Droht ein neuer Krieg in Nahost?

Iranischer Teilausstieg aus Atomvertrag – US-Truppenaufmarsch am Golf – Neue Sanktionen gegen die Metallbranche Irans

Von Thomas Seibert

Der Iran hat Deutschland und anderen Vertragspartnern ein Ultimatum gesetzt: Findet sich innerhalb von 60 Tagen keine Lösung, will Iran die Uran-Anreicherung wiederaufnehmen.

Istanbul Die Spannungen zwischen dem Iran und den USA treiben auf einen Höhepunkt zu. Die Regierung in Teheran erklärte am Mittwoch, sie fühle sich an Teile des internationalen Atomvertrages JCPOA nicht mehr gebunden. Damit stellte der Iran am Jahrestag des Ausstiegs der USA aus dem Abkommen die Vereinbarung insgesamt infrage. Gleichzeitig setzen die USA ihren Truppenaufmarsch am Persischen Golf fort.

Bewusst wählte der iranische Präsident Hassan Ruhani den 8. Mai für seine Erklärung zum Atomvertrag: Vor genau einem Jahr hatte US-Präsident Donald Trump den Rückzug Amerikas aus dem Abkommen von 2015 bekannt gegeben, das den Iran am Bau von Atomwaffen hindern soll. Seitdem versucht die US-Regierung, den Iran zu neuen Gesprächen über strengere Auflagen für Teheran zu zwingen. Zu den US-Maßnahmen gehören Sanktionsdrohungen gegen Staaten und Unternehmen, die Öl beim Iran kaufen oder anderen Handel mit Teheran treiben.

Ruhani will nun vor allem die Europäer dazu bringen, ungeachtet der US-Sanktionen den Handelsaustausch mit seinem Land zu sichern, um Irans Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Deshalb stoppt Iran den im Atomvertrag vorgesehenen Export von angereichertem Uran und schwerem Wasser – und sichert sich damit zumindest theoretisch die Möglichkeit zu weiteren Schritten in seinem Atomprogramm.

Wenn innerhalb von 60 Tagen keine Lösung mit den verbliebenen JCPOA-Vertragspartnern – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China und Russland – für den iranischen Öl- und Bankensektor gefunden werden sollte, will der Iran mit der hochgradigen Anreicherung von Uran beginnen. Das wäre das Ende des Atomabkommens und könnte ein Schritt hin zum Bau einer Atombombe sein. Ruhani drohte auch damit, Drogen und Flüchtlinge aus dem östlichen Nachbarstaat Afghanistan nach Europa gelangen zu lassen. Der iranische Präsident, ein Befürworter des Atomvertrages von 2015, steht seit Trumps Ausstieg aus dem Abkommen unter hohem Druck von Hardlinern in Teheran. Die Erklärung des Präsidenten ist deshalb auch ein Versuch, innenpolitische Kritiker zu besänftigen.

Europa, China und Russland wollen zwar ohne die USA an dem Vertrag festhalten, der iranische Teilausstieg vom Mittwoch bringt die verbliebenen JCPOA-Staaten aber in eine schwierige Situation. Trotz aller Bemühungen haben sie bisher keinen praktikablen Weg gefunden, um den Handel mit dem Iran vor den US-Sanktionen zu retten. Das liegt vor allem daran, dass kein europäisches Unternehmen das Risiko eingehen will, bei Kontakten mit Teheran den Zugang zum amerikanischen Markt zu verlieren.

Als Partnerin des Iran im Syrien-Konflikt gab die russische Regierung den USA die Schuld an der Eskalation. Die iranische Erklärung sei eine Folge des US-Ausstiegs aus dem Atomvertrag, erklärte der Kreml. Die Moskauer Vorwürfe an die USA werden auch von vielen europäischen Politikern geteilt. Kritiker werfen der Trump-Regierung vor, den Sturz des Mullah-Regimes in Teheran anzustreben, um vor der Präsidentenwahl im kommenden Jahr der eigenen rechtsgerichteten Wählerbasis und proisraelischen Gruppen in den USA zu gefallen.

Hardliner wie Trumps Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo sprachen zuletzt von aggressiven Aktionen der Iraner in der Nahostregion. Dabei soll es sich um Raketentransporte gehandelt haben. Pompeo sagte diese Woche ein Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel kurzfristig ab und flog nach Bagdad, um mit der irakischen Führung über die angebliche Bedrohung durch den Iran zu beraten. Zudem haben die Vereinigten Staaten Sanktionen gegen die Metallbranche der islamische Republik verhängt. Trump erließ am Mittwoch eine Exekutivverfügung, in der er die neuen Strafmaßnahmen bekannt gab.

Selbst in normalen Zeiten sind mehrere Zehntausend US-Soldaten sowie starke Marine- und Luftwaffenverbände am Persischen Golf stationiert. Nun werden ein Flugzeugträger und Langstreckenbomber in die Region verlegt. „Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass die USA auf dem Weg zu einem Krieg mit dem Iran sind“, sagte der Züricher Nahost-Experte Roland Popp. Auch im Iran drohen Verfechter eines harten Kurses immer wieder mit Aktionen, die eine militärische Antwort der USA auslösen würden. Militärisch sind die USA den Iranern weit überlegen. Allerdings verfügt der Iran über gut ausgebildete Truppen. US- Truppen in der ganzen Region von Syrien bis nach Afghanistan wären mögliche Ziele, sagte Popp. Selbst wenn beide Seiten eine militärische Eskalation vermeiden wollen, könnten sie in einen Konflikt hineinschlittern. Da diplomatische Kontakte zwischen den Staaten immer mehr verkümmern, könnte ein lokaler Zwischenfall oder ein Unfall einen „Krieg aus Versehen“ auslösen.