der Ältere der beiden Angeklagten das so gestanden haben - vor Gericht will er zu den grauenvollen Vorwürfen aber nichts mehr sagen. Auch der Mitangeklagte schweigt zumindest zunächst. Seine Verteidigung erwägt noch, ob es dabei bleibt.

Widersprüchliche Aussagen des Hauptangeklagten

Ausführlich äußert sich der arbeitslose Hauptangeklagte allerdings - wenn auch nicht frei von drastischen Widersprüchen - zu seinen persönlichen Verhältnissen. Er spricht von heftigem Alkohol- und Drogenkonsum, von Problemen mit seiner Mutter und von Mobbing in der Schule.

Zweifel daran, dass er verurteilt wird, scheint er nicht zu haben. Später, „sobald ich in Strafhaft komme“, wolle er eine handwerkliche Ausbildung machen, sagt er über seine Zukunftspläne. Und dann wolle er ein Haus bauen - „wenn ich rauskomme“. Wie er an das Geld für die Drogen kam, will er nicht sagen. Und auch auf viele andere Fragen - wie beispielsweise die nach seinem Freundeskreis oder seiner sexuellen Orientierung - antwortet er nicht.

Die Verteidigung des Mitangeklagten äußert massive Zweifel an der Version, die die Staatsanwaltschaft ihrer Anklage zugrunde legt und attackiert die Anklagebehörde in gleich drei nach US-amerikanischem Vorbild verfassten Eröffnungsstatements.

Die Staatsanwaltschaft folge in ihrer Anklage „einer simplen Logik“, sagt Rechtsanwalt Alexander Betz. „Vier Personen sind in einem Haus, einer kommt lebendig raus, und damit ist der vierte der Mörder.“

Dies sei aber nur eine von zahlreichen denkbaren Varianten. Es gebe mehrere Hypothesen, die genauso plausibel, wenn nicht sogar plausibler seien. Die Anklage habe „ihre Wissenslücken mit viel Fantasie statt mit Ermittlungsarbeit gefüllt“, kritisiert Rechtsanwalt Alexander Stevens.

Komplizierte Beweislage

Sieben Hypothesen sind es, die die Verteidigung vorbringt: Beispielsweise hält sie auch die ursprünglich angenommene Variante vom Sohn als Mörder seiner Eltern weiterhin für möglich. Schmauchspuren seien an seinen Händen gefunden worden und das rechtsmedizinische Gutachten schließe nicht aus, dass der junge Mann sich tatsächlich selbst erschossen haben könnte.

In jedem Fall, so betonen die drei Verteidiger, sei eine Mittäterschaft ihres Mandanten nicht nachweisbar. Denn selbst wenn alles so gelaufen sei wie in der Anklage dargelegt, belege das bloße Chauffieren noch lange keine Mittäterschaft.

„Ein wahnsinniges Unglück hat uns im irdischen Leben getrennt“, steht über einer Todesanzeige für das Ehepaar, die Freunde aufgegeben haben. Vom „Unbeschreiblichen“, vom „Unbegreiflichen“ schreiben die Angehörigen in einer anderen Anzeige. Sie alle stellen sich wohl heute noch die Frage: Was geschah damals im Januar 2020 in Starnberg?

Die Vorsitzende Richterin Regina Holstein spricht von einem „Nebel“, den die Hauptverhandlung werde lichten müssen. 54 Prozesstage hat die Jugendkammer dafür angesetzt. Das Urteil könnte dann genau zwei Jahre nach der Tat fallen: am 11. Januar 2022.

© dpa-infocom, dpa:210823-99-934895/12