Dreikampf um das Direktmandat

Bundestagswahl 2021: Die favorisierte CDU-Kandidatin Inge Gräßle muss sich morgen gegen zwei junge Herausforderer behaupten.

Dreikampf um das Direktmandat

Die Stunde der Wahrheit: Die Auszählung der Stimmen morgen Abend. Foto: A. Becher,

Von Kornelius Fritz

Backnang. Der Wahlkampf war lang und kräftezehrend – das ist den Kandidatinnen und Kandidaten anzumerken. „Ich glaube, alle sind froh, wenn es am Sonntag vorbei ist“, sagt Inge Gräßle. Die CDU-Kandidatin hat Buch geführt: 334 Wahlkampftermine hat sie seit ihrer Nominierung im vergangenen Oktober absolviert, mehr als 9000 Kilometer hat sie dabei zurückgelegt.

„Es war unglaublich intensiv“, bestätigt Ricarda Lang (Grüne), die nicht nur im Wahlkreis unterwegs war, sondern als stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei Termine in ganz Deutschland hatte. Mehrere Nächte hat sie deshalb im Nachtzug geschlafen. SPD-Kandidat Tim-Luka Schwab ist zwar nur zwischen Schwäbisch Gmünd und Backnang gependelt, aber auch er berichtet von kurzen Nächten und einem randvollen Kalender. „Es war sehr anstrengend, aber es hat mir auch unglaublich viel Freude bereitet“, sagt der 20-Jährige, der auch auf der Zielgeraden noch Vollgas gibt. Seit gestern Abend macht Schwab 24 Stunden Wahlkampf am Stück: in Kneipen, auf Marktplätzen und an Haustüren. Erst heute um Mitternacht ist Schluss.

Nur Ricarda Lang ist abgesichert

Für wen sich der Aufwand gelohnt hat, wird sich morgen Abend zeigen. Am entspanntesten kann Ricarda Lang dem Wahlausgang entgegensehen: Die Grünen-Kandidatin ist über die Landesliste abgesichert. Ihr zehnter Platz müsste für ein Zweitmandat reichen. Tim-Luka Schwab und Inge Gräßle haben diese Absicherung nicht. Schwab wurde von seiner Partei auf den allerletzten Listenplatz gesetzt, Gräßle steht zwar auf Platz fünf, doch weil die CDU in Baden-Württemberg traditionell die meisten Direktmandate gewinnt, ist fraglich, ob die Partei überhaupt Zweitmandate bekommt: „Die Landesliste zieht bei der CDU nicht. Wer Gräßle will, muss mir die Erststimme geben“, stellt die Kandidatin klar.

Die 60-Jährige, die seit 25 Jahren Politik macht, ist zuversichtlich, dass sie Norbert Barthles Direktmandat verteidigen wird: „Die Stimmung ist besser als die Umfragen“, sagt sie. Sie habe den Eindruck, dass die Wähler eine erfahrene Kandidatin wie sie schätzen. Und auch für ihre Partei und den viel gescholtenen Kanzlerkandidaten Armin Laschet sieht sie nicht schwarz: „Ich glaube, dass wir noch alle Chancen haben.“

Tim-Luka Schwab fühlt sich derweil geradezu beflügelt von den Umfragewerten der SPD. Nach der verlorenen Landtagswahl im März sei es zunächst schwierig gewesen, seine Parteigenossen für einen weiteren Wahlkampf zu begeistern. Doch mit jeder Umfrage sei die Motivation gestiegen. Dass er das Direktmandat gewinnt, hält Schwab inzwischen für eine realistische Option: „Als ich bei meiner Nominierung gesagt habe, dass ich dafür kämpfen will, wurde ich noch belächelt.“ Auch Ricarda Lang hat das Direktmandat noch im Blick: „Das wäre eine große Ehre für mich“, sagt die 27-Jährige. Doch auch wenn es dafür nicht reichen sollte, will sie als Abgeordnete „Ansprechpartnerin für die Region“ sein. Den Austausch mit den Menschen vor Ort habe sie genossen, sagt Lang: „Das hat mich auch als Bundespolitikerin besser gemacht.“

Die sieben weiteren Kandidatinnen und Kandidaten haben keine realistische Chance auf ein Bundestagsmandat, was sie aber nicht davon abgehalten hat, sich voll ins Zeug zu legen. „Ich habe vier Wochen unbezahlten Urlaub genommen, der Wahlkampf war in dieser Zeit ein Vollzeitjob“, sagt AfD-Kandidat Andreas Wörner. Die Erfahrungen, die er dabei gesammelt hat, will der 56-Jährige nicht missen: „Wo hat man sonst schon mal die Möglichkeit, so viele verschiedene Leute kennenzulernen.“

Auch David-Sebastian Hamm (FDP) zieht ein positives Fazit: „Ich wollte für meine Themen kämpfen und die Menschen von der Sache überzeugen. Ich denke, das ist mir in vielen Fällen gelungen.“ Der Wahlkampf sei eine spannende Erfahrung gewesen, auch wenn die Familie dadurch zuletzt ein wenig zu kurz gekommen sei.

Einig sind sich alle Kandidatinnen und Kandidaten in einem Punkt: Der Umgang untereinander sei im Wahlkampf immer fair und sachlich gewesen.

Dreikampf um das Direktmandat

Langer Stimmzettel: Zehn Kandidatinnen und Kandidaten fürs Direktmandat sowie insgesamt 24 Parteien treten im Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd an. Foto: Kreiswahlleiter

Kommentar
Auch die Erststimme ist wichtig

Von Kornelius Fritz

Diese Bundestagswahl wird so spannend wie lange nicht mehr. Das gilt nicht nur auf Bundesebene, sondern auch für den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd. Denn auch hier werden die Karten ganz neu gemischt. Beide bisherigen Abgeordneten treten nicht mehr an und der Kampf ums Direktmandat ist so offen wie noch nie.

Zwar geht CDU-Bewerberin Inge Gräßle als Favoritin ins Rennen, doch ein Abo aufs Direktmandat hat ihre Partei nicht mehr. Angesichts guter Umfragewerte der SPD träumt der junge Tim-Luka Schwab davon, der erfahrenen CDU-Politikerin das Mandat vor der Nase wegzuschnappen. Und selbst Ricarda Lang von den Grünen rechnet sich Chancen aus, wenngleich ihr das im Grunde egal sein kann: Als Zehnte auf der Landesliste ist ihr ein Platz im nächsten Bundestag praktisch sicher.

Ein guter Draht nach Berlin kann für den Wahlkreis in den nächsten Jahren Gold wert sein. Viele Entscheidungen im Bund betreffen den Raum Backnang nämlich ganz direkt: vom B-14-Ausbau über die Murrbahn bis hin zur Zukunft der Automobilindustrie. Die Erststimme ist deshalb genauso wichtig wie die zweite.

k.fritz@bkz.de